Obdachlos: Jetzt trifft es die Münchner Mittelschicht

Tag der Wohnungslosen: Im Frauenobdach Karla51 stranden immer mehr Frauen auch mit Kindern. Menschen, die gerade noch ein ganz normales Leben hatten.
Irene Kleber |
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Sie kümmert sich seit Jahren um Frauen, die ihre Wohnung verloren haben: Isabel Schmidhuber, die Leiterin des Frauenobdachs Karla51.
Sie kümmert sich seit Jahren um Frauen, die ihre Wohnung verloren haben: Isabel Schmidhuber, die Leiterin des Frauenobdachs Karla51. © Bernd Wackerbauer

München - Neulich war wieder so ein Fall. Da stand Elisabeth K. (38; Name geändert), berufstätige Anwaltsassistentin, vor der Tür mit ihrem Koffer. Sie wisse nicht mehr, wohin, sie habe seit der Trennung von ihrem Mann kein Dach mehr über den Kopf. Sie könne nicht länger bei ihrer Schwester auf dem Sofa wohnen und bei ihren Freunden auch nicht mehr.

Allein-Einkommen reicht oft nicht für Miete in München

"Natürlich haben wir sie hereingebeten", sagt Isabel Schmidbauer, und sie sieht ernst aus dabei. "Das haben wir immer öfter in letzter Zeit. Dass Frauen bei uns stranden, die eigentlich zur Münchner Mittelschicht gehören. Die ganz normal arbeiten, ihre Sorgen im Job und vor den Freunden verbergen - und trotzdem sind sie wohnungslos." Weil sie sich vom Allein-Einkommen einfach keine Wohnung in München leisten können.

Das Karla51 in der Karlstraße 51 bietet Platz für 55 Frauen in Not.
Das Karla51 in der Karlstraße 51 bietet Platz für 55 Frauen in Not. © Bernd Wackerbauer

Isabel Schmidbauer leitet das Frauenobdach Karla51, eine Erstanlaufstelle des Evangelischen Hilfswerks, die seit 24 Jahren in der Karlstraße Frauen aufnimmt, die nicht (mehr) wissen, wohin.

Frauenobdach Karla51: 2.000 Anfragen im Jahr

An die 2.000 Anfragen kommen jedes Jahr, nur jeder zehnten Frau in Not kann hier geholfen werden, denn die Zimmerzahl ist begrenzt: 40 gibt es im Gebäude an der Karlstraße, seit zwei Jahren hat das Karla ein paar Meter weiter noch eine kleine Dependance mit weiteren 15 Zimmern. Nur ein einziges ist aktuell frei.

Schon seit einigen Jahren hat man hier festgestellt, dass die Zahl berufstätiger Frauen, die in Not geraten, steigt. "Auch Krankenschwestern oder Grafikdesignerinnen verlieren ihre Wohnungen und stehen plötzlich ohne Obdach bei uns", sagt Isabel Schmidbauer. Oder Frauen, deren Job an die Unterkunft gekoppelt war - wie Zimmermädchen - und die mit der Arbeit dann auch ihre Unterkunft verlieren. Massiv betroffen sind Frauen mit Kindern: 2005 waren noch 15 Kinder mit ihren Müttern im Haus. Heuer sind es 37 Kinder. "Bis Weihnachten werden es noch mehr werden", sagt die Karla51-Chefin.

Kurzarbeit und Jobverlust durch Corona-Krise sind Treiber der Obdachlosigkeit

Corona und die Folgen der Pandemie wie Kurzarbeit und Jobverlust würden die Lage in Kürze massiv verschärfen. Gerade für Schwangere, Alleinerziehende und ältere Frauen mit Minirente - immer mehr würden wegen Mietschulden aus ihren Wohnungen geklagt oder wegen Eigenbedarfs gekündigt. Allein im Karla51 leben aktuell sieben Rentnerinnen, die eine Eigenbedarfskündigung obdachlos gemacht hat.

"Helfen kann nur, dass die Stadt mehr günstige Wohnungen baut", sagt Isabel Schmidhuber. "Oder dass Vermieter Wohnungen günstiger vermieten als zu Höchstpreisen."

Die Anwaltsassistentin Elisabeth K. ist vom Karla51 aus fündig geworden und hat nach sechs Wochen eine für sie bezahlbare Wohnung gefunden. Allerdings weiter draußen in Fürstenfeldbruck. In München: aussichtslos.

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Lebensplätze für Frauen: Ein Heim für Seniorinnen

Besonders schwer ist eine Obdachlosigkeit für Frauen im Alter. Das Evangelische Hilfswerk hat deshalb am Harthof ein besonderes Projekt gegründet: "Lebensplätze für Frauen". 26 Frauen im Alter von 50 bis weit über 80 Jahren, die zuvor jahrelang wohnungslos gewesen waren, und die in anderen Einrichtungen nicht bleiben wollten (oder dort nicht mehr bleiben konnten, weil ihre psychischen Probleme zu groß wurden), haben hier ein Zuhause für immer gefunden. Sie wohnen in eigenen Apartments mit Küche, Bad und Balkon. Und sie bekommen besondere Betreuung, die ein selbstständiges Wohnen möglich macht. Kontakt: lebensplaetze@hilfswerk-muenchen.de

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121 Kommentare
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  • Berger am 20.09.2020 13:52 Uhr / Bewertung:

    Wenn man versucht, auf einen Kommentar zu antworten, wird die Antwort an die falsche Stelle gesetzt. Die Software hat also einen Bug. Das sollte ausgebessert werden.

  • am 13.09.2020 23:05 Uhr / Bewertung:

    Das ist kein typisch Münchner Problem. Es geht in allen größeren Städten so und nachdem wir uns an den Bürgerentscheid zu Hochhäusern und die fehlende Bebauung der Panzerwiesn erinnern dürfen wir uns fragen, was diese großen Städte denn gemeinsam haben?!
    Richtig! Sie werden von Linken regiert.
    Und was können wir daraus schließen?
    Sozialismus ist halt nicht sozial!

  • Berger am 15.09.2020 11:27 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von

    Wo ist meine Antwort hin? Was gibt es da zu zensieren?
    Ziemlich ärgerlich, die Unterdrückung einer Meinung, die rein zufällig der von diesem neoliberalen Tr oll ("Sozialismus ist halt nicht sozial!") widerspricht.
    Der darf dafür gleich zwei mal den selben Käse abschicken. Dass wir angeblich im Sozialismus leben würden und dass rotgrün Schuld an den Zuständen hat, sind aber gleich zwei Märchen in wenigen Sätzen.

    Auf die Frage, was rotgrün denn gegen die kapitalistischen Auswüchse hätte machen sollen, kommt natürlich auch nie eine Antwort, denn das, was rotgrün hätte tun können, wäre von den selben Auftragshetzern dann nämlich auch wieder als "Kommunsismus" verunglimpft worden. So wie sie zur Zeit alles als Kommunismus hinstellen, das nach Gerechtigkeit und einem humanen Sozialverhalten aussieht.

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