„Nächster Halt: Höllriegelskreuth“
MÜNCHEN/BERLIN - Münchens neue S-Bahn-Stimme Regina Wallner war beim Sprech-Marathon im Studio der Berliner Spezialfirma GSP. Ab Dezember ist das Ergebnis in allen Zügen zu hören.
Regina Wallner steht im Tonstudio der Gesellschaft für elektronische Sprachsysteme (GSP) in Berlin-Steglitz. Um sie herum wurlt’s und wuselt’s. Ein vierköpfiges TV-Team des Bayerischen Rundfunks drängt sich mit den GSP-Technikern und -Spezialisten und mit S-Bahn-Projektleiter Frank Hole in dem schmucklosen Büro-Raum. Die 30-Jährige schaut auf die kleine, schallisolierte Aufnahme-Kabine. In der wird sie die nächsten Stunden sitzen. Und am laufenden Band Sätze sprechen wie „Nächster Halt: Höllriegelskreuth“. Vor Regina Wallner liegt ein hartes Stück Arbeit.
Aus rund 220 Bewerbern um den (ehrenamtlichen) Posten der Münchner S-Bahn-Stimme wurde die Frau aus der Verkehrsredaktion des Bayerischen Rundfunks in einem aufwändigen Casting ausgewählt (AZ berichtete). Wichtigstes Kriterium: Die Ansagen sollen eine deutlich erkennbare bairische Einfärbung bekommen – aber trotzdem auch von Nicht-Bayern verstanden werden. Jetzt ist die entscheidende Phase dran: die Aufnahmen im Tonstudio der GSP. Regina Wallner ist logischerweise ein bisschen aufgeregt. Das TV-Team hat die Sache nicht einfacher gemacht. Und ein Tontechniker weiß: „Das dauert ein bisschen, bis die Stimme wieder normal ist.“
Schon beim vorbereitenden Gespräch mit GSP-Vertriebschef Martin Schlesinger und dem Chef der Streckennetz-Programmierung, Alexander Schlegel, hatte die Münchnerin mit Wurzeln am Chiemsee erste Verhaltensregeln bekommen: kein Mineralwasser mit Kohlensäure – warum, ist klar. Und bitte auch keine zuckerhaltigen Sachen – weil die den Speichel verschleimen. Und das hört man.
Vier Stunden pro Tag - mehr hält die Stimme nicht aus
Maximal zwei mal zwei Stunden pro Tag soll die 30-Jährige die neuen Ansagen für sämtliche S-Bahn-Linien und die 148 Haltestellen ins Mikro sprechen. „Mehr kann man der Stimme einfach nicht zumuten“, so Alexander Schlegel. „Die meisten Ansagen sprechen Sie zwei Mal. Wir wählen dann die schönere Version aus.“
Natürlich ist die GSP als europäischer Marktführer für die Kommunikationssysteme in öffentlichen Verkehrsmitteln technisch auf dem allerneuesten Stand. Mit ihren Computern können die Berliner Spezialisten selbstverständlich einzelne Wörter aus den Sätzen rausschneiden und zu organisch wirkenden neuen Sätzen zusammenfassen. Das ist, wie der Laie hier lernen kann, wichtig für die Satzmelodie. Weil nämlich Wörter, die in der Mitte stehen, nicht „final“ gesprochen werden. Sondern „medial“. Das klingt natürlicher.
Und dann geht’s los. Regina Wallner holt noch letzte Hinweise bei Projektleiter Frank Hole ein. „Sie werden sicher das rechte Maß bei der Dialekt-Einfärbung finden“, spricht der ihr Mut zu. „Sprechen Sie einfach so, dass Sie sich nicht verstellen müssen.“ Die neue Stimme zieht sich in ihre karg eingerichtete Sprecherkabine zurück, auf dem Flur leuchtet neben dem Schild „Bitte Ruhe! Sprachaufnahme“ das rote Licht. Die Tontechniker Christian Meyer und Sven Klasmeier schalten die Aufnahmegeräte scharf. Von den zwei Profis bekommt Regina Wallner die Regieanweisungen. Zum Beispiel: „Noch einmal, bitte – und etwas freundlicher.“
Lieber „nächster“ oder „näxter“? „Wir nehmen beides auf und wählen das bessere aus“, beruhigt Meyer die Stimme aus München. Zunächst wird hintereinander weg ein „Block“ aufgesprochen, der mehrere Din A4-Seiten umfasst. Dann die Wiederholung – „damit wir eine zweite Version haben“.
Immer wieder werden neue Tonlagen probiert
Doch zwei Mal reicht nicht immer – auch, weil Regina Wallner selbst noch nicht so ganz mit ihrer Ansage zufrieden ist. „Nächster Halt: Giesing“ – bis zu vier, fünf Mal werden die einzelnen Sätze wiederholt, in unterschiedlichen Tonlagen. Bei Ortsnamen wie Vierkirchen-Esterhofen oder der künftigen S-Bahnstation Hirschgarten probieren Sprecherin und Techniker besonders viel herum. Oder sie recherchieren, wenn sich die Unsicherheit über die richtige Betonung nicht ausräumen lässt, auch schnell noch mal telefonisch bei Kollegen.
„Die Stimme hat gehalten“, so Regina Wallner nach Abschluss des zweitägigen Sprech-Marathons. Eine Menge Konzentration war nötig, um die unzähligen Ansagen in den Kasten zu bekommen. Zunächst glaubte die Sprecherin nicht so recht, dass sie ihrer Stimme nach etwa vier Stunden konzentrierter Arbeit eine Erholungspause gönnen muss. „Aber hinterher bemerkt man dann, was das für eine Anspannung war. „Nicht ausgehen und nicht sprechen“ war die Anweisung von den Tontechnikern nach dem ersten Aufnahmetag. Und die Münchnerin hat sich auch – fast – daran gehalten: „Ich habe am Brandenburger Tor schweigend ein Glas Wein getrunken – und nur zur Kellnerin ,Bitte zahlen!’ gesagt.“
Alle warten gespannt aufs Ergebnis
Auf das Ergebnis all dieser Arbeit ist Regina Wallner jetzt gespannt. Ab Dezember, wenn die Station Hirschgarten eröffnet wird, ist ihre Stimme für jeden der rund 700000 täglichen S-Bahn-Fahrgäste zu hören. Projektleiter Frank Hole ist sehr zuversichtlich, dass die Neuerung gut ankommt. „Es ist super gelaufen“, freut er sich nach den wirklich anstrengenden Aufnahmen in Berlin. „Wir haben mit Frau Wallner eine sehr gute Wahl getroffen. Sie war außerordentlich konzentriert, hat nicht locker gelassen, einzelne Sätze auch fünf Mal wiederholt, wenn’s denn nötig war.“
Zur Komplettierung der neuen Ansage muss jetzt noch Graham Baxter (57) nach Berlin reisen. Er übernimmt die englischen Ansagen. Mit dieser Kombination – hier bairisch eingefärbt, dort klassisches Oxford-Englisch – soll die S-Bahn in die Zukunft fahren. Und kleine Extras sind schon in Planung. Etwa die Umsetzung einer Idee von Regina Wallner, zur Wiesn 2010 an der Hackerbrücke spezielle Ansagen für Oktoberfest-Besucher zu verwenden. Die dürfen dann ruhig richtig Bairisch sein. Und dazu gibt’s dann noch eine Übersetzung für Nichtbayern.
Rudolf Huber