Obdachlos: Jetzt trifft es die Münchner Mittelschicht
München - Neulich war wieder so ein Fall. Da stand Elisabeth K. (38; Name geändert), berufstätige Anwaltsassistentin, vor der Tür mit ihrem Koffer. Sie wisse nicht mehr, wohin, sie habe seit der Trennung von ihrem Mann kein Dach mehr über den Kopf. Sie könne nicht länger bei ihrer Schwester auf dem Sofa wohnen und bei ihren Freunden auch nicht mehr.
Allein-Einkommen reicht oft nicht für Miete in München
"Natürlich haben wir sie hereingebeten", sagt Isabel Schmidbauer, und sie sieht ernst aus dabei. "Das haben wir immer öfter in letzter Zeit. Dass Frauen bei uns stranden, die eigentlich zur Münchner Mittelschicht gehören. Die ganz normal arbeiten, ihre Sorgen im Job und vor den Freunden verbergen - und trotzdem sind sie wohnungslos." Weil sie sich vom Allein-Einkommen einfach keine Wohnung in München leisten können.

Isabel Schmidbauer leitet das Frauenobdach Karla51, eine Erstanlaufstelle des Evangelischen Hilfswerks, die seit 24 Jahren in der Karlstraße Frauen aufnimmt, die nicht (mehr) wissen, wohin.
Frauenobdach Karla51: 2.000 Anfragen im Jahr
An die 2.000 Anfragen kommen jedes Jahr, nur jeder zehnten Frau in Not kann hier geholfen werden, denn die Zimmerzahl ist begrenzt: 40 gibt es im Gebäude an der Karlstraße, seit zwei Jahren hat das Karla ein paar Meter weiter noch eine kleine Dependance mit weiteren 15 Zimmern. Nur ein einziges ist aktuell frei.
Schon seit einigen Jahren hat man hier festgestellt, dass die Zahl berufstätiger Frauen, die in Not geraten, steigt. "Auch Krankenschwestern oder Grafikdesignerinnen verlieren ihre Wohnungen und stehen plötzlich ohne Obdach bei uns", sagt Isabel Schmidbauer. Oder Frauen, deren Job an die Unterkunft gekoppelt war - wie Zimmermädchen - und die mit der Arbeit dann auch ihre Unterkunft verlieren. Massiv betroffen sind Frauen mit Kindern: 2005 waren noch 15 Kinder mit ihren Müttern im Haus. Heuer sind es 37 Kinder. "Bis Weihnachten werden es noch mehr werden", sagt die Karla51-Chefin.
Kurzarbeit und Jobverlust durch Corona-Krise sind Treiber der Obdachlosigkeit
Corona und die Folgen der Pandemie wie Kurzarbeit und Jobverlust würden die Lage in Kürze massiv verschärfen. Gerade für Schwangere, Alleinerziehende und ältere Frauen mit Minirente - immer mehr würden wegen Mietschulden aus ihren Wohnungen geklagt oder wegen Eigenbedarfs gekündigt. Allein im Karla51 leben aktuell sieben Rentnerinnen, die eine Eigenbedarfskündigung obdachlos gemacht hat.
"Helfen kann nur, dass die Stadt mehr günstige Wohnungen baut", sagt Isabel Schmidhuber. "Oder dass Vermieter Wohnungen günstiger vermieten als zu Höchstpreisen."
Die Anwaltsassistentin Elisabeth K. ist vom Karla51 aus fündig geworden und hat nach sechs Wochen eine für sie bezahlbare Wohnung gefunden. Allerdings weiter draußen in Fürstenfeldbruck. In München: aussichtslos.
Lebensplätze für Frauen: Ein Heim für Seniorinnen
Besonders schwer ist eine Obdachlosigkeit für Frauen im Alter. Das Evangelische Hilfswerk hat deshalb am Harthof ein besonderes Projekt gegründet: "Lebensplätze für Frauen". 26 Frauen im Alter von 50 bis weit über 80 Jahren, die zuvor jahrelang wohnungslos gewesen waren, und die in anderen Einrichtungen nicht bleiben wollten (oder dort nicht mehr bleiben konnten, weil ihre psychischen Probleme zu groß wurden), haben hier ein Zuhause für immer gefunden. Sie wohnen in eigenen Apartments mit Küche, Bad und Balkon. Und sie bekommen besondere Betreuung, die ein selbstständiges Wohnen möglich macht. Kontakt: lebensplaetze@hilfswerk-muenchen.de
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