Ohne uns gäb’s keine Kanzlerin

Im ersten Interview seit ihrem Abgang spricht Münchens erste Bürgermeisterin über Frauen in der Politik, die Bilanz einer Ära und ihr Leben in der Toskana.
von  Abendzeitung
Sabine Csampai inmitten ihrer Schafherde.
Sabine Csampai inmitten ihrer Schafherde. © Csampai

Im ersten Interview seit ihrem Abgang spricht Münchens erste Bürgermeisterin über Frauen in der Politik, die Bilanz einer Ära und ihr Leben in der Toskana.

Sie war eine große Autorität und eine Galionsfigur der Grünen: Sabine Csampai (58). Die Bühnen- und Kostümbildnerin kam 1984 in den Stadtrat und wurde am 2. Mai 1990 sensationell die erste Bürgermeisterin in der Geschichte Münchens. Das als Grüne. Sechs Jahre später gab sie das Amt unter Verzicht auf Pensionsansprüche auf, trat 2001 aus Protest gegen den Afghanistan-Beschluss der Grünen aus der Partei aus und verließ 2002 den Stadtrat. Sie schrieb drei Bücher und zog sich in das malerische Toscana-Dorf Montemerano zurück.

AZ: Grüß Gott Frau Csampai, was machen Sie gerade?

SABINE CSAMPAI: Ich habe heute ein neues Merinoböckchen zu meiner Herde gebracht.

Wie geht es Ihnen?

Sehr gut!

Und wie leben Sie heute?

Hier in Italien mache ich mit Leidenschaft keramische Objekte nach einer prähistorischen Brennmethode der alten Etrusker. Davon lebe ich auch. Daneben habe ich eine kleine Landwirtschaft und mache Olivenöl, Wein und Merinowolle, ich baue biologisches Gemüse, Obst und anderes an, was auf meinem Grundstück wächst und gedeiht. Ich habe Schafe, Hunde und Hühner. Und dann vermiete ich auch ein Ferienhaus. Dabei habe ich nach wie vor meinen Hauptwohnsitz in München.

Das ist eine ganz andere Lebensweise geworden.

Es war, seit ich denken kann, immer mein Traum, mit Tieren und Pflanzen zu leben und Kunst zu machen. Das heißt für mich, „grün“ zu leben.

Beobachten Sie die Ereignisse im Rathaus noch?

Ja, ich war erst kürzlich auf der Tagung zu Harare. Doch ich verfolge jetzt hauptsächlich die Bundespolitik. Ich bin nicht unglücklich darüber, wenn ich diese Bordsteinkantenabsenkerei nicht mehr im Detail mitkriege. Es würde vielen gut tun, wenn sie sich nicht so festbeißen würden.

Was war das für ein Gefühl, die erste Bürgermeisterin Münchens zu sein?

Das war super! Das war für uns in der Fraktion, in der wir eng und freundschaftlich zusammengearbeitet hatten, der Höhepunkt nach sechs Jahren im Rathaus. Die Zeit war reif. Wir haben mit Leidenschaft und Spaß Politik gemacht. Das vermisse ich ein bisschen, wenn ich jetzt der Politik zuschaue. Man hat heute auch bei jungen Politikern nicht das Gefühl, dass da irgendwas brennt. Vielleicht ist das nur eine Romantisierung.

Was stört Sie besonders?

Es ist alles unheimlich pragmatisch. Das ist nicht das, was wir brauchen. Was mir fehlt und was wir Grüne leider auch nicht geschafft haben, ist: Wir müssen versuchen, ein anderes Weltbild durchzusetzen. Wir sind angetreten, diesen Wahnsinn einer Wachstumsgesellschaft zu ändern. Das ist uns leider nicht geglückt. Alle setzen weiter auf Wachstum, obwohl vollkommen klar ist, dass wir damit die Welt inzwischen endgültig und zügig ruinieren.

Was ist da schief gelaufen?

Die Diskussion ist leider nicht geglückt, dass eine Gesellschaft andere Zusammenhänge hat als nur Konsum und Geld. Das wird nur in Randgruppen diskutiert.

Wie sollte das andere Weltbild aussehen?

Wir müssen runter von dem Wahnsinn einer kapitalistisch orientierten Wachstumsgesellschaft. Die Natur geht kaputt und jeden Tag sterben Arten aus und wir haben die Klimakatastrophe vor uns. Das haben wir vor 20 Jahren schon gesagt. Und was in Kopenhagen passiert ist, das treibt einem die Tränen in die Augen. Wir hinterlassen den Kindern Schulden, so dass sie keinen Bewegungsspielraum mehr haben. Die Menschen haben wirklich den Karren in den Dreck gefahren, obwohl sie die Freiheit hatten, sich anders zu entscheiden. Jeder, der davon geredet hat, wurde immer als Spinner bezeichnet.

Würden Sie heute wieder bei den Grünen eintreten?

Logisch! Die Grünen sind immer noch die Partei, die mir inhaltlich am nächsten ist.

Wegen des Afghanistan-Ja der Grünen sind Sie 2001 ausgetreten.

Heute ist erwiesen, dass ein Widerstand dagegen sinnvoll gewesen wäre.

Was bleibt in der Erinnerung an Höhen zurück?

Einfach die Tatsache, dass man als Frau vorne steht. Das war eine entscheidende Sache, um die Sehgewohnheiten zu verändern. So wären eine Frau als Kanzlerin und ein schwuler Außenminister ohne uns Grüne nicht möglich gewesen. - Auch wenn wir uns das in den Personen anders vorgestellt haben.

Und die Tiefen?

Ich fand es unerträglich, wie die Presse mit einem umgeht, wie man aus unerfindlichen Gründen öffentlich hergewatscht wird. Das hat mir auch sehr weh getan, und das war auch einer der Gründe, warum ich gesagt habe, das mache ich nicht mehr mit. Ich habe einen Stolz, und ich kann es nicht haben, wenn darauf herumgetrampelt wird.

Haben Sie damals geglaubt, dass Rot-Grün so lange hält?

Ja. Nicht, weil wir so toll sind. Ich fand uns schon toll, aber ich kenne unsere Schwächen. Sondern weil die CSU so grauenhaft schwach ist. Das ist eine Katastrophe. Vielleicht ist auch alles so langweilig, weil die Opposition nicht funktioniert.

Was wünschen Sie dem rot-grünen Geburtstagskind?

Es geht mir mehr um München. Ich wünsche München eine Erneuerung, aber keinesfalls durch eine CSU-Mehrheit. Von OB Ude abgesehen, der auch nicht ewig Bürger-King sein kann, tut sich die SPD halt schwer, angemessen auf die Zukunftsfragen zu reagieren. Der Spagat zwischen Alt-Arbeiterpartei und Schröderschen Antisozialmodernismus überzeugt niemand. Doch wenn Grün so weiterwächst, dann gibt’s Grün-Rot, und das ist die beste Alternative für München.

Willi Bock

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