Gastbeitrag

Zwischen Gockeln, Gwand und Gsuffa: Der Schichtl grantelt

Von der Trachtenshow bis zum Testosteron-Überdruck – die Wiesn ist Bühne, Spektakel und Saufgelage in einem. In einem Gastbeitrag stimmt Manfred Schauer – besser bekannt als der Schichtl – auf das Oktoberfest ein.
von  Manfred Schauer
An diesem Samstag heißt es: Ozapft is! 16 Tage lang tummeln sich Trachtler, Bierfreunde, Neugierige, Kinder und Ur-Münchner auf der Wiesn. Das erste Wochenende wird das Wetter ein Traum.
An diesem Samstag heißt es: Ozapft is! 16 Tage lang tummeln sich Trachtler, Bierfreunde, Neugierige, Kinder und Ur-Münchner auf der Wiesn. Das erste Wochenende wird das Wetter ein Traum. © IMAGO

Herrschaften, aufgemerkt, gleich kommt der große Rauschangriff. Jede Menge und noch ein Haufen Leute mehr geben den Wirten, Schaustellern, Polizisten plus diversen anderen erst den Grund, auf der Wiesn zu sein. Die eine Fraktion ist immer wegen der anderen dort.

Da findet sich alljährlich ein Häuflein von nicht mal sieben Millionen Individualisten zur Umsetzung ihrer identischen Absichtserklärung ein. Es ist nicht unbedingt eine intime Veranstaltung in Gedenken an eine Hochzeit von zwei Leuten vor langer Zeit. Namen und Jahr egal – Hochzeit hört sich ja immer nach Feiern an.

Tradition trifft Moderne

Die Planetarier in all ihren multiplen Einstellungen und Ausstattungen, ihrer Ein- und Pseudotracht, vor dem Zapfhahn sind sie alle gleich. Ja, es sind wirklich schöne Trachten zu sehen, eine Freude zum Anschauen – und je weniger Tamtam am Gwand, umso besser und authentischer schaut’s aus.

Der Trachtenwahn treibt nach wie vor seine schrillsten Blüten in diesen 16 Tagen. Das Schaulaufen der Herren, die Pflicht mit der Frau Gemahlin, die Kür dann ohne sie. Es ist ein Schauspiel, was der präpotente Gockel alles anstellt, wenn das Testosteron sein Hirn entmachtet.

Mode und Manieren

Zu dem Speed-Dating tragen die modisch desorientierten Damen Pseudo-Dirndl aus der Chi-Chi-Abteilung, manche glänzend wie aus Stores zusammengeflickt, mit Köderfunktion (kniefrei), gerne mit Bolero-Blusen (schulterfrei) und früher oder später ist man dann sowieso so frei. Treuepunkte muss man sich woanders holen.

Das ganze Schauspiel alleine ist schon glatt 15 Euro wert. So gesehen ist die erste Maß fast schon geschenkt. Mensch Meier, wär’ das schlimm, wenn’s zum Lästern nix gäb. Aber was tun, wenn ich ständig visuell derart beliefert werde? Ich schreib’ ja nur, was so alles vorbei und rumläuft.

Manfred Schauer alias der Schichtl.
Manfred Schauer alias der Schichtl. © IMAGO/Christian Einecke

Zur Wiesn gehört auch unbedingt das Leben in, auf und neben den Fahrgeschäften, wie auch die schillernden Standl und Betriebe jeglicher Couleur. Weil: Nur Bierzelte sind kein Volksfest, dann könnte die Veranstaltung gleich Intersuff heißen. Und da wär’s schon mal recht interessant, wenn sich einer der Geleimten auf eine Bierbank klebt, weil er Antialkoholiker ist. Eine Wiesnbedienung hat nicht die Sanftmut der Polizei! Die Mischung macht diese einmalige Atmosphäre!

Rituale und Preise

Der traditionell-sportliche Vorgang vom Schimpfen über den Bierpreis findet ausnahmslos als fest installiertes Ritual zur Wiesn statt. Am Gardasee, Bayerns schönster See unter italienischer Verwaltung, kostet der Liter „Bier“ schon mal an die 17 Euro, Richtung Amalfi, dann schon stramm an die 19. Aber nix von Bringdienst im Dirndl oder Hendl- und Steckerlfischaroma in der Luft. Und an den Toiletten darfst auch ned anstehen. Das kann doch nicht gemütlich sein – und dort wird nicht mal ansatzweise über den Bierpreis geredet.

Oh mei, wenn das nur alle Probleme wären, die es zur und rund um die Wiesn gibt. Und ja, die Zeiten waren schon mal entspannter, die Leute noch nie so überinformiert mit (Un)Wahrheiten jeglichen Inhalts. Klar, wir reden hier von Vergnügen. Wenn wir uns das allerdings nehmen lassen, was kommt uns als Nächstes abhanden, wie weit lassen wir uns fremdbestimmen, was ja eh schon praktiziert wird?

Die Wiesn polarisiert

Eh klar, die Wiesn polarisiert, sie ist Fest der Freude für Menschen aus der ganzen Welt, auch wenn manche auf dem Heimweg für Außerirdische gehalten werden. Aber: Niemandem ist vorzuwerfen, wenn er nicht hingehen mag, egal aus welchen Gründen. Ich frag’ mich nur, warum manche Abstinenzler dies mit fast schon missionarischem Eifer kundtun. Außer reduzierter Lebensfreude kommt wohl kaum was raus. Irgendwie und sowieso, mit und ohne Durchblick, kommt dann doch jeder zu seiner An-, Ein- und Absicht.

Ein Prosit auf die Wiesn

Außerdem, grundsätzlich und überhaupt, so der bayerische Realphilosoph Manfred S. aus M.: Erfahrene Propheten warten erst mal die Ereignisse ab.

Auf a pfundige Wiesn & habe die Ehre.

Der Schichtl

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