Chaos und Überfüllung auf dem Oktoberfest am Samstag: "Lage zu keinem Zeitpunkt entschärft"

Der zweite Samstag auf dem Oktoberfest wird zum Chaostag. Wegen einer Überfüllung musste das Festgelände gesperrt werden. Die Situation soll zu Panik geführt haben. In der AZ schildern Betroffene die Ereignisse. Und: Kritik an der Festleitung wird laut.
von  Felix Müller, Niclas Vaccalluzzo
300.000 Menschen gleichzeitig sollen am Samstagabend auf der Wiesn gewesen sein. Die Situation wurde unübersichtlich und die Festleitung musste Maßnahmen ergreifen (Symbolbild).
300.000 Menschen gleichzeitig sollen am Samstagabend auf der Wiesn gewesen sein. Die Situation wurde unübersichtlich und die Festleitung musste Maßnahmen ergreifen (Symbolbild). © Felix Hörhager/dpa

Es gibt Situationen, da ändert sich innerhalb weniger Sekunden die Lage dramatisch. Eben noch war ausgelassenes Gedränge, ein Schieben und Lachen wie an jedem normalen Wiesn-Samstag. Von einer Sekunde auf die andere wird aus der Bewegung Stillstand, aus Nähe bedrängende Enge und das Lachen der Besucher verstummt. Am Tag danach ist klar: Der zweite Wiesn-Samstag in diesem Jahr war keiner wie jeder andere.

Chaos und Überfüllung am Wiesn-Samstag: "Ich hatte Panik"

Wegen Überfüllung musste das Festgelände am Samstagabend für rund eine Stunde geschlossen werden. Einige Besucher sind deshalb in Panik geraten, die Kommunikation der Festleitung ist aus Sicht vieler völlig schiefgelaufen. "Am Anfang war alles ganz normal, wie an einem Samstag eben", schildert ein Besucher der AZ am Tag danach.

Dann sei es immer voller und voller geworden und irgendwann ging nichts mehr voran. "Von allen Seiten kam der Druck, du wurdest nur noch gequetscht", sagt der Besucher. Im Gedränge sei die Angst vor einem Anschlag aufgekommen, erzählt eine andere Augenzeugin. "Zu keinem Zeitpunkt wurde die Lage entschärft", sagt sie der AZ.

Dass das Festgelände lediglich wegen Überfüllung geschlossen wurde, sei nicht kommuniziert worden. "Ich hatte Panik und habe direkt an den Anschlag von damals gedacht", sagt die Wiesn-Besucherin.

Besucher schildern chaotischen Zuständen: "Kurz vor einer Massenpanik"

Zahlreiche Menschen berichten auch in den Sozialen Medien von den chaotischen Zuständen. "Es war schrecklich", schreibt eine Nutzerin. "Erwachsene Männer am Boden zitternd und weinend, alle waren kurz vor einer Massenpanik." Andere kritisieren die "kryptischen Lautsprecherdurchsagen", die für Panik gesorgt hätten. Laut Berichten seien diese nur auf Deutsch erfolgt.

Standlbetreiber Andreas Achmüller hat die Situation hautnah miterlebt.
Standlbetreiber Andreas Achmüller hat die Situation hautnah miterlebt. © Niclas Vaccalluzzo

Dass die Kommunikation über die Lautsprecher auf dem Gelände völlig schief gelaufen ist, erzählen auch zwei Standlbetreiber der AZ am Sonntag. Ihre Namen wollen sie nicht nennen, sie hätten die Anweisung bekommen nicht mit der Presse zu sprechen. (Eine Sprecherin der Festleitung teilt der AZ später mit, dass es sich dabei lediglich um eine Empfehlung gehandelt habe, um die Standlbetreiber zu entlasten.)

"Was los war, wusste keiner", sagt der Betreiber eines Souvenierstandls unweit der Bräurosl zur Situation am Samstag. "Das ist kurz an einer Katastrophe vorbeigeschrammt", sagt er.

Auch ein Mandelverkäufer in der Wirtsbudenstraße ist sicher: "Das war ganz schlecht abgewickelt." Jeder habe gedacht, es handle sich um eine Bombenwarnung, sagt der Mann. Erst nach 1,5 Stunden habe er selbst Informationen bekommen, was los ist.

Wie dramatisch die Lage war, schildert auch Andreas Achmüller, Betreiber der "Herzerl Bude". "Es war sehr eng, die Leute konnten sich nicht mehr bewegen", sagt er der AZ. Auch er bestätigt: "Niemand wusste, was los ist." Er arbeite schon einige Jahre auf der Wiesn, so etwas habe er noch nicht erlebt: "Wir hatten es so ähnlich schon öfter, aber so extrem noch nie."

Kettenkarussell bleibt für eine Stunde stehen

Zu einer skurrilen Situation kam es zudem an anderer Stelle. Zahlreiche Fahrgeschäfte standen zur Zeit der Überfüllung still. Auf dem rund 80 Meter hohen Kettenkarussell "Jules Verne Tower" hingen die Fahrgäste aber noch in der Luft.

Der Jules Verne Tower blieb am Samstag für eine Stunde stehen – mit den Fahrgästen noch in den Sitzen.
Der Jules Verne Tower blieb am Samstag für eine Stunde stehen – mit den Fahrgästen noch in den Sitzen. © IMAGO/Zoonar.com/SandraAlkado

Marlis Löwenthal, Betreiberin des Jules Verne Tower auf der Wiesn berichtet der AZ, dass zur Zeit der Überfüllung ein Netzteil ausgefallen sei. Das habe dazu geführt, dass die Fahrgäste rund eine Stunde in der Luft ausharren mussten. Das Netzteil konnte schließlich ausgetauscht werden und der Betrieb laufe inzwischen wieder normal.

Kritik an kryptischen Durchsagen – berechtigt?

Bei der Halbzeit-Bilanz-Pressekonferenz am Sonntag äußern sich die Verantwortlichen zu dem Chaostag. "Wir hatten gestern 300.000 Menschen gleichzeitig auf dem Festgelände", sagt Wiesn-Chef Christian Scharpf (SPD). Dies entspreche der Einwohnerzahl der Stadt Augsburg.

Er verweist darauf, dass an guten Tagen rund 500.000 Menschen auf dem Gelände sind – über den ganzen Tag verteilt. "Dass sich die alle so schnell zusammengeballt hatten, war nicht vorhersehbar."

An manchen Stellen auf der Theresienwiese sei es zu "schwierigen Situationen, wo es zu eng war" gekommen, so Scharpf. Bis zu dem Zeitpunkt der Zusammenballungen sei es relativ entspannt gewesen auf dem Gelände. Zum Reservierungswechsel in den Zelten gegen 17 Uhr habe sich die Situation dann verändert.

So kam es zur Räumung der Festwiese

Gemeinsam habe man entschieden, das Gelände zu sperren und die Menschen aufzufordern, nicht mehr zu kommen. Auch seien die Stationen Theresienwiese und Schwanthalerhöhe nicht mehr angefahren worden.

Verletzte habe es während der gestrigen Überfüllung nicht gegeben. "Natürlich war das nicht bequem für viele", sagt der Wiesn-Chef. Es habe sich aber um eine "sehr kurze Situation" gehandelt.

Nach rund einer Stunde seien die Maßnahmen wieder zurückgefahren worden. "So schnell es gekommen ist, so schnell war es auch wieder weg", sagt Scharpf, "wie ein kurzes Sommergewitter".

Was die Kommunikation auf dem Gelände angeht, zeigt sich Scharpf aber auch selbstkritisch: "Nicht ganz so optimal", sei die Kommunikation über die Lautsprecheranlage gelaufen. Die seien etwas unglücklich gewesen, sagte er. Darin sei zunächst nicht begründet worden, was der Grund für die Schließung sei.

Forderung nach Aufarbeitung der Ereignisse

Jetzt gilt es, den Chaos-Samstag aufzuarbeiten. Auch in Stadtverwaltung und -politik dürfte der Vorfall noch zu größerer Unruhe führen.

Das KVR, das die Sicherheitskonzepte abnimmt, will sich am Sonntag auf AZ-Anfrage nicht äußern, verweist auf die Festleitung. CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl, selbst seit Langem mit der Wiesn befasst, hingegen sagt der AZ: "Dieser Samstag war wahrlich kein Ruhmesblatt. Das muss aufgearbeitet werden."

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