Oktoberfest: Dirndl und Lederhose? Früher trug kein Wiesn-Besucher Tracht
München - Bunte Dirndl, Lederhosen: Das tragen sie inzwischen alle auf dem Oktoberfest, Japaner, Amerikaner und Italiener genauso wie viele Einheimische. So sei es, heißt es, Tradition. Tatsächlich kam von den Anfängen des Volksfestes vor mehr als 200 Jahren bis in die 1990er Jahre kaum jemand auf die Idee, in Lederhose oder Dirndl zu kommen. Mehr: Das Dirndl als Modeform war noch gar nicht erfunden.
"Der Trachtenzwang auf der Wiesn hat keine historischen Entsprechungen", sagt Alexander Wandinger vom Trachten-Informationszentrum des Bezirks Oberbayern in Benediktbeuern. "Das Wiesn-Dirndl ist vor allem eine Partykleidung."
Kein Städter wäre damals in Tracht auf die Straße gegangen
Zur Zeit der ersten Oktoberfeste Anfang des 19. Jahrhunderts kamen die Damen im französischen Empirestil: Erlesene Stoffe, hochangesetzte Taille. Der Herr trat in Gehrock und mit Zylinder auf. In Blümchen und Karomuster oder in kurzer Lederhose wäre kein Städter auf die Straße gegangen: zu bäuerlich.
Die Wiesn entstand aus der Hochzeit von Kronprinz Ludwig I. mit Therese von Sachsen-Hildburghausen im Oktober 1810. König Max I. Josef hatte sie auch als Fest fürs Volk arrangiert. Das sollte nach der Proklamation des Königreichs das Gemeinschaftsgefühl fördern und die Ausrichtung auf die Residenzstadt München unterstreichen. So ließ man Kinderpaare in bäuerlichen Trachten aus allen bayerischen Regionen mit Blumen zum Königspavillon ziehen. Bauern kamen im Sonntagsgewand - was heute als Tracht gilt.
Das Dirndl wiederum war ursprünglich eine einfache Arbeitskleidung, Heugewand oder Leibegwand genannt, wie Wandinger sagt. Um 1900 entdecken die Städter die Sommerfrische, das Landleben – und damit auch das Dirndl. In der Stadt sah man es eher nicht. Niemand wäre auf die Idee gekommen, das Urlaubsoutfit auf der Wiesn anzuziehen.
Erst Mitte der 90er-Jahre trug der Münchner OB beim Anzapfen Tracht
Nicht zuletzt die jüdischen Brüder Wallach aus Westfalen, die in München ein Kleidungsgeschäft betrieben, beförderten den Einzug des Dirndls in die Stadt. "Die beiden waren totale Bayernfans", sagt die Münchner Kulturwissenschaftlerin Simone Egger. "Sie haben das Dirndl in der Stadt populär gemacht." In den 1930er Jahren passte es auch in Hitlers Heimatideologie. Aber auf der Wiesn: weiter Fehlanzeige.
Dort trug die Dame auch in der Nachkriegszeit Kleid oder Kostüm, der Herr Anzug und Krawatte. Oberbürgermeister Thomas Wimmer, der das Anzapf-Ritual erfand, schwang den Schlegel in dunkler Weste, Hemd und Krawatte, ebenso sein Nachfolger Hans Jochen Vogel. Seit Erich Kiesl war offenbar die Weste nicht mehr Pflicht: Fotos zeigen ihn beim Anzapfen jedenfalls nur in Hemd und Krawatte, wie seinen Nachfolger Erich Kronawitter. Auch Christian Ude kam zu Beginn der 1990er so. Erst Mitte der 1990er tauchte Ude in Lederhose in der Anzapfboxe auf.
Ude sei wie die damalige Wiesnchefin Gabriele Weishäupl ein Vorreiter gewesen, sagt Egger. "Sie wussten um ihre Funktion als Werbeträger." Der Trend fasst Fuß. "Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre beginnen junge Leute, Dirndl und Lederhose lustig zu finden", sagt Egger. "Es begann mit einer Generation, die sich nicht mehr so stark von Eltern abgrenzen musste wie vorher."
"Es ist fantastisch. Aber es ist nicht die echte Wiesn"
Ungefähr um diese Zeit wandelt sich auch das Bild des Oktoberfests. War es zuvor eher eine Belustigung für die Älteren und Familien mit Kindern, die zu Karussells und Zuckerwatteständen drängten, entdeckt nun die Jugend die Wiesn. Die Zelte spielen nicht mehr Blasmusik, sondern flotte Songs aus den Charts. Die Ausschnitte der Dirndl werden tiefer. Alles ist erlaubt - T-Shirts mit aufgedruckten Hosenträgern und Sepplhüte.
"Die Wiesn ist ein gesellschaftliches Ereignis", sagt Wandinger. "Gruppen geben sich Normen. Da eignet sich Trachtenmode sehr gut." Seitdem halten Dirndl und Lederhosen ihren ungebrochenen Siegeszug auf der Wiesn. "Es ist fantastisch. Aber es ist nicht die echte Wiesn – sondern auch die Sehnsucht nach dem alten 'Echten'", sagt Wandinger. Auch jenseits der Wiesn hält der Trend an. Empfänge oder Hochzeiten in Tracht oder trachtartigem Outfit: früher undenkbar, heute schick.
Söder und die Hirschlederne: Macht er so die oberbayerische Gebirgstracht populär?
In diesem Jahr werten Trachtler und Trachtenkenner das neue Lederhosen-Outfit von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach der Absage einer möglichen Kanzlerkandidatur als modebewusstes Bekenntnis zu Bayern.

Der Franke Söder hatte zum Anstich eine grün bestickte Hirschlederne getragen, wie sie traditionell im Alpenvorland üblich ist. "Historisch nachweisbar ist die kurze Lederhose in Franken nicht", sagt Wandinger mit Blick auf die fränkische Herkunft des Ministerpräsidenten. "Aber wenn er die oberbayerische Gebirgstracht damit populär macht – warum denn nicht? Er ist ja auch sonst sehr fantasievoll – zum Beispiel in Veitshöchheim", sagte Wandinger. "Ich habe den Eindruck, dass er schon Freude am Verkleiden hat. Die tieferen Beweggründe bleiben natürlich verborgen."
Söder auf der Wiesn: "Die Kombination ist schon in sich stimmig"
Auch der Sprecher des Bayerischen Trachtenverbandes, Anton Hötzelsberger, betont: "Wer Lederhosen trägt, ist ein Botschafter und Freund Bayerns. Da gibt es keine Aneignung." Es sei zumindest eine echte Lederhose und nicht das, was teils auf der Wiesn zu sehen sei. Auch der Vorsitzende des Bayerischen Trachtenverbandes, Günter Frey, wertete den Auftritt als "Bekenntnis".
Laut Wandinger passt die Hose auch zum neuen Bartwuchs des Ministerpräsidenten. "Die Kombination, die er da hingelegt hat, ist schon in sich stimmig."
Fränkischer Bund über Söder: "In München wechselt er zu Tracht und Bayern-Shirt"
Kritischer äußerte sich der Fränkische Bund, der sich für die Belange Frankens und fränkische Tradition einsetzt. "Herr Söder gibt sich gern als Franke – solange er in Franken unterwegs ist, dann streift er auch das Club-Trikot über. Und in München wechselt er zu Tracht und Bayern-Shirt. Darauf kann sich jeder selbst seinen Reim machen", sagte der Pressesprecher des Fränkischen Bundes, Christian Rechholz. Immerhin spreche Söder noch fränkisch.
"Manche machen Punkte, indem sie bei sich, also authentisch bleiben", ergänzte Rechholz. "Imponiert hat uns, als Marga Beckstein sich seinerzeit verweigert hat und selbstbewusst kein Dirndl getragen hat, weil sie ja Fränkin sei und das als Verkleidung empfunden hätte." Die frühere Ministerpräsidentengattin erschien zum Anstich im Kostüm – eigentlich ein Dirndlgate. Für die First Lady im Freistaat ist bei der Zeremonie das Gewand heute Pflicht.
Wirtesprecher Inselkammer gibt sich weltoffen: "Es ist ja ein Fest"
Die Ehefrau von Markus Söder, Karin Baumüller-Söder, kam 2018 im blauen Dirndl – mit weißer Bluse also praktisch in den Landesfarben. Söder lief im Trachtenanzug mit Krawatte auf.
Schotten kommen im Schottenrock, andere in Fantasiegewändern, und manches Dirndl erinnert mit Glimmer und Glitzer an einen Christbaum. Wirtesprecher Peter Inselkammer, selbst je nach Anlass rund um die Wiesn mal in Lederhose, mal mit Krawatte unterwegs, findet schlicht gut, dass sich Gäste herausputzen: "Es ist ja ein Fest."