Interview

Schausteller-Paar ohne Oktoberfest: "Mein Wiesnersatz? Bergsteigen!"

Was machen eigentlich die Schausteller heuer ohne Oktoberfest? Heute erzählt Helga Geier von "Geiers Mandelküche" von neuen Hobbys, findigen Ideen, mageren Renten und dem Fleiß bis ins hohe Alter.
Irene Kleber |
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Helga Geier mit ihrem Mann Kurt in "Geiers Mandelküche". Mit dem Schausteller-Standl stehen sie normalerweise zusammen auf der Wiesn, und seit 1978 auch auf dem Christkindlmarkt am Marienplatz.
Helga Geier mit ihrem Mann Kurt in "Geiers Mandelküche". Mit dem Schausteller-Standl stehen sie normalerweise zusammen auf der Wiesn, und seit 1978 auch auf dem Christkindlmarkt am Marienplatz. © privat

München - AZ-Interview mit Helga Geier: Die Schaustellerin (63) hat mit 18 ihren Mann Kurt (82) auf der Wiesn kennengelernt. Seitdem hat sie ihr Leben mit ihm auf Volksfesten verbracht. Früher auch mit einem Autoscooter und einer Schießbude. Das Standl "Geiers Mandelküche" gibt es bis heute.

Biomandeln, Zuckerwatte, schokolierte Himbeeren, mhmm! Das Wiesn-Standl "Geiers Mandelküche", vier Mal vier Meter groß, mit Hunderten handgemachten Schlemmereien, würde in diesen Tagen eigentlich auf der Theresienwiese stehen: in der Wirtsbudenstraße, zwischen der Hühner- und Entenbraterei Ammer und der Haxnbraterei Hochreiter.

Über 70 Jahre gibt es das Schaustellergeschäft auf der Wiesn, Kurt Geier (82) hat es von seinen Eltern Luise und Johann übernommen, und seine Frau Helga, die 19 Jahre jünger ist, hat als junges Dirndl ins Schaustellerleben hineingeheiratet.

So hat alles angefangen: Luise und Johann Geier mit der ersten Mandelküche auf der Wiesn 1949 - das sind die Eltern von Kurt Senior.
So hat alles angefangen: Luise und Johann Geier mit der ersten Mandelküche auf der Wiesn 1949 - das sind die Eltern von Kurt Senior. © privat

Was machen die Geiers, die ausschließlich von der Schaustellerei leben, nun ohne Oktoberfest, zum zweiten Mal in Folge? Seit der Wiesn 2019 sind sie mit ihrer Mandelküche nur noch ein Mal wo gestanden: auf dem Christkindlmarkt am Marienplatz 2019. Für sie gab es keinen "Sommer in der Stadt", kein kleines Volksfest irgendwo außerhalb Münchens. Einfach nur: Pause.

AZ: Frau Geier, haben Sie sich die leere Theresienwiese dieses Jahr schon angeschaut?
HELGA GEIER: Nein, da packt mich bloß die Wehmut, wenn ich seh', wie die Wiesn so trostlos daliegt. Ich war 45 Jahre da, jedes Jahr. Das ist natürlich stressig und laut, aber gleichzeitig auch wunderschön, weil die Leut so fröhlich sind.

Wo ist Ihre Mandelküche?
In einer Lagerhalle. Da hat auch unser Sohn seine Fahrgeschäfte gelagert.

Geier: "Wir müssen arbeiten, bis wir ins Grab fallen"

Ihr Mann, der Kurt, ist 82. Wäre nicht eigentlich Zeit, ans Aufhören zu denken?
Nein, wir müssen arbeiten, bis wir ins Grab fallen, das ist in unserem Beruf normal. Mein Mann war immer selbstständig. Wir haben in guten Zeiten, als wir noch von März bis Oktober von einem Volksfest zum nächsten gezogen sind, ein kleines Reihenhaus abbezahlt und für die Altersvorsorge etwas weggespart. Aber in eine Rentenkasse einzahlen, das hat man früher nicht so gemacht. Raten Sie mal, was mein Mann Rente bekommt.

Geiers Mandelküche steht auf dem Oktoberfest mitten in der Wirtsbudenstraße, im Hintergrund das Riesenrad.
Geiers Mandelküche steht auf dem Oktoberfest mitten in der Wirtsbudenstraße, im Hintergrund das Riesenrad. © privat

Sagen Sie's mir?
200 Euro im Monat. Und wenn ich 2023 in die Regelrente gehe, sind es bei mir 350 Euro. Wir sind also angewiesen auf den Umsatz von der Wiesn und vom Christkindlmarkt. Das sind die letzten Feste, die wir noch mitmachen, schwer arbeiten kann mein Mann ja nimmer.

Wie haben Sie die letzten 21 Monate ohne Umsatz denn überstanden?
Wir verbrauchen jetzt das, was die Altersvorsorge hätte sein sollen. Die Staatshilfen haben die Geschäftskosten gedeckt wie Versicherungen oder die Leasingkosten für den Firmenwagen. Für den Ausfall vom letzten Christkindlmarkt gab es ungefähr die Hälfte vom Umsatz. Aber für das, was wir zum Leben brauchen oder für die Krankenkasse, hat es kein Geld gegeben. Wenn's finanziell zum Brennen anfangen würde, müssten wir halt auch unser Reihenhaus verkaufen.

Ihr Sohn, der Kurt Junior, hat Ihren früheren Autoscooter übernommen. Wie ist er mit seiner Familie durchgekommen, da sind ja auch zwei Kinder zu ernähren?
Unser Sohn ist fleißig und rührig, er hat in seiner Riesenhalle wirklich jedes kleinste Einzelteil seiner Fahrgeschäfte renoviert. Und jetzt hat er organisiert, dass in Unterschleißheim die "Unterschleißheimer Wiesn" mit einigen Schaustellerkollegen stattfinden kann. Da steht er mit dem Autoscooter, einem Imbiss, gebrannten Mandeln und Schokofrüchten. Das wird sehr gut angenommen, die Leute sind wirklich froh um dieses kleine Fest.

Geier: "Nichtstun haben wir nicht gelernt"

Geldsorgen waren das eine. Aber was haben Sie mit der vielen Zeit ohne Arbeit gemacht? Nichtstun ist nicht das, was Schausteller gut können, oder?
Aber wirklich. Nichtstun haben wir nicht gelernt, wir sind ja bewegliche Menschen. Ich hab mir ein neues Hobby gesucht. Ich geh jetzt Bergsteigen. Jede Woche war ich irgendwo draußen auf einem anderen Berg. Brecherspitz, Sylvenstein, Roß- und Buchstein bei Kreuth oder bei den Rottach-Egerner Wasserfällen.

Statt Mandelbrennen: Bergsteigen. Helga Geier besteigt jede Woche einen anderen Berg, seit sie nicht mehr auf Volksfesten arbeiten kann.
Statt Mandelbrennen: Bergsteigen. Helga Geier besteigt jede Woche einen anderen Berg, seit sie nicht mehr auf Volksfesten arbeiten kann. © privat

Und Ihr Mann?
Der hilft jetzt gerade bei unserem Sohn in Unterschleißheim in der Kasse vom Autoscooter und verkauft Tickets. Und er genießt nach den ganzen Jahren, in denen er wirklich harte körperliche Arbeit geleistet hat, dass er einfach daheim auf der Terrasse sitzen kann. Wir haben einen kleinen, feinen Garten, das ist gut für ihn.

Jetzt können Sie aber erst mal auf den Christkindlmarkt am Marienplatz hoffen, gell?
Genau. Der soll ja heuer sogar zwei Monate laufen dürfen, schon ab dem 22. November.

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Ist da schon eine Zusage da?
Noch nicht, aber ich glaube, da schaut es gut aus.

Wo steht Ihr Standl dann?
Wir sind immer in der Kaufingerstraße, vor dem C&A, da ist auch früher nie so ein Gedrängel gewesen. Wenn der Christkindlmarkt luftiger gestaltet und durch die ganze Fußgängerzone verteilt wird, wird das schön dieses Jahr. Und dann machen wir da auch wieder ein Geschäft. Ich bin da jetzt ganz zuversichtlich.

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3 Kommentare
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  • Kampf den Schwurblern am 24.09.2021 15:30 Uhr / Bewertung:

    Kann ich gut verstehen, dass man in dieser Branche wenig Geld für das Alter zurücklegen kann.
    Finde auch toll, dass hier nicht gejammert wird.
    Ich drücke feste die Daumen, dass es mit dem Christkindlmarkt klappt.

  • ChrisS am 24.09.2021 15:25 Uhr / Bewertung:

    Sehr schöner Artikel und mir tut's um die Schausteller Familien echt leid. Ich habe jetzt schon ein paar mal bei https://Nussstandl.de bestellt. Die Familie kenne ich persönlich und die stehen auch normal auf dem Frühlingsfest und Corona macht alles so schlimm. Durch die Bestellung kann ich mir bisserl Volksfest Gefühl nach Hause holen es schmeckt halt einfach super lecker!!!

    Viel Erfolg und Durchhaltevermögen an alle Schausteller!!!

  • freeman am 24.09.2021 12:29 Uhr / Bewertung:

    Das Hobby zum Beruf gemacht - oder doch umgekehrt? Ein sympathisches Pärchen mit einem süßen Beruf/Hobby. Hoff 'ma, dass die Weihnachtsmärkte dieses Jahr öffnen können.

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