Komplimente und gebrochene Herzen

Am Treffpunkt Schnapsstand kommt meine Freundin gut gelaunt an: Als sie sich vorhin Mandeln kaufte, sagte ein Mann zu ihr: „Du siehst wunderschön aus!“, dann ist er einfach weitergegangen.
Mir ist Ähnliches passiert. „Ruf deinen Freund an und sag ihm, was für ein glücklicher Mann er ist!“ – und weg war er. Auf der Wiesn wird geflirtet, angebandelt, rumgemacht, gegrapscht – und es werden, um ein bisschen Glück zu verbreiten, Komplimente verschleudert wie die Semmeln von gestern in der Bäckerei.
Gerade sind wir noch gerührt, weil das alles so nett ist, da bleiben zwei Herren stehen, um uns unverblümt zu fragen ob wir mit ihnen heimgehen, was wir dankend ablehnen. Wir machen lieber ein Foto mit den beiden Italienern, die nett darum gebeten haben. Die werden zwar sicher in der Heimat erzählen, wir wären mit ihnen mitgegangen, aber was soll’s.
Mehr von unserer Oktoberfest Kolumne: Und plötzlich im Halbdunkel
Ein junger Lederhosenträger bittet um zwei Zigaretten, die wir nicht haben, aber er nimmt dankend Tabak, um selbst zu drehen. Neben mir lässt er sich auf den Boden sinken und müht sich so lange ab, dass ich meine Hilfe anbiete. Aber er will es alleine schaffen. Als er die erste fertig hat, bietet er sie strahlend einem hübschen Mädchen an, das ihn gerade fragt: „Was machst du da?“ – „Ich hab’ dir eine Zigarette organisiert.“ Sie verdreht die Augen und geht. Mein Herz bricht stellvertretend mit. Er raucht die Zigarette selbst.
Am Zelteingang lehnt ein Mädchen und tippt so konzentriert eine Nachricht in ihr Handy, wie der Lederhosenträger Zigaretten gedreht hat. So konzentriert, dass es sich um einen schweren Fall von „don’t drink und text“ handeln muss, eine versoffene Nachricht an eine Ex-Liebe. Wie viele dieser Nachrichten von der Wiesn versendet werden, wird nicht erhoben – es müssen Hunderte sein.
Vor dem Rotor sitzt ein Pärchen, fertig mit der Wiesn, sie lehnen aneinander, oder sie stützt ihn. Schwer auszumachen. Vereint in ihrem Elend. Irgendwie rührend.