Münchner Initiative rettet jährlich 15.000 Tonnen Lebensmittel
Mit flinken Handgriffen sortiert Carmen Nolte (42) aus den Schalen mit Erdbeeren vor ihr Früchte mit faulen Stellen und füllt die kleinen Kartons auf. Sie kniet auf der Lieferrampe an der Rückseite eines Münchner Supermarktes. Es ist Mittwoch, 12 Uhr, Carmen Nolte steht dort, wo sonst nur Marktmitarbeiter oder Lieferanten Zugang haben. Der Marktleiter des Discounters hat ihr einen vollen Einkaufswagen und fünf Kisten Lebensmittel auf der Rampe bereitgestellt. Darunter Salat, abgepackte Kräuter, Bio-Bananen, Käseaufschnitt, Salami, Joghurt in mehreren Varianten und Aufbacksemmeln.
Verein mit wachsendem Netzwerk
Allein am Ende dieser Woche wird sie geschätzt 50 bis 60 Kisten geretteter Lebensmittel von verschiedenen Supermarktketten und Bäckereifilialen abtransportiert haben. 2022 hat die 42-jährige Sozialpädagogin und Mutter von drei Kindern den Verein "Foodsaving and More" gegründet. Gemeinsam mit inzwischen Hunderten anderen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern rettet sie Nahrungsmittel, die Supermärkte aussortieren und bewahrt sie vor der Mülldeponie. Aber was dann?
In nur drei Jahren ist ihr Verein ordentlich gewachsen. "Inzwischen sind wir ein Netzwerk aus 670 Ehrenamtlichen", sagt Nolte. Sie holen die Lebensmittel nicht nur ab, sondern verteilen sie auch weiter. Sie beliefern mit den grünen Kisten etwa Initiativen, die kostenfreie Mittagsgerichte für bedürftige Menschen anbieten oder bringen gerettete Blumen im Altenheim vorbei.
Fairteiler statt Mülltonne
Inzwischen betreiben sie auch fünf sogenannte "Fairteiler". An diesen Ausgabestellen werden gerettete Lebensmittel kühl gelagert und an drei Tagen in der Woche kostenlos ausgegeben – ähnlich wie bei der Tafel. "Weil die Leute die Sachen bei uns selbst aussuchen, dürfen wir auch Produkte, die leicht über dem Mindesthaltbarkeitsdatum liegen, ausgeben", sagt Nolte. Damit keine Konkurrenz entsteht, spreche sich Foodsaving mit der Münchner Tafel ab und rettet an anderen Tagen als die Tafel.
Die zehn Kisten, die Carmen Nolte an diesem Mittwoch in den Kombi eines Helfers lädt, wird er später zur Jesajakirche in der Balanstraße fahren; eine "Fairteil"-Stelle im Viertel Fasangarten. In einem Seiteneingang der Kirche stehen die vier großen Gastrokühlschränke. Am Dienstag, Donnerstag und Samstag um 17 Uhr bildet sich entlang der Kirche eine lange Schlange. Jeder, der kommt, darf eine Tasche voll Lebensmittel mitnehmen. Zwei ehrenamtliche Helferinnen holen die Sachen aus den Kühlschränken und schauen darauf, dass es gerecht zugeht.

Steigende Nachfrage, wachsendes Engagement
Unter den Abholern seien Rentner, Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Geflüchtete. "Es gibt immer mehr Menschen in der Stadt, die sich bei den gestiegenen Preisen die nötigsten Lebensmittel nicht mehr leisten können", sagt Carmen Nolte.
In diesem Jahr zeichnet die Stadtsparkasse München dieses Engagement gemeinsam mit vier anderen Projekten mit ihrem Nachhaltigkeitspreis "Münchens Zukunftsheld:innen" aus. Dotiert jeweils mit 10.000 Euro pro Initiative. Für den Wettbewerb hatte Carmen Nolte das Projekt "Essen für alle" eingereicht. Viermal im Jahr veranstaltet der Verein zusätzlich ein gemeinschaftliches Essen. Dabei werden die geretteten Lebensmittel gemeinsam zubereitet und in großer Runde gegessen und gefeiert.
"Angefangen hat es mit einer Wiesn für alle." Weil das so gut angenommen wurde, sagt Nolte, würden sie inzwischen auch einen Osterbrunch, ein Sommerfest und eine "Weihnachtsfeier für alle" veranstalten. "Wir wollen Feste feiern, die allen Leuten zugänglich sind, gerade denen, die sich solche Gemeinschaftsevents wie die Wiesn oder Brunch im Lokal sonst nicht leisten können", sagt die Vereinsgründerin. Mit dem Preisgeld der Sparkasse will der Verein jetzt einen Lagercontainer anschaffen, in dem gerettete Lebensmittel für die Feiern vorher zentral gelagert und gekühlt werden können.
"Wollen nicht, dass bekannt wird, was sie alles wegwerfen"
Zurück auf der Laderampe des Supermarktes im Münchner Osten. Unter den Supermärkten bei denen Carmen Nolte Lebensmittel rettet, sind von den großen Ketten der Discounter und Einzelhändler fast alle dabei, die man so kennt. Doch öffentlich darf sie keine Namen und Filialen nennen. "Ich schätze, die wollen nicht, dass bekannt wird, was sie alles wegwerfen", sagt die 42-Jährige. Vielen Marktleitungen selbst widerstrebe das inzwischen. Gleichzeitig sei es den Konzernspitzen vieler Ketten wiederum wichtig, "dass der Kunde auch um 19.45 Uhr noch seinen frischen Salat vorfindet."
Mittwochs ist Carmen Noltes Intensiv-Retter-Tag. Es ist ihr freier Tag, in dem Rehazentrum, in dem sie als Sozialpädagogin arbeitet. Bevor ihre drei Kinder am Nachmittag alle zu Hause sind, hat sie bei drei Supermärkten und zwei Bäckerfilialen Lebensmittel abgeholt. Der Mittwoch ist anstrengend, das gibt sie zu. Aber was motiviert, das sei das Ergebnis.
15.000 Tonnen gerettete Lebensmittel pro Jahr
Überschlagen retten die Ehrenamtlichen zusammen in einem Jahr inzwischen 15.000 Tonnen Lebensmittel. Dazu weiß Carmen Nolte selbst, was es bedeutet, mit sehr kleinem Budget haushalten zu müssen. Vor 2015 war sie Bachelorstudentin und alleinerziehend. Von der S-Bahn aus sah sie damals die aussortierten Lebensmittelkisten beim Supermarkt in ihrem Viertel. Sie fragte den Marktleiter, der war einverstanden, dass sie die aussortierte Ware abholte. "Das war so viel mehr, als ich hätte verwerten können", sagt sie.
Also gab sie Lebensmittel nach und nach in der Nachbarschaft weiter. Diese Umverteilungen wurden immer größer und andere folgten ihrem Beispiel und retteten selbst. So entstand der Verein. "Bei uns gilt die Regel, dass jeder, der rettet, mindestens 50 Prozent an bedürftige Menschen weitergibt." Dazu stellt der Verein Listen mit Hilfsorganisationen in den einzelnen Vierteln bereit, die sich über Lebensmittelspenden freuen.
Je 10.000 Euro für nachhaltige Ideen
Die Stadtsparkasse unterstützt insgesamt fünf soziale und ökologische Initiativen. Ein Projekt will das Preisgeld für einen Balkenmäher investieren. Das Mähwerk soll Blühwiesen, die der Bund Naturschutz im ganzen Stadtgebiet betreut, insektenschonend mähen.
"Wir müssen dort ein bis zweimal im Jahr mähen, dass die Wiesenblumen nicht von Gräsern überwuchert werden", sagt Simone Paffrath vom Bundnaturschutz. Unter den fünf Preisträgern ist auch die bekannte Straßenfußball-Initiative "Bunt kickt gut". Der Verein will die 10.000 Euro für mobile Mülleimer bei den Spieltagen auf den Bolzplätzen der Viertel investieren und auch mobile Trinkwasserspender bereitstellen. "Sauberes Leitungswasser statt Wasser aus der Plastikflasche" – auch das wollten sie den Jugendlichen vermitteln.

Zusammen mit "Foodsaving and more" wurden am Donnerstag fünf Initiativen ausgezeichnet. Projekte, die sich auf unterschiedlichste Weise um eine lebenswerte Zukunft bemühen: Um eine kühlere Stadt, weniger versiegelte Flächen, um Müllvermeidung, um eine grünere Stadt mit mehr Aufenthaltsqualität und insektenfreundlichere Bepflanzung. An den Initiativen beteiligen sich Hunderte Ehrenamtliche, die ihre Freizeit nutzen, sich für Umweltschutz und das soziale Miteinander zu engagieren. Das sind die vier weiteren Preisträger 2025:
- Bund Naturschutz Bayern: Haupt- und Ehrenamtliche des Bund Naturschutz helfen Schulen, Kitas, Pflegeheimen, Kirchengemeinden und Unternehmen in München, Grünflächen insektenfreundlich zu bepflanzen und gestalten. Diese Wiesen werden von den Naturschützern auch regelmäßig gepflegt und gemäht. Sie sollen helfen, die Artenvielfalt zu schützen.
- Freiraum-Viertel gUG: Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, gerade für Menschen in kleinen Wohnungen den öffentlichen Raum so umzugestalten, dass alle dort Gemeinschaft und Erholung finden können. "Tote Parkplätze mit viel Blech darauf" wandelt die Initiative in Grünflächen, Sitz- und Spielflächen um.
- Bunt kickt gut: Das Straßenfußballprojekt bringt nicht nur Jugendliche unterschiedlicher sozialer Herkunft zum fairen Fußballspiel zusammen, sondern nutzt das Spiel auch, um Werte wie soziale und ökologische Verantwortung weiterzugeben.
- Volkshochschule München: In Pasing soll ein 250-Hektar-großer Gemeinschaftsgarten entstehen – ein Ort zum Gärtnern, Lernen und ökologische Lebensmittel ernten. "Gerade Menschen, die nicht das Glück eines eigenen Gartens oder Balkons haben, sollen hier die Chance zum selbst Anbauen bekommen", sagt Projektvertreterin Leslie Protz.