Münchner Parkhaus-Mord: Wird der Fall jetzt neu aufgerollt?
Im Fall der vor 13 Jahren erschlagenen Charlotte Böhringer stellt die Verteidigung des Verurteilten erneut einen Antrag auf Wiederaufnahme - und hat sich prominente Unterstützung geholt.
Drei Wochen vor Beginn des "Sommermärchens" schockiert 2006 ein blutiges Verbrechen die Münchner Society: Am 15. Mai wird Millionen-Erbin Charlotte Böhringer († 59) im Penthouse über ihrer Parkgarage an der Baaderstraße ermordet. Zwei dutzend Mal schlägt der Täter mit einem hammerähnlichen Gegenstand auf die Witwe ein. Sie stirbt an schweren Schädel-Hirn-Verletzungen und dem enormen Blutverlust.
Nur drei Tage später präsentiert die Polizei einen Tatverdächtigen: Böhringers Lieblingsneffe Benedikt "Bence" Toth soll die Tante getötet haben - um zu vertuschen, dass er sein Jura-Studium abgebrochen und damit die Voraussetzung für eine Übernahme des lukrativen Parkhauses zunichtegemacht hat.
Am 12. August 2008 wird er nach einem langwierigen, umstrittenen Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Die 1. Strafkammer des Landgerichts München I stellt zudem die besondere Schwere der Schuld fest, was bedeutet, dass der Betreffende nicht nach 15 Jahren auf Bewährung entlassen werden kann.
Bis heute bestreitet Benedikt Toth, seine Tante umgebracht zu haben. Und bis heute kämpfen der renommierte Münchner Anwalt Peter Witting, Toths Familie und Freunde für die Freilassung des mittlerweile 44-Jährigen.
Verteidigung unternimmt erneuten juristischen Anlauf
Nun nimmt die Verteidigung einen erneuten juristischen Anlauf: Sie hat beim Landgericht München I die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt - und fordert, die Strafhaft mit sofortiger Wirkung zu unterbrechen.
Neu im Team ist dabei der prominente Experte für Wiederaufnahmeverfahren Gerhard Strate. Der Hanseat ist der frühere Anwalt von Gustl Mollath, der zu Unrecht mehr als sieben Jahre in der Psychiatrie saß, bis sein Fall 2013 neu aufgerollt und Mollath freigelassen wurde.
Neues Gutachten zeigt: Belastende DNA kann von anderen stammen
Benedikt Toth war 2008 auf Grundlage einer Reihe von Indizien verurteilt worden. Jedes davon "reicht alleine für sich gesehen noch nicht aus, den vollen Beweis dafür zu erbringen", dass Toth seine Tante ermordet habe, hieß es damals im Urteil - in der Gesamtschau legten sich die Indizien aber wie ein Ring um seine Täterschaft.
Toths Verteidiger greifen nun zwei Indizien an, die vom Gericht als "wesentlich" eingestuft worden waren: eine DNA-Spur, die auf dem Sakko der Ermordeten sichergestellt wurde und einen "genetischen Fingerabdruck", der sich auf einem in einem Umschlag aufbewahrten Testament befand. Beide wurden Benedikt Toth zugeordnet, obwohl die DNA in beiden Fällen nicht vollständig darstellbar war (stark vereinfacht gesagt).
Der Lieblingsneffe wurde dadurch stark belastet. Seine Anwälte führen ein Gutachten des Professors für Forensische Molekulargenetik am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Köln Peter M. Schneider ins Feld. Schneider ist unter anderem Mitautor der "Allgemeinen Empfehlung der Spurenkommission zur Bewertung von DNA-Mischspuren". Seine Expertise besagt, dass grundsätzlich auch andere mit dem Opfer verwandte Verursacher für die besagten DNA-Spuren in Frage kommen können: zum Beispiel Toths Mutter oder sein Bruder, womöglich sogar eine weitere unbekannte Person. Genau das Gegenteil war im Urteil behauptet worden.
Zudem war das Gericht davon ausgegangen, dass der Täter Handschuhe trug, als er Charlotte Böhringer erschlug. Auf ihrem Sakko sei eine blutige Handschuhspur gefunden worden, darin die DNA von Benedikt Toth - so die Darstellung der Ermittler. Für das Landgericht wies diese Spur darauf hin, "dass der blutige Handschuh mit DNA des Angeklagten kontaminiert war und mit diesem Handschuh dann die Leiche berührt wurde".
Wo genau sich die belastende DNA-Spur befand, ist unklar
Doch auch daran gibt es erhebliche Zweifel. Denn der Beamte der Spurensicherung, der die Jacke der Toten abklebte, um Hautschuppen, Speichel oder Haare zu sichern, benutzte nur einen einzigen Klebestreifen - sowohl für saubere als auch für die mit Blut besudelten Bereiche des Kleidungsstücks. Der Beamte selbst hat dieses Vorgehen bestätigt.
Wo genau sich die belastende DNA-Spur befand, ist also völlig unklar. Dasselbe gilt für ihr Zustandekommen. Gelangte sie durch eine Umarmung auf Böhringers Jackett? Oder als Toth die Leiche fand und versuchte, den Puls seiner Tante zu messen? Oder tatsächlich beim Mord selbst? Automatisch von Letzterem auszugehen, hält Rechtsmediziner Schneider für nicht zulässig.
Hinzu kommt, dass ein weiteres Gutachten - diesmal vom Thüringischen Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung - widerlegt, dass es sich bei der blutigen Handschuhspur überhaupt um eine solche handelt. Was für einen Abdruck gehalten wurde, sei in Wirklichkeit die unterschiedlich stark von Blut durchtränkte Struktur des Stoffes, so die Wissenschaftler.
Einen Großteil der Expertisen hat der prominente Bremer Fallanalytiker Axel Petermann zusammengetragen, den die Toth-Familie vor rund zwei Jahren um Hilfe gebeten hatte.
Und Petermann hat noch mehr herausgefunden: Ihr Neffe soll Charlotte Böhringer an der Tür ihres Penthouses abgepasst und angegriffen haben - so die Darstellung der Münchner Mordermittler. Laut Petermann ergibt sich aus dem Spurenbild aber ein anderer Tatablauf.
Demnach habe der erste Schlag die Tante getroffen, als diese mehr als zwei Meter von der Tür entfernt stand. Das Blut sei in Richtung Eingang gespritzt. "Ich denke, man hat die Blutspritzer falsch interpretiert", sagt Petermann.
Entweder habe Charlotte Böhringer jemanden in die Wohnung gelassen und am Fuß der Treppe sei es zum Streit gekommen - "oder es war schon jemand in der Wohnung".
Eine Theorie, der in den Ermittlungen nur nachgeordnet nachgegangen worden war. Ungereimtheiten - und Schlamperei - hat der Kriminalist auch bei der Bestimmung des Todeszeitpunktes festgestellt. "Frau Böhringers Körpertemperatur wurde am Tatort nicht gemessen, was man üblicherweise tut", sagt Petermann. "Das ist ein grobes Versäumnis." Erst um 1.20 Uhr auf dem Obduktionstisch sei eine rektale Messung vorgenommen worden. Die Körperkerntemperatur sei mit maximal 15 Grad sehr niedrig gewesen. "Das deutet daraufhin, dass der Todeszeitpunkt viele Stunden zurücklag. Denn ein Körper kühlt im Schnitt um ein Grad pro Stunde ab, bis er die Umgebungstemperatur erreicht hat.
Entlastendes Material wurde offenbar negiert, sagt der Profiler
Dubios: Später wurde die Körpertemperatur erneut gemessen, diesmal am Oberschenkel. Dort zeigte das Thermometer 20,4 Grad an. Eine Begründung für die zweite Messung und den Anstieg um über fünf Grad finde sich in den Akten nicht, sagt Petermann. Gleichwohl war die Oberschenkel-Temperaturmessung als angebliche Köperkerntemperatur der Berechnung des Todeszeitpunkts zugrunde gelegt worden.
"Der Todeszeitpunkt lässt sich nicht genau eingrenzen", bilanziert der Fallanalytiker. Auffällig sei jedoch, dass der angenommene Zeitrahmen exakt "in die Zeit passt, in der Benedikt Toth kein Alibi hat". Seine Analyse und die Berechnung eines rechtsmedizinischen Instituts hätten ergeben, "dass es wahrscheinlichere Zeitpunkte gibt als den vom Gericht angenommenen, doch bei denen verfügt Benedikt Toth über ein Alibi". Es sei auffällig, dass "Informationen, die Benedikt Toths Täterschaft zu belegen scheinen, offenbar sehr wohlwollend aufgenommen und alles Entlastende negiert wurde", sagt der Profiler.
"In kriminalistischer Kleinarbeit ist es Axel Petermann gelungen, die aus Sicht der Verteidigung seit jeher als spekulativ beurteilte Grundlage der Verurteilung von Benedikt Toth, an wesentlichen Stellen nachhaltig in Frage zu stellen", lobt Toth-Anwalt Peter Witting. "So ist nunmehr bestätigt, dass maßgebliche Feststellungen des Schwurgerichts etwa zu Todeszeitpunkt oder Tatablauf erschreckend oberflächlich getroffen wurden und keineswegs belastbar sind." Die Verteidigung habe sich mit ihrem Antrag letztlich auf die zwei DNA-Spuren konzentriert, in der Hoffnung, "zwei als wesentlich erachteten Indizien vollständig den Boden zu entziehen und damit der zu jeder Zeit fragwürdigen Verurteilung ihre Berechtigung zu nehmen", sagt Witting. "Wir sind überzeugt, dass bei objektiver Beurteilung unseres Vortrags nur eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht kommen kann."
Bis über den Wiederaufnahmeantrag entschieden wird, kann jedoch geraume Zeit vergehen. Beim ersten Versuch, das Verfahren neu aufzurollen, dauerte es über zwei Jahre bis zur Ablehnung - zu lange, urteilte damals das Oberlandesgericht München und verdonnerte den Freistaat zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 900 Euro an Benedikt Toth. Der spendete das Geld. An eine Initiative, die Justizopfer unterstützt.
Mehr zum Wiederaufnahmeantrag und den Hintergründen sehen Sie in der ZDF-Sendung „Frontal 21“ am Dienstag, 19. Februar, um 21 Uhr.
Parkhausmord vor Gericht - die Chronik der Verurteilung:
- 2. Mai 2007: Die Hauptverhandlung beginnt, angesetzt auf 13 Tage.
- 12. August 2008: Das Landgericht München I verurteilt Toth zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Das Gericht sieht eine besondere Schwere der Schuld, da er kein Geständnis abgelegt und kein Alibi hat.
- 12. August 2008: Das Gericht erklärt Toths Erbanteil für verfallen. Ein fingierter Rechtsstreit beginnt. Damit Benedikt Toths Erbanteil nicht an den Staat geht, will ihn sein Bruder für „erbunwürdig“ erklären lassen. Der Verurteilte wehrt sich pro forma, nicht nur des Geldes wegen. Vor einer zweiten Verurteilung müsste der Fall erneut geprüft werden.
- April/November 2011: Beweisaufnahme durch das Landgericht, die Zivilrichterin sieht Probleme bei der Urteilsbegründung.
- 24. Januar 2012: Toth lässt sich für erbunwürdig erklären.
- 1. Oktober 2012: Toths Anwalt Peter Witting beantragt die Wiederaufnahme des Verfahrens.
- 5. Dezember 2014: Das Landgericht Augsburg weist Wiederaufnahmeantrag ab.
- 24. Juli 2015: Oberlandesgericht München bestätigt die Entscheidung.
- 16. April 2016: Bundesverfassungsgericht weist die Verfassungsbeschwerde zurück.