Schäffler: Heuer wollen sie in München wieder tanzen
München - Ein Regentag im Jahr 2019: OB Dieter Reiter steht auf dem Marienplatz und erinnert an das Ende der Pest vor mehr als 500 Jahren. Um ihn herum die Tänzer des Schäfflervereins, bereit für ihren Auftritt.
Wohl keiner ahnt an diesem Tag, dass ihr Tanz nur wenige Jahre später seine ursprüngliche Bedeutung zurückgewinnen könnte.
Ursprünglich tanzten die Schäffler zu Pestzeiten
Einer Legende nach wagten sich Münchens Fassbinder im Jahr 1517 zum ersten Mal zum Tanzen auf die Straßen. Die Pest hatte zu diesem Zeitpunkt Millionen Tote in Europa gefordert. "Die Leute haben sich eingesperrt und haben sich nicht mehr rausgetraut", sagt Christian Baumann, Archivar und zweiter Vorsitzender des Münchner Schäfflervereins.
Die Schäffler aber, die zur damaligen Zeit Gefäße aller Größen für den alltäglichen Haushaltsbedarf herstellten, waren darauf angewiesen, wieder arbeiten zu können. "Wenn man nichts mehr verkauft, kann man keine Lebensmittel mehr kaufen", sagt Baumann. Als die Pest allem Anschein nach an München vorbeigezogen war, trauten die mutigen Schäffler sich, die freudige Botschaft zu überbringen.
"Wie kann man Menschen am besten herauslocken?", überlegten sie sich. "Mit Radau", sagt Baumann. "Mit Trommeln und Musik. Und dann werden andere auch mutiger und gesellen sich dazu."

Die Schäffler verkündeten das Ende der Pest
Nicht nur die Schäffler, auch Metzger sollen Ähnliches gewagt haben. Sie sollen in Brunnen gesprungen sein, um zu zeigen: Das Wasser ist wieder trinkbar.
Mit dem ersten Schäfflertanz allerdings war die Pest nicht ein für allemal vorüber. Immer wieder brach sie in München aus. Um die 30 Mal, schätzt Baumann. Es wurde zur Tradition, dass die Schäffler mit ihrem Tanz mit jedem Mal das Ende einer Welle verkündeten.
Die Schäffler tanzen eigentlich nur alle sieben Jahre
An der Südwestecke des Rathauses ist eine Drachenschlange in den Stein gehauen: Der Lindwurm soll mit seinem Atemhauch die Pest über München gebracht haben.
Tatsächlich kam im Mittelalter auch die Pest über den Handelsweg von Asien nach Europa. Flöhe, die auf Ratten hausten, übertrugen den Erreger mit ihren Bissen auf Menschen. Auf den Steintafeln am Wurmeck des Rathauses sind auch tanzende Schäffler abgebildet. Mit jedem Mal wurde ihr Tanz um Elemente erweitert und gefestigt. Auch als keine Pestausbrüche mehr folgten, tanzten sie weiter – seit 1760 alle sieben Jahre sowie zu besonderen Anlässen.
2019 war der letzte turnusmäßige Tanz, 2026 wäre der nächste
Selbst in der Biedermeierzeit am Ende des 19. Jahrhunderts, sagt Baumann, feilten die Fassbinder noch an ihrer Choreographie. Heute wird sie so getanzt wie zu jener Epoche. 2019 war der letzte turnusmäßige Tanz, 2026 wäre der Nächste.

In roten Kostümen halten die Schäffler dann Bögen aus Buchsbaumzweigen in die Höhe. Sie bilden damit eine Schlange, die den Lindwurm darstellt. Auch andere Symbole kommen in ihrem Tanz vor: ein Kreuz etwa als Hommage an die Kirche oder eine Krone für den König.
Baumann war 19, als er zum ersten Mal mit den Schäfflern tanzte
Wer früher zu den 20 Tänzern zählen wollte, musste Schäffler sein, geborener Bayer und unverheiratet. Heute indes, da viele Bierbrauereien Stahltanks statt Holzfässer verwenden und die Zahl der Fassbinder überschaubarer wird, dürfen auch andere am Tanz mitwirken. Baumann zum Beispiel, eigentlich Werkzeugmacher, war 19, als er zum ersten Mal tanzte. "Das war eine sehr große Ehre", erinnert er sich.
Sollte er heuer wieder tanzen, wäre auch das eine besondere Ehre für ihn. Denn sollten die Corona-Zahlen weiter sinken, würde er in diesem Herbst zum ersten Mal tatsächlich das Ende einer Pandemie betanzen.
So ist der Plan. Ob es dazu kommt – abwarten. Die Entscheidung, wann die Inzidenzwerte niedrig genug für den Schäffler-Tanz sind, trifft die Politik. Baumann zumindest klingt noch nicht so richtig überzeugt. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagt der Schäffler.
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