Münchnerin restauriert Enigma-Chiffriermaschinen: "Wir wollen ihnen ihre Geschichte nicht nehmen"
München - Ein Rätsel mit viel Rost: Eigentlich wollten Taucher im vergangenen Jahr in der Ostsee und in der Schlei etwas ganz anderes an die Oberfläche holen, nämlich Geisternetze und einen Propeller - doch ihre Entdeckung entpuppte sich als kleine Sensation: Sieben Enigma-Geräte lagen auf dem Meeresgrund. Diese Chiffriermaschinen sind legendär, die Nazis hielten die damit codierten Funksprüche für unentschlüsselbar.
Seither kümmert sich die Münchnerin Corinna Mayer um die Konservierung der komplexen Geräte. Wie es zum Wechsel in den hohen Norden kam, wie ihre Arbeit aussieht und was sie schon herausgefunden hat:
AZ: Frau Mayer, Sie sind im vergangenen Sommer von München nach Schleswig umgezogen - und haben dort nun einen besonderen Job. Vermissen Sie die bayerische Heimat trotzdem noch manchmal?
CORINNA MAYER: Ja, sicher! Das wäre auch schlimm, wenn es nicht so wäre. Aber ich habe hier einerseits so viel zu tun, und bin andererseits auch so positiv aufgenommen worden. Man hat es mir hier sehr leicht gemacht.
"Arbeitstechnisch ist eine neue Herausforderung immer etwas Tolles"
Sie restaurieren in der Archäologischen Zentralwerkstatt auf Schloss Gottorf nun die sieben aus der Ostsee und der Schlei geborgenen Enigma-Chiffriermaschinen aus dem Zweiten Weltkrieg. Wie kommt man zu so einer Aufgabe?
Ich bin als archäologische Restauratorin nicht nur für die Enigmas zuständig, sondern für alle anorganischen Funde in ganz Schleswig-Holstein. Als ich mich beworben habe, wusste ich noch gar nichts von der Arbeit an den Chiffriermaschinen. Erst beim Vorstellungsgespräch habe ich davon erfahren und sie sind mir dann auch gezeigt worden. Ich dachte mir im ersten Moment: oh, okay.
Warum so zögerlich?
Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich muss gestehen, im ersten Moment fand ich es gar nicht so sensationell, weil die Funde eigentlich nicht meine übliche Zeitspanne sind. Arbeitstechnisch ist aber eine neue Herausforderung immer etwas Tolles. Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, umso interessanter wurde es.
"Eine der Chiffriermaschinen ist noch komplett erhalten"
Was ist Ihre Zielsetzung?
Meine Arbeit ist nicht, ein Objekt wieder schön für die Ausstellung zu machen, sondern die Geschichte dahinter zu rekonstruieren.
Zum Beispiel?
Wie wurde es genutzt? Wie ist es dorthin gekommen, wo es letztlich gefunden wurde? Und das ist in diesem Fall natürlich sehr interessant.
Weiß man denn schon, warum die Chiffriermaschinen über Bord mussten?
Jein, wir arbeiten dran. Nicht alle sieben sind zusammen gefunden worden. Bei der ersten in der Geltinger Bucht ist der Fall relativ klar: Das hatte recht sicher etwas mit dem Befehl "Regenbogen" zu tun, der Versenkung von U-Booten der deutschen Kriegsmarine (damit sie nicht dem Feind zufallen; Anm. d. Red.). Bei dieser ist im Übrigen auch noch viel vom massiven Eichenholzkasten vorhanden.
"Mit CT-Aufnahmen wollen wir die Seriennummern finden"
Und die anderen?
Die anderen sechs Stück sind im Hafen von Kappeln gefunden worden. Da ist es ein bisschen flach (lacht), sprich: Dort können keine U-Boote gelegen haben. Die unterschiedlichen Zustände dieser sechs sind auch sehr interessant. Eine davon ist noch komplett erhalten mit allen Walzen. Eine ist auch intakt, aber ohne Walzen. Bei allen anderen sieht man, dass sie absichtlich zerstört wurden.
Inwiefern?
Man erkennt, dass von oben drauf geschlagen wurde. Mein erster Gedanke war - aber völlig ohne Gewähr - vielleicht mit einem Gewehrkolben. Der Einschlag ist jedenfalls nicht punktuell, sondern eher länglich.
Welchen Spuren können Sie noch nachgehen, um etwas über die Codiergeräte herauszufinden?
Es gibt einerseits Fertigungskennzeichen auf der Tastatur, allerdings sind diese bei unseren Modellen teils schon weg. Oder aber es ist eine harte Kruste darauf, die nicht weggeht. Wir haben aber noch ein paar andere Ansätze.
Welche?
Wir haben vor, nach Seriennummern zu suchen. Denn eigentlich müsste im Boden im Inneren der Maschine eine Seriennummer eingestanzt sein. Bei den drei Maschinen, die die Bodenplatte noch haben, wollen wir versuchen, diese mit CT-Aufnahmen zu finden. Wir arbeiten dafür mit der Lübecker Fraunhofer-Einrichtung für Individualisierte und Zellbasierte Medizintechnik zusammen.
"Wir wollen sie optisch in dem Zustand belassen, das ist ihre Geschichte"
Was kann die Seriennummer preisgeben?
Über die Seriennummer hoffen wir, noch das U-Boot oder das Schiff herauszufinden. Auch, ob man zum Beispiel das Versenkungsdatum noch eingrenzen kann.
Wo sind die Enigma-Geräte im Moment?
Die Funde lagern immer noch in Leitungswasser, das ich etwas in den basischen pH-Bereich kippen lasse. Das schützt zum einen die Eigenbestandteile mehr vor Korrosion und löst auch Sedimente und Öle heraus. Es hatten sich auch viele Muscheln darin angesetzt. Die Chiffriermaschinen liegen ganz ruhig im Wasserbecken, sie werden nicht durchgespült, damit wir keine Technik beschädigen. Und ich achte auch darauf, dass sie nicht zu oft herausgeholt werden, damit zum Schutz der Mechanik im Inneren nicht ständig Wasser rein- und rausläuft.
Es ist also schon ein gewisses Risiko, damit man nichts kaputtmacht?
Ich muss dazu sagen: Sie werden sowieso nie wieder funktionstüchtig sein, davon sind wir meilenweit entfernt. Das hat aber mitunter auch etwas mit unserer Zielsetzung zu tun: Wir wollen sie optisch in dem Zustand belassen, wie sie jetzt sind. Das ist ihre Geschichte. Würde ich sie wieder hübsch machen, würde ich ihnen diese nehmen. In vielen deutschen Museen gibt es funktionstüchtige Enigmas, die man sich anschauen kann, auch im Deutschen Museum in München.
"Die Fertigstellung wird mehrere Jahre dauern"
Was sind bei Ihrer Konservierung die nächsten Schritte?
Der nächste Schritt wird sein, dass wir von allen sieben Stück CT- und Röntgenaufnahmen machen, weil zu befürchten ist, dass von der Technik im Inneren etwas verloren gehen könnte, wenn sie trocknen. Es sind sehr filigrane Bauteile aus Eisen, Kupfer und so weiter enthalten, die könnten uns komplett wegkorrodieren.
Wie muss man sich die Trocknung vorstellen?
Wir wollen sie gezielt trocknen, in einer Vakuumgefriertrockenanlage zum Beispiel. Bei der Trocknung werde ich immer wieder schauen müssen: Was macht das Objekt gerade? Es könnte passieren, dass sich die dicken Krusten zusammenziehen und das Material reißt, oder dass etwas aufquillt. Die eigentliche Schwierigkeit ist nämlich der Materialmix: Buntmetalle, Bakelit, Plastik, Glas, feine Drähte.
Wann ist mit der Fertigstellung zu rechnen?
Wie lange die Vorgänge dauern, lässt sich schwer vorhersagen. Und es sind auch nicht die einzigen Objekte, die ich betreue. In der Warteschlange sind etwa 500 weitere archäologische Objekte.
Das klingt nach viel Arbeit. Sie haben auch schon einmal gesagt, dass die Enigma-Arbeiten vier bis fünf Jahre dauern könnten.
Auf jeden Fall mehrere Jahre. Mein Vertrag ist unbefristet. (lacht)
Am 22. März wird unter anderem Corinna Mayer über die Chiffriermaschinen berichten. Der kostenlose Vortrag via Zoom beginnt um 19 Uhr, Anmeldung erforderlich: 04621 813 222, service@landesmuseen.sh oder online auf schloss-gottorf.de
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