So wirkt die Wiesn auf den Körper
Was sind die Folgen eines Wiesnbesuchs? Das hängt natürlich davon ab, wie man (oder frau) es krachen lässt. Manchem Besucher ist auf den ersten Blick anzusehen, wie es innerlich und äußerlich um ihn bestellt sein dürfte. Bei anderen kann man nur raten. Oder die Medizin bemühen. So wie wir. Lesen Sie hier, was bei einem typischen Wiesn-Besuch in und mit uns passiert:
Der Hinweg
Menschenmassen und überfüllte U-Bahnen – der Weg zur Festwiese gleicht einer Ausnahmesituation. „Gedränge ist der stärkste Stimulus in dieser Zeit“, sagt Mathias Orban vom Klinikum Rechts der Isar, „im Alltag berühren wir sonst keine Fremden, das ist für jeden unangenehm“.
Vorfreude setzt zwar das „Glücks-Hormon“ Endorphin frei, gleichzeitig reagiert der Organismus wie auf einen Angriff. Die Nebenniere pumpt Stress-Hormone wie Adrenalin und Cortisol ins Blut. Sie befehlen dem Herzen, schneller zu schlagen. Der Blutdruck steigt, wir atmen tiefer ein.
Schweiß tritt aus unseren Poren: Der Körper bereitet sich auch auf eine Flucht vor und produziert auf Hormon-Befehl mehr Wärme, um die Durchblutung der Skelettmuskulatur zu stärken. Die Aufregung sieht man auch den Augen an: Die Stress-Hormone docken an den Rezeptoren der Muskeln, die die Pupillen steuern, an – sie weiten sich stark.
Dafür schränkt der Körper die anstrengende Darmtätigkeit ein und zieht den Blasenmuskel zusammen. Der Harndrang wird schwächer.
Der Eintritt ins Zelt
Hitze und Lärm setzen dem Körper zu. „Das kann für manche schon eine Kreislaufbelastung sein“, sagt Kardiologe Orban. Um die Temperatur im Körper zu regulieren, weitet der Körper die Blutgefäße. „Dadurch erhalten sie eine größere Oberfläche und können über die Haut mehr Wärme abgeben.“ Achten Sie mal auf die Venen am Handrücken – sie werden dicker.
Der Körper sondert Wärme auch durch vermehrtes Schwitzen und Ausatmen ab.
Lautstärken von bis zu 100 Dezibel erhöhen den Schalldruck auf die Hörorgane. Gefährlich sei das nicht, sagt Orban. „Über mehrere Jahre hinweg würde man bei der Lautstärke eine Schwerhörigkeit entwickeln. Einige Abende aber sind, auch hintereinander, wohl kein Problem.“
Das Bier
Die erste Maß bringt richtig Schwung: „Der Alkohol regt die Durchblutung und die Harnproduktion an“, sagt Orban. Die Haut wird röter, und wir müssen recht bald auf die Toilette, um ankommendes Wasser über die Blase auszuscheiden. Der Darm rüstet sich für die Verarbeitung der Nährstoffe vor.
Das Ethanol im Bier wirkt auch aufs Gehirn: „Dieses Molekül hat die Eigenschaft, die Zellwände des Magens sehr schnell zu durchdringen“, sagt Robert Ritzel, Chefarzt der Suchtklinik des Klinikums München. „Es kommt sehr schnell ins Blut und ins Gehirn.“ Dort wirkt es auf Hirnregionen, die das Verhalten und die Einschätzung von Situationen regeln. Das kann gute Folgen haben – oder katastrophale.
„Bei kleinen Mengen Alkohol werden Rezeptoren im Gehirn empfindlicher für bestimmte Opioide wie Endorphine“, sagt Ritzel – sie schnappen sich mehr als sonst. Das unterdrückt unser Angstgefühl, wir werden mutiger „und wir reden mehr“, sagt Ritzel. Auch die Hormone Dopamin und Serotonin bekommen mehr Aufmerksamkeit – das führt zu einer „allgemeinen Zufriedenheit“, sagt Ritzel.
Bei größeren Mengen artet das in eine Alkoholvergiftung aus. „Gamma-Aminobuttersäure dämpft die Hirnleistung, die Sprach- und Bewegungssteuerung, die Sensorik, den Tastsinn und trübt unsere Einschätzung von Situationen.“
Das Essen
Hendl und Brezn bedeuten Schwerstarbeit für den Körper. Die Brezn liefert Kohlenhydrate und Stärke, das Hendl Fett und Eiweiß.
Fett „bindet das Ethanol im Bier und hindert es für eine bestimmte Zeit daran, ins Blut zu gelangen“, sagt Robert Ritzel – dafür steigt laut Mathias Orban „das Blutfett kurzfristig an, ebenso der Blutzuckerspiegel“.
Dann geht’s ans Zerteilen: Zellen an der Magenwand produzieren Magen-, die Galle fettlösende Gallensäure. Zellen der Darm- und Magenwand senden unter anderen die Hormone Gastrin und Motilin los. Sie steuern den Darm – er weitet und verengt sich und bewegt das Essen immer weiter nach hinten.
Gleichzeitig spalten Enzyme Eiweiß und Zucker und verteilen es über das Blut in den Körper. Ein Großteil des Fettes kommt über Lymphgefäße ebenfalls ins Blut. „Einiges geht weiter in die Leber“, sagt Orban – und leider auch: „ins Unterhautfettgewebe“.
Die Fahrgeschäfte
Vor der Achterbahn steigt die Herzfrequenz schon in der Warteschlange. Orban: „Auch hier bereitet sich der Körper unbewusst auf drohende Gefahr vor.“ Laut Untersuchungen steigt der Puls schon beim Hochfahren der Rampe auf bis zu 140 Schläge pro Minute an. Am höchsten ist er kurz nach dem Start. Bei Männern erreicht er 130, bei Frauen gar bis zu 150 Schläge in der Minute – „als ob Sie schnell joggen, also nicht gerade wenig“.
Bei rasanter Fahrt fängt das Herz an zu spinnen. „Mal ist es ein Extraschlag, mal ein Aussetzer, das merkt man aber selten“, sagt Orban. Selbst „Vorhofflimmern“ komme vor: Der Vorhof zur Herzkammer zuckt unkontrolliert, das Herz wird beim Pumpen gestört, seine Leistung kann leicht sinken. „Auch deshalb sollten Herzkranke nicht in solche Geschäfte steigen.“
Bei schneller Beschleunigung hat das Herz eh einen schweren Job. „Wenn es Sie beim Looping in den Sitz drückt, sackt das Blut in die Beine und kommt über die Venen nicht mehr richtig zum Herzen und weiter in den Kopf, wo es eigentlich hin muss“, sagt Orban. Wer nicht gesund ist, kann da sogar ohnmächtig werden.
Schwindel entsteht vor allem dann, wenn der Körper schnell die Richtung ändert, die Augen aber etwas anderes melden. „Wenn der Kopf hin und her wackelt und der Körper beschleunigt und abgebremst wird, kommt die Verarbeitung des Lage- und Bewegungssinns im Gehirn nicht hinterher“, sagt Orban. Der bestimmt die Position des Körpers über kleine Kristalle und Flüssigkeitsbewegungen in den Bogengängen des Gleichgewichtsorgans im Ohr. Schließt man die Augen beim Fahren, erhält das Gehirn widersprüchliche Informationen.
Folge: Gleichgewichtsstörungen – und so mancher taumelnder Fahrgast danach.
Die Nachwirkungen
„Durch den Alkoholkonsum entsteht ein unruhiger Schlaf“, sagt Orban. Der Körper hat zu viel zu tun: Viele Nährstoffe werden in dieser Zeit zerlegt – was nicht gebraucht wird, wird zu Fett. Alle überflüssigen Stoffe wandern über Niere und Leber nach draußen. Die Leber kümmert sich auch um toxische Alkoholprodukte wie das katerverursachende Acetaldehyd.
Der Alkohol treibt, wir haben schon viel Wasser gelassen – uns fehlen Flüssigkeit und (Blut-)Salze. Das Blut führt mehr rote Blutkörperchen und weniger Plasma, es wird „dicker“. Dadurch sinkt der Blutdruck. Der Körper zieht jetzt Wasser aus dem Gewebe und speist es in die Blutbahn. „Damit kompensiert er den Flüssigkeitsverlust und hält den Blutdruck aufrecht“, so Orban.
Gleichzeitig aktiviert er unser Durstgefühl – der charakteristische „Brand“ – und stoppt den Harndrang, um weitere Flüssigkeits- und Salzverluste zu verhindern. Diese verursachen nämlich ein Symptom, das wohl jeder Wiesngänger kennt. Das dickere Blut fließt nicht mehr so gut ins Gehirn. „Das reagiert sofort und verengt die Gefäße, um den Blutdruck zu regulieren“, sagt Robert Ritzel.
Die melden diese vollzogene Änderung über Signale zurück, die von Schmerzrezeptoren in den Hirnhäuten unter der Schädelplatte übernommen werden. Das spüren wir am nächsten Tag: Kopfweh.