Obdachlose in München: Die Straßen werden voller
München - Markus wartet vor der Teestube "komm". Mit ihm noch andere Obdachlose, die Schlange stehen und darauf warten, dass der Tagesaufenthalt öffnet.
"Ich komme gerne her. Man kann sich draußen hinsetzen, wenn die Sonne scheint. Keiner macht Stress, es gibt super Essen und ein Kaffee kostet 20 Cent. Das könnte ich mir sonst nicht kaufen."

Seit drei Monaten ist Markus, der eigentlich anders heißt, wieder obdachlos. Er hat Schizophrenie, zu viel Amphetamin genommen. Mit 14 hat er damit angefangen, und seit 30 Jahren wird er immer wieder rückfällig.
In eine Unterkunft? "Zu viel Kontrolle"
Sein Freund steht auch Schlange, will nicht viel reden. Er übernachtet auf der Straße, will nicht sagen wo. In eine Unterkunft will er nicht. "Zu viel Kontrolle. Man hat kein eigenes Leben mehr, keine Privatsphäre", sagt der Freund.
Tagsüber sind beide am liebsten in der Teestube in der Zenettistraße. Die Nächte verbringt Markus in einer Münchner Notunterkunft. Sein Zimmer teilt er sich mit einem weiteren Obdachlosen. Besser als im Übernachtungsschutz, da waren sie zu fünft, sagt Markus. Bis auf Geflüchtete, die bereits eine Residenzpflicht haben, kann dort jeder Schutz suchen. Amir, der auch einen anderen Namen hat, lebt derzeit dort.
Wie viele Menschen auf der Straße leben, weiß die Stadt nicht
Sie sind nicht die einzigen in der superreichen Stadt München, die keine Wohnung haben oder auf der Straße leben. Im Jahr 2012 wurde die Zahl der Obdachlosen auf etwa 550 Menschen geschätzt. Seitdem wurden die Daten von der Landeshauptstadt München nicht mehr aktualisiert.
Obdachlose in Deutschland: Vermutlich Anstieg um 33 Prozent
Eine offizielle Zählung von obdachlosen Menschen, die auf der Straße leben, ist schwierig umzusetzen, die Pandemie erschwerte es zusätzlich.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe geht aber von einem deutschlandweiten Anstieg um 33 Prozent aus. Das sind ungefähr 52.000 obdachlose Menschen in Deutschland.
Auch die Wohnungslosenhilfen in München registrieren eine Zunahme der Besucher in ihren Einrichtungen. Die Zahl 550 kann daher weder von der Landeshauptstadt München noch von Experten als realistisch betrachtet werden. Eine Ausschreibung für die Studie "Obdachlose Menschen auf der Straße in der Landeshauptstadt München" wurde 2019 verschickt.
München: Der Klientenbestand der Teestube steigt stetig
Letztendlich wurde das Sine-Institut für die Erstellung der Studie beauftragt. Konkrete Ergebnisse liegen noch nicht vor - diese sind aber dringend notwendig, um langfristige Lösungen für die steigende Obdachlosigkeit zu finden.

Träger der Einrichtungen Teestube sowie der Anlaufstelle Schiller 25 für den Übernachtungsschutz ist das Evangelische Hilfswerk. Der Klientenbestand im Tagesaufenthalt der Teestube und bei der Streetwork ist in den letzten 17 Jahren gestiegen, 2005 waren es noch 960 Hilfesuchende.
Wohnungssuche: Obdachlose werden oft von Maklern abgewiesen
Fünf Jahre später hingegen 1.048 und im Jahr 2018 waren es sogar 1.847. In den vergangenen beiden Pandemiejahren sind die Zahlen zwar wieder gesunken, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ist die Obdachlosigkeit im Allgemeinen weiter in die Höhe geschossen.
Und die meisten Einrichtungen sind laut Franz Herzog, Leiter der Teestube, zusätzlich "verstopft". Er sagt: "Das hängt mit dem Wohnungsmarkt in München zusammen, den es eigentlich nicht gibt. Und wenn es Wohnungen gibt, sind sie in der Regel überteuert."
Ein Obdachloser, der eigentlich bereit wäre, in eine eigene Wohnung zu ziehen, bekomme nicht die Chance. Denn es gibt kaum erschwinglichen Wohnraum und erst recht nicht für Obdachlose, die oft von Maklern abgewiesen werden. So verstopfen sie die Wohnheime für die nächsten Obdachlosen, erklärt Herzog.
Nichts zum Anziehen und kein Geld: Die Kleiderkammer hilft
Obwohl er keine eigene Wohnung hat, gehe es ihm gut, sagt Markus. Mit den 350 Euro Hartz 4 komme er gut über die Runden. Er kann sich Tabak leisten, und wenn er Lust hat, kann er sich auch was zum Essen holen.
Für Kleidung hat er kein Geld, das ist aber kein Problem, denn es gibt ja noch die Kleiderkammer. Ihm tun eher die anderen leid, die hier in Deutschland nicht mal Sozialhilfe bekommen.
Er spricht über die Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien. "Und dann auf der Straße, das ist richtig bitter. Denen geht es noch viel, viel, viel schlechter als mir. Also ich weiß nicht, ob ich das packen würde", sagt Markus.
Auch Menschen mit Arbeit leben in Obdachlosenheimen
Im Zuge der Erweiterung der Europäischen Union 2007 durch Rumänien und Bulgarien stieg die Zuwanderung dieser Bevölkerungsgruppen in Deutschland. Auch nach München kommen immer wieder "Menschen, aus bitterster Armut, die sich auf den Weg hierher machen, in der Hoffnung Arbeit zu finden", bestätigt Herzog.
An manchen Tagen waren in der Teestube bei 70 Sitzplätzen 15 bis 20 Einheimische. Der Rest bestand aus Zugewanderten, zum Beispiel aus Bulgarien, Polen und Italien, erklärt Herzog. Im Gespräch mit diesen Menschen stellte sich heraus, dass sie viel zu wenige Möglichkeiten zum Tagesaufenthalt haben.
Das ewige Problem: Es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum
Während der Corona-Pandemie verschärfte sich die Situation. Dies war unter anderem ein Grund, weshalb der Kälteschutz in der ehemaligen Bayernkaserne zum ganzjährigen Übernachtungsschutz, speziell für Migrantinnen und Migranten aus der EU, erweitert wurde.
Prinzipiell können alle Obdachlosen in der ehemaligen Bayernkaserne bleiben. Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft, wie Markus, haben aber einen Anspruch auf einen Pensionsplatz im regulären Wohnungslosensystem. Daher werden diese zügig weitergeleitet.
Im Übernachtungsschutz gibt es in jedem Zimmer zwölf Betten. Während der Corona-Pandemie wurden pro Zimmer etwa sechs bis acht Betten besetzt. Trotzdem konnte jedem Hilfesuchenden ein Bett angeboten werden.
Amir: "Ich muss arbeiten, um zu leben"
In einem dieser Betten schläft heute Amir. Vor einigen Monaten kam er in Deutschland an. Davor hatte er in Italien gelebt. Geboren ist er in Mali. Weder dort, noch in Italien war er obdachlos.
Doch im vergangenen Jahr ging die Firma, in der er arbeitete, bankrott. Für vier Monate bezog er Arbeitslosengeld, Aussicht auf einen neuen Job hatte er nicht.
Seine letzte Hoffnung: eine Arbeit in Deutschland, in München. "Ich muss arbeiten, um zu leben. Ich will kein Dieb werden", sagt Amir. Deshalb machte er sich auf den Weg nach München. Einen Tag nach der Ankunft findet er sich im Übernachtungsschutz wieder. Ohne Arbeit, ohne deutschen Aufenthaltstitel ist Amir obdachlos. Muss sich ein Zimmer mit sieben Männern teilen.
Sein Hab und Gut bewahrt er in einem Schrank auf, von den Ausmaßen eines größeren Reisekoffers. Er möchte aber nicht lange hierbleiben, lieber möchte er auf eigenen Beinen stehen. Eine Arbeit hat er bereits gefunden, bei McDonald's.
Amir, der für seinen Sozialarbeiter als Musterbeispiel gilt, und auch gerne anderen Obdachlosen hilft, sitzt vor seinem Berater. Gemeinsam füllen sie einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis aus. Wenn alles gut läuft, schafft es Amir aus der Obdachlosigkeit, in die immer mehr Menschen in München fallen.
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