Pflegenotstand: Münchner Krankenschwestern erzählen von ihrem Alltag
Pflegerinnen und Pfleger kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen. "Sätze wie 'Es muss gehen’ und 'Du musst Prioritäten setzen’ haben wir satt", sagen sie.
München - Die Nächte sind besonders hart. Diese Zwischenzeit, in der alles und nichts passieren kann, in der die Welt draußen ein bisschen den Atem anhält – und drinnen manchmal ein Patient einfach zu atmen aufhört.
Slavica Feicht betreut in einer Nachtschicht in der Urologie allein 32 Betten. Das ist Standard in den meisten Krankenhausabteilungen, Ausnahmen sind meist nur Palliativ- und die Intensivstation. "In der Nacht allein ist es sehr schwer", sagt Feicht. In der Urologie gibt es immer mehr immer ältere Patienten. Nach einer Operation sind sie sediert in einem Durchgangszentrum untergebracht, wo sie beobachtet werden. "Die laufen sonst weg oder treten einander, ohne dass sie das wirklich merken."
Letztens macht sie eine Frühschicht – und die Spätschicht danach
Deren Betten schieben die Schwestern dann schon mal raus in den Gang, vor den Stützpunkt – das kleine Büro mit Glasscheibe am Eingang jeder Station. Als Notlösung, sagt die 55-Jährige' beinahe entschuldigend. "Damit wir sie trotz allem immer im Auge behalten können."
Das Pflegepersonal findet Lösungen. Man hilft einander aus. Letztens kam Feicht zur Frühschicht, verließ das Städtische Klinikum Bogenhausen um 11 Uhr vormittags – dann rief eine Kollegin an. Jemand sei ausgefallen. Also fuhr Feicht um 15 Uhr zurück und half auch noch in der Abendschicht aus. Mehr oder weniger freiwillig, "ich wohne ja in der Nähe. Und es gibt bei uns natürlich eine Solidarität. Man will niemanden hängenlassen."
Aber das, sagt sie, darf nicht der Dauerzustand sein. "Wir hören so oft ,Es muss gehen’ und 'Dann musst du Prioritäten setzen’. Diese Sätze haben wir satt, das geht schließlich auf Kosten der Versorgung und der Sicherheit der Patienten."
Melanie von Treyer arbeitet am selben Krankenhaus' als Schwester auf der Intensivstation. Dort ist der Personalschlüssel etwas besser: Eigentlich sollten hier auf eine Pflegekraft zwei Patienten kommen. "Bei uns sind es momentan aber vier pro Pflegekraft."
In Nachtschichten sind mit dem Arzt drei Schwestern für die acht Patienten eingeplant. "Es ist aber schon öfter vorgekommen, dass wir nur zu zweit sind. Und so können wir manches Notwendige nicht garantieren."
Das bedeutet konkret: Wenn ein Patient neu hereinkommt, beansprucht das in der Regel den Arzt und zwei Schwestern. "Und wenn wir zwei, drei Stunden an einem Patienten stehen, der reanimiert werden muss, kann ohne dritte Kraft zum Beispiel niemand die sedierten oder anders eingeschränkten Patienten umlagern, um zu verhindern, dass sie Druckgeschwüre bekommen."
"Eine Kollegin konnte einfach nicht mehr. Alle arbeiten am Limit"

"Die Pflege muss aufstehen": die Krankenschwestern Melanie von Treyer (l., 37) von der Intensivstation und Slavica Feicht (55) aus der Urologie. Foto: Petra Schramek
Slavica Feicht berichtet von steigendem Druck
Durch personelle Unterbesetzung dieser Art seien an ehemaligen Arbeitsorten auch schon "schlimme Sachen" geschehen, sagt von Treyer – über die könne sie aber nicht reden, da sie eventuell dazu noch vor Gericht aussagen muss. "Es passieren Fehler", sagt die 37-Jährige. "Die meisten gehen unter, viele werden kompensiert oder man hat Glück. Aber nur auf Glück möchte man sich doch nicht verlassen müssen."
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat gerade zum Thema Pflegenotstand viel Konstruktives gesagt – aber eben auch, dass für eine bessere Planung Pflegekräfte doch etwas mehr arbeiten sollten. Er meinte damit nur Teilzeitkräfte. Diese Aussage hat von Treyer trotzdem sehr geärgert. "Einfach mehr arbeiten. Bis die Leute zusammenbrechen. Alle arbeiten doch schon am Limit!"
Eine Freundin und Kollegin von ihr, "eine hervorragende Krankenschwester", habe nach zwölf Jahren im Beruf jetzt aufgegeben. "Die ist in den Krankenstand gegangen und bleibt da auch noch eine Weile. Die konnte einfach nicht mehr."
Auch Slavica Feicht berichtet von steigendem Druck. "Man muss für sich schnell lernen; wie man mit Stress umgeht. Weil man sonst ein Burnout kriegt. Man muss lernen, was man stehenlassen kann, ohne dass es auf Kosten der Patienten geht."
Von Treyer sagt: "Es ist das Wichtigste, dass wir endlich eine Pflegekammer bekommen. Ich protestiere gegen die weitere Reduzierung von Pflegestellen und für Gehälter, die die Verantwortung widerspiegeln. Aber vor allem für eine Pflegekammer, die unsere Interessen vertritt. Die Pflege muss jetzt aufstehen, um sich das zu erstreiten."
Und wenn die Bedingungen besser werden, sagt Feicht' "ist es meine Hoffnung, dass man wieder Krankenschwestern findet. Wir suchen heute ständig. Aber es gibt niemanden mehr, der das machen will."
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