Oktoberfest? Sex, Drugs, Rock’n’Roll!

Der 70. „Tatort“ mit Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl heißt „Die letzte Wiesn“ und ist so wild, bunt, lebhaft und vielschichtig wie das Oktoberfest selbst. Ein AZ-Doppelinterview.
Volker Isfort |
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Nein, die Wiesn ist heuer nicht leer, wir haben Miroslav Nemec (li.) und Udo Wachtveitl zum Gespräch in einem Biergarten getroffen.
Sigi Müller Nein, die Wiesn ist heuer nicht leer, wir haben Miroslav Nemec (li.) und Udo Wachtveitl zum Gespräch in einem Biergarten getroffen.

München - Mehr München geht nicht: Einen Tag, nachdem zur neuen Wiesn-Saison „o’zapft“ wurde, ist der Krimi aus der Hölle der lebenden Bierleichen treffend platziert. Gedreht wurde er mitten im feucht-fröhlichen Trubel zwischen Festzelt, Fahrgeschäft und Sanitätsstation. Regisseur Marvin Kren hat die Wiesn lebensnah inszeniert. Ein vor Ideen und Bildern überbordender „Tatort“ nach einem Drehbuch von Stefan Holtz und Florian Iwersen.

Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) flieht wie jedes Jahr vor dem Trubel in die Toskana, hilft zuvor aber noch einem Betrunkenen an der U-Bahn-Station Marienplatz. Da der Italiener bald stirbt, und Leitmayrs Fingerabdrücke auf dessen Geldbörse sind, muss der Kommissar schnell zurück nach München, um seinem Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) zu helfen. Der Italiener wurde vergiftet. Die Spur führt ins Amperbräu-Wiesnzelt, in dem die resolute Witwe Kirsten Moosrieder (Gisela Schneeberger) regiert.

AZ: Herr Nemec, Herr Wachtveitl, der Film heißt „Die letzte Wiesn“, erinnern Sie sich noch an Ihre erste?

UDO WACHTVEITL: Ich bin die ersten zehn Jahre meines Lebens bei der Oma aufgewachsen. Mein Cousin und ich haben immer genau ausgerechnet, was wir mit unserem schmalen Budget auf der Wiesn überhaupt machen konnten. Tief hängengeblieben ist die große Enttäuschung als ich das erste Vogelpfeiferl gekauft hatte und es sich langsam im Mund auflöste. Die sind ja aus Pappe. Es gab Kinder bei mir in der Straße, die konnten noch auf dem übrig gebliebenen Metallrand pfeifen, ich leider nicht.

MIROSLAV NEMEC: Ich war natürlich nicht in so jungen Jahren auf der Wiesn wie der Udo. Ich kam mit elf nach Freilassing und meine Familie ist nie zur Wiesn gefahren. Aber mit 16, 17 Jahren habe ich mit einer Rockband gespielt. Da haben wir auf dem „Popfestival of Bavaria“ einen Aufnahmetag im Studio von Klaus Doldinger gewonnen. Wir hatten keine Übernachtungsmöglichkeit und sind auf die Wiesn gegangen, haben dort getrunken und uns nach Wiesnschluss unter die draußen gestapelten Bänke gelegt. Und in der früh, so um halb sechs, kam die Polizei mit den Hunden. Die haben uns dann verscheucht.

UDO WACHTVEITL: Aber immerhin wurdet ihr nicht von den Hunden bebieselt.

MIROSLAV NEMEC: Nein, das ist mir allerdings später mal passiert. Ich bin früher viel getrampt. In Venedig in einer Seitengasse hat mich dann mal ein Hund erwischt, als ich nachts in meinem Schlafsack lag.

Wie hat sich Ihr Verhältnis zur Wiesn verändert?

UDO WACHTVEITL: Als kleiner Junge ist das natürlich ein Zauberland, ich war begeisterter Auto-Scooter-Fahrer, später faszinierten mich die Go-Carts mit dem Zweitakter. Dann gab es die lange Phase, in der man als cooler Münchner überhaupt nicht auf die Wiesn gegangen ist. Als ich so Anfang 30 war, bin ich wieder gerne hingegangen. Denn von der Lebensauffassung her habe ich gar nichts gegen Sex, Drugs und Rock’n’ Roll, oder – wer‘s klassischer mag: Wein Weib und Gesang. Und im Grunde ist die Wiesn nichts Anderes. Und es war dann oft – wie soll ich sagen – fröhlich!

Sie wollen jetzt nicht ins Detail gehen?

Sagen wir mal so. Ich habe durchaus mal ein Bier getrunken....

MIROSLAV NEMEC: Ich mag die Idee von der Oiden Wiesn. Man muss halt Eintritt zahlen, andererseits kann ich da wenigsten mit meiner jüngsten Tochter hingehen. Ansonsten ist es für Udo und mich auch gar nicht mehr so einfach, auf die Wiesn zu gehen. Die Menschen sind freundlich, aber etwas enthemmter. Und dann wollen sie ins Gespräch kommen oder ein Selfie machen. Man kommt also nicht zum Essen, man kommt nicht zum Trinken und aufs Klo zu gehn ... naja. Klar sind wir manchmal bei Events eingeladen - in abgesperrten Boxen. Aber dann sind da Fotografen und es ist mehr Arbeit als Spaß. Wir hatten ja für diesen „Tatort“ einen Guerilla-Dreh am ersten Tag des Oktoberfests 2014. Wir waren in den Gängen, wo die Kellner durchlaufen, das war mit langer Brennweite aufgenommen. Aber wenn wir gemeinsam auftauchen, erhöht sich ja noch mal den Wiedererkennungspuls.

UDO WACHTVEITL: Der Rest des Festes war gut. Wir haben ja auch vor der Eröffnung gedreht – nur mit Statisten. Das war wirklich etwas Besonderes, diese Anzahl von Komparsen haben wir selten in Zeiten des permanenten Spardiktats: Es wird übrigens immer unterschätzt, wie viel gute Komparsen zur Atmosphäre eines Filmes beitragen. Zaubern Sie mal nachts um drei Uhr Wiesnstimmung in einem kalten Zelt. Der Einsatz war gewaltig. Auch die Jungs, die die lange Rolltreppe am Marienplatz entgegen der Fahrtrichtung laufen mussten, waren danach völlig kaputt. Einer ist zusammen geklappt, wir haben den Notarzt geholt.

Leitmayr vermietet seine Wohnung zur Wiesnzeit an Fremde.

UDO WACHTVEITL: Das wäre das Letzte, was ich privat machen würde. Im Drehbuch standen zunächst zwei Italiener. Und ich habe mir gedacht, das Ganze wäre doch mit so stabilen, amüsierwütigen Skandinavierinnen viel lustiger. Weil man zuerst bei Mädchen denkt, die sind ja vielleicht nicht so schlimm. Ich habe mir richtige Granatweiber gewünscht.

Die schlafen dann allerdings nicht alleine, als Leitmayer überraschend in seine Wohnung zurückkehrt.

UDO WACHTVEITL: Das soll ja vorkommen, wenn man auf die Wiesn geht. Aber das habe ich mir ehrlich gesagt noch drastischer gewünscht, als es im Film ist. Ich wollte eine Orgie. Mei, jetzt liegen sie halt alle besoffen herum, gut. Aber ich finde, es hätte mehr sein können. Ich habe mal zehn Jahre lang ziemlich nahe an der Wiesn gewohnt. Manchmal habe ich dann so eine Art Elendstourismus praktiziert und bin nachts, nach Schluss der Wiesn, noch über das Gelände gegangen und habe mir dann Apokalypse live angeschaut: enthemmte Menschen, bar jeder sittlichen Regeln.

Ivo Batic wiederum bekommt Besuch von seinen drei Tanten aus Kroatien.

MIROSLAV NEMEC: Die haben ihn schon einmal besucht, in einem „Tatort“. Unsere Redakteurin wollte sie irgendwann einmal wieder einbauen – und diesmal hat’s gepasst.

Batic bereitet ein Spanferkel nach allen Regeln der Kunst. Waren Sie mal Metzger?

Nein, das habe ich noch nie zuvor gemacht. Aber als Kind in Zagreb haben wir unsere Verwandten auf dem Land besucht. Daher weiß ich, wie ein Schlachttag abläuft – und es war mir auch nicht zuwider, das Schwein beim Dreh zu fetten. Wir sind damals auch deshalb aufs Land gefahren, um etwas Ordentliches zum Essen zu bekommen. Das war immer mit großer Freude verbunden.

Und wir lernen ein kroatisches Sprichwort kennen: „Der beste Vogel ist das Schwein.“

Das hat mein Vater gesagt. Das haben wir auch im „Tatort“ eingebaut. Genauso wie den Spruch „Denk mit dem oberen Kopf“, den meine Oma immer zu mir gesagt hat. Auch die Szene, in der wir alle auf kroatisch singen. Ich wusste ja, dass Udo dieses Lied drauf hat.

UDO WACHTVEITL: Aber es stört den Nachbarn. Und der spricht dann die Sätze meines Mathelehrers aus dem Skilager vor etlichen Jahrzehnten: „Meine Herrschaften, auf der ganzen Welt ist um 10 Uhr Nachtruhe, so auch hier.“

Es gibt in diesem wirklich wilden Wiesn-„Tatort“ noch eine Reihe sehr lustiger Sprüche: „Wenn ich keine Eier hab’, bild’ ich einen Krisenstab.“

UDO WACHTVEITL: Der stand ursprünglich auch nicht im Buch. Die nicht in die Struktur der Geschichte eingebauten und wie Puderzucker darübergestreuten Schönheiten kommen manchmal von uns.

MIROSLAV NEMEC: Wir sind aber auch immer froh, dass im Drehbuch schon so Situationen angelegt sind, worauf wir dann reagieren können. Jeder liest das Drehbuch alleine und macht sich seine Anmerkungen. Dann treffen wir uns zusammen, mit dem Autor und der Redaktion. Udo und ich haben unsere Anmerkungen oft exakt an den gleichen Stellen.

Das eingespielte Ehepaar?

MIROSLAV NEMEC: Nein, das hat damit nichts zu tun. Das liegt am Verständnis für Dramaturgie und Dialogführung, das einfach da sein muss und bei uns von Anfang an da war. Wir müssen uns ja nicht einmal vorher besprechen, um die gleiche Stoßrichtung zu haben.

UDO WACHTVEITL: Ich finde auch, dass dieser Humor, der unsere besten „Tatorte“ ausmacht, ruhig gezielter angesteuert werden darf.

MIROSLAV NEMEC: Manchmal haben die Verantwortlichen Angst, dass Humor die Spannung verwässert. Dabei haben wir doch von den Amis gelernt, dass man genau mit humoristischen Elementen eine Fallhöhe schafft, die alles noch dramatischer erscheinen lässt.

Zelebrieren Sie die Abende, an denen Ihr „Tatort“ läuft?

UDO WACHTVEITL: Ich habe ihn noch nicht gesehen, ich mag mich nicht gern im Fernsehen anschauen. Das klingt jetzt wie eine aufgesetzte Marotte, entspricht aber der Wahrheit.

MIROSLAV NEMEC: Ich habe für den Sonntag Freunde eingeladen und mache ein privates Public Viewing. Ich kenne den Film auch noch nicht. Jetzt bin ich wirklich gespannt.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr

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