Nach über 50 Jahren: Christian Neureuther nimmt Abschied von Münchner Traditionsveranstaltung

Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her, dass dieser schöne, angenehm weiche Feierabend-Gong, den sie da bei der Ispo immer abends um sechs haben, den Star-Gast in die Flucht geschlagen hätte.
Colin Kaepernick ist da, der vom Sportler zum Kämpfer gegen Rassismus und für die Black-Lives-Matter-Bewegung mutierte Superstar, einst Quarterback der San Francisco 49ers und nun Symbolfigur einer Bürgerrechtsbewegung. Der Amerikaner sitzt auf der großen Bühne in Halle B1, als aus den Lautsprechern dieses samtene Ding-Dong ertönt, gefolgt von der Durchsage "Die Messe ist für heute zu Ende. Wir wünschen eine gute Heimreise."

"Müssen wir jetzt raus?" Nach über 50 Jahren zieht die Ispo von München nach Amsterdam
Und obwohl Kaepernick kein Wort Deutsch spricht, an diesem Tag überhaupt zum ersten Mal in good old Germany ist, weiß er gleich, was es geschlagen hat und fragt die Moderatorin auf Englisch: "Müssen wir jetzt raus?“ Nein, nein beruhigte sie ihn und lachte. Tja, seitdem hat sich einiges getan, und zum Lachen ist den meisten Betroffenen schon lange nicht mehr zumute.
Denn wenn am Dienstagabend um sechs das letzte Ding-Dong ertönt, dann muss die Ispo tatsächlich raus. Raus aus dem Messegelände, raus aus der Stadt, Umzugskisten packen und ab nach Amsterdam! Na servus.

Einer, der beim letzten Ispo-Besuch gehörig melancholisch wird, ist Christian Neureuther. Mit Sohn Felix sitzt er auf der kleinen Bühne des "House of content“ in Halle A1, diskutiert über Olympia und erinnert sich gern an seine erste Ispo, 1970 bei der Premiere auf der Schwanthalerhöhe: "Was die Sport-Industrie damals aufgefahren hat! Beckenbauer, Overath, Seeler, Pele – ein Stelldichein der Sport-Prominenz! Ich hab’ schon eine Wehmut, wenn ich hier reingehe. Eine Winter-Ispo gehört halt nach München, nicht nach Amsterdam!“
1970 hergezogen: Letzte Münchner Ispo geht zu Ende
Aber genau da wird die nächste Ispo stattfinden, vom 3. bis 5. November 2026. An diesem Dienstag endet in den Riemer Messehallen das, was mal als weltweit größte Sportmesse galt: die "Internationale Fachmesse für Sportartikel und Sportmode“. 1952 in einer Wiesbadener Reithalle gegründet, im März 1970 nach München umgezogen, um eine ganze Weile zu bleiben, immerhin 55 Jahre lang.

800 Aussteller aus 25 Ländern und rund 10.000 Besucher waren bei der Premiere dabei, damals noch auf der Schwanthalerhöhe. Am Anfang konnten Händler auf der Ispo Ware ordern: Skier, Rucksäcke, Anoraks - alles, was die zusehends mobilere Gesellschaft auf den Pisten, am Berg oder Trimm-dich-Pfad so brauchte.
Olympia 1972 schadete auch nicht wirklich, und so entwickelte sich die Messe gewaltig. Bald kamen Show-Elemente dazu: eine Skipiste, eine Kunsteisbahn, Halfpipes, riesige Pools zum Paddeln, Kanu- und viel später SUP-fahren. Und dann natürlich die Modeschauen! In allen Farben und Formen marschierten jahrelang die Models im Sportdress über den Laufsteg.
Mit den Snowboardern kamen die wilden Partys
Bald reichte eine Winter-Veranstaltung nicht mehr aus, eine zweite Messe für den Sommer musste her. Sogenannte Action- und Trendsportarten ergänzten das eh schon riesige Angebot, das einen nicht selten schwindlig werden ließ nach dem Marsch durch die mehr als ein Dutzend Hallen.

Irgendwann in den 80er-Jahren kamen auch die Snowboarder – und mit ihnen die wilden Partys. Nach dem 18 Uhr-Gong wurde die Musik aufgedreht, Bier- und andere Flaschen ploppten und es wurde nicht mehr nur gefachsimpelt, sondern auch gefeiert, nicht selten bis in der Früh. Denkwürdig auch die Tipi-Partys im tief verschneiten Innenhof, wo einige gleich über Nacht im Zelt liegen blieben. Morgens um neun mussten viele ja wieder am Stand stehen und über die neuen Skischuhe oder die Vorteile von Wanderstöcken reden.
Auch in den Discos und Clubs der Stadt machte sich die gern gesehene Feiergemeinde breit und sorgte jahrzehntelang verlässlich für Umsatz und Tausende Hotelbuchungen. In der Blütezeit der Ispo in den 80er- und 90er-Jahren konnte man es sich als Sport-Marke von Welt einfach nicht erlauben, nicht dabei zu sein.

Strauß, Herzog, Becker, Bogner: Bald kamen die Promis
Kein Wunder, dass sich auch immer mehr Prominenz sehen ließ. Franz Josef Strauß posierte mit Hantel, die neuen Hallen in Riem weihte 1998 Bundespräsident Roman Herzog ein. 1985 schüttelte Boris Becker einem gewissen Pele die Hand, Super-Surfer Robby Naish war jahrelang Stammgast, genauso wie Willy Bogner mit seiner exquisiten Mode.
Als Thomas Dreßen kurz nach seinem Sieg auf der Streif am Stand seiner Ski-Marke vorbeischaute, war die drangvolle Enge noch ein wenig drangvoller und enger, ebenso beim Gastspiel von Bode Miller. Eine Legende wie Ingemar Stenmark konnte dagegen im Jahr 2018 fast unbehelligt durch die Gänge laufen. Und sonst so?
Henry Maske, Franziska van Almsick, Markus Wasmeier, Ole-Einar Björndalen, Britta Steffen, David Lama, Tony Hawk – alles, was Rang und Namen hat. Auch die Fußballer nahmen sich mal Zeit: Philipp Lahm, Pep Guardiola, Manuel Neuer, Thomas Tuchel. Schön auch die Anekdote von Mats Hummels, damals angestellt beim FC Bayern.
Mats Hummels auf der Suche nach Unterwäsche
Am Stand eines Unterwäscheherstellers fragte er: "Bei euch kann man nichts kaufen, oder?“ Das Kopfschütteln kommentierte Hummels’ Begleiter verärgert: "Mann, ich hab’ extra Bargeld eingesteckt!“ Die Mitarbeiterin, die Hummels nicht erkannt hatte, empfahl einen Besuch in den C-Hallen: "Da könnt ihr euch vielleicht ‘nen Fußball kaufen.“
In den guten Zeiten glichen manche Messestände riesigen Konsum-Kathedralen. 2012 hatte Snowboard-Pionier Jake Burton einen Tanker im Format 1:1 aufbauen lassen, der eine komplette Halle füllte. Wenig später war seine Firma eine der ersten, die die Ispo verließ. Burton hatte eine Entwicklung antizipiert, die sich mit dem sukzessiven Exodus der großen Firmen fortsetzte und mit Corona das Ende einleiten sollte.
Heute sind die acht verbliebenen Hallen so luftig bestückt, dass mancherorts gar ein Vier-gegen-Vier-Fußballspielchen drin wäre, wo früher mal drangvolle Enge herrschte. Tempi passati. Die Ispo ist tot, es lebe die Ispo! Pfiat di Sportmesse, schee war’s!