Münchner Mobilitätsreferent Dunkel: "Anwohnerparken muss teurer werden"

München - Die einen demonstrieren für breitere Radwege. Die anderen sprechen von Autohass. Dazwischen versucht seit ein paar Monaten Georg Dunkel (parteilos), den Ausgleich zu schaffen.
Er leitet seit Januar das neue Mobilitätsreferat. Im Interview erklärt er, warum Parken in München zu billig ist, wieso die Umsetzung des Radentscheids so lange dauert und ob die Stadt doch einen Autotunnel baut.
AZ: Herr Dunkel, seit etwa einem halben Jahr sind Sie der Mann, der in München die Verkehrswende vorantreiben soll. Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus?
GEORG DUNKEL: Wir sind gut gestartet. Trotz Corona funktioniert der Referatsaufbau gut. Natürlich läuft manches noch nicht rund. Zum Beispiel sind wir auf mehrere Standorte verteilt. Aber ich spüre einen Pioniergeist im Referat.
Dunkel: "In Planungsprozessen kommt es immer wieder zu Unvorhergesehenem"
Ein Ziel Ihres Referats ist, den Radentscheid bis 2025 umzusetzen. Doch die Initiatoren rechnen inzwischen damit, dass es 2050 wird, weil alles so langsam geht. Was ist Ihre Prognose?
Ich gebe keine ab. Als der Radentscheid beschlossen wurde, wusste keiner, dass Corona kommen und die Haushaltslage eine andere sein würde. Aber man muss auch ehrlich sagen: Es war nie realistisch, den Straßenraum in einer über Jahrzehnte gewachsenen Stadt innerhalb von fünf Jahren komplett neuzugestalten.
Welche Radwege sind bis 2025 auf jeden Fall gebaut?
Für die ersten zehn Projekte gibt es noch in diesem Jahr eine Grundsatzentscheidung. Doch das ist erst der Startschuss für das Baureferat, in die Planung einzusteigen. Wir gehen davon aus, dass es im Schnitt etwa zwei Jahre dauert, bevor die Bagger anrollen. Auf genaue Straßen möchte ich mich nicht festlegen, in Planungsprozessen kommt es immer wieder zu Unvorhergesehenem.
"Inzwischen sind rund 15 Stellen zur Umsetzung des Radentscheids besetzt"
Die Initiatoren des Radentscheids meinen, es geht so langsam, weil Stellen, die 2019 genehmigt wurden, noch immer nicht besetzt sind. Warum dauert das so lange?
Für ein Unternehmen klingt das lange, aber für eine Verwaltung ist das nicht ungewöhnlich. Mit Stand Mai 2021 sind inzwischen rund 15 Stellen zur Umsetzung des Radentscheids besetzt. Bei weiteren fünf Stellen ist die Ausschreibung beendet, die Stellenbesetzungsverfahren werden im Laufe des Jahres 2021 abgeschlossen. Insbesondere in den Bereichen Verkehrssteuerung und Bauingenieurswesen konnten bislang keine geeigneten Bewerber gewonnen werden. Das heißt, dass bald 20 von den 30 Stellen besetzt sind.
Warum halten Ihre Leute weiter an Planungen fest, die auf das Auto ausgelegt sind? Auf der Ludwigstraße werden noch immer zu schmale Radwege geplant.
Wir schauen gerade, wie wir die Planung optimieren können. Ich gehe davon aus, dass wir eine radentscheid-konforme Variante vorschlagen.
Dunkel: "Die Frage ist doch, ob die Stadt lebenswert bleibt"
Das heißt, auf der Ludwigstraße kommt eine Autospur weg?
Das wäre eine Lösung. Wir können ja schlecht Häuser abreißen. Der Raum in dieser Stadt ist begrenzt. An dieser Stelle gibt es keine Alternativen, als ihn zu Lasten des Kfz-Verkehrs neu zu verteilen. Die Frage ist, welche Spur man am verträglichsten wegnehmen kann. Letztlich wird der Stadtrat über einen Fahrspurentfall entscheiden müssen.

Während Corona haben die Deutschen ihre Liebe zum Auto wiederentdeckt. Laut einer aktuellen Umfrage ist es das beliebteste Verkehrsmittel. Warum will die Stadt mit solchen Mitteln die Menschen zwingen, sich anders zu fortzubewegen?
Die Frage ist doch, ob die Stadt lebenswert bleibt, wenn wir unser Mobilitätsverhalten beibehalten. Es ist eine mathematische Rechnung: Bereits heute ist München die staureichste Stadt Deutschlands. Laut Prognosen wächst die Stadt um 20 Prozent. In einem Auto sitzen im Schnitt 1,1 Personen. Wenn wir dann weiterhin 34 Prozent der Fahrten im Auto zurücklegen, wird das Stauchaos größer.
"Wir müssen alles dafür tun, die Fahrgäste zurückzugewinnen"
Könnte eine City-Maut helfen?
Ich bin mir relativ sicher, dass sie helfen kann, allerdings müssen wir noch genauer untersuchen, welche Auswirkungen sie hat. Aber es ist klar, dass wir über Restriktionen nachdenken müssen - zum Beispiel beim Parken. Ist es noch zeitgemäß, dass Anwohner für 30 Euro im Jahr auf zehn Quadratmetern ihr Auto abstellen dürfen - das sie im Schnitt nur eine Stunde am Tag nutzen?
Wie teuer sollte Parken sein?
Ich will noch keine Empfehlung aussprechen, aber ich möchte deutlich machen: Wir müssen diese Debatte führen. Ich glaube, der größte Fehler wäre, dass wir Entscheidungen zu lange hinauszögern und hoffen, dass es irgendwie gut gehen wird.
Rückgrat der Verkehrswende ist der ÖPNV. Ziel ist, 30 Prozent der Wege darüber abzuwickeln. Allerdings sind zuletzt die Fahrgastzahlen so stark eingebrochen, dass die MVG auf manchen Buslinien die Leistungen zurückfährt.
Wir müssen jetzt alles dafür tun, die Fahrgäste zurückzugewinnen. Aktuelle Studien zeigen, dass es sicher ist, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Aber ich hoffe, dass bis Ende des Jahres Corona kein Thema mehr ist. Für die Verkehrswende ist es vor allem wichtig, das Angebot im öffentlichen Personennahverkehr auszubauen.
Dunkel denkt an Expressbusse auf Autobahnen
Doch das Geld dafür wird knapper. Welche Projekte haben dann Priorität?
Ich bin - Gott sei Dank - kein Kämmerer. Wir sind in einer schwierigen Haushaltslage, es wird Einsparungen geben müssen. Allerdings sind wir bei vielen Projekten am Beginn und müssen als Referat noch keine großen Investitionen im mehrstelligen Millionenbereich tätigen. Bei den Trambahnen beginnen wir jetzt mit den Machbarkeitsstudien. Ich hoffe, dass das Budget dafür reicht. Ansonsten wollen wir mit weiteren Bussen schnell und mit geringem Aufwand Verbesserungen erzielen. Zum Beispiel denke ich an Expressbusse auf Autobahnen, damit auch die Menschen aus der Region den Pkw stehenlassen.
Gleichzeitig ist plötzlich wieder ein Tunnel im Münchner Norden im Gespräch, der die Autobahn anbinden soll. Dabei hatten sich Grüne und SPD in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich von allen Tunnelprojekten in der Stadt verabschiedet.
Wir müssen uns genau ansehen, wie die Besiedlung im Münchner Norden vorangeht, welche Arbeitsplätze entstehen, wie sich das Verkehrsverhalten verändert. Im Moment ist es zu früh, eine Entscheidung zu treffen. Ich wünsche mir, dass wir vom Stadtrat die Genehmigung bekommen, jetzt noch einmal vertieft zu überprüfen, was mit oder ohne Tunnel passieren würde.
"Im Münchner Nordosten wäre die Wunschlösung, die U4 zu verlängern"
Bis wann rechnen Sie mit einer Entscheidung?
Wir bereiten gerade einen Beschluss vor, der im Herbst in den Stadtrat geht. Der Münchner Norden ist ein langfristiges Projekt, das sich über Dekaden erstrecken wird. Wir sind allerdings froh, dass der Fuß in der Tür ist, dass wir am DB-Nordring zumindest den Pendelbetrieb zwischen Karlsfeld und dem Forschungs- und Innovationszentrum von BMW hinbekommen. Bis Mitte des Jahrzehnts wird hier hoffentlich ein Pendelbetrieb möglich sein.
Und wann werden wieder U-Bahnen gebaut?
Für die Verlängerung nach Pasing liegt mittlerweile der Planfeststellungsbeschluss vor. Ziel ist es, die U-Bahn im Anschluss gleich weiter nach Freiham zu bauen. Deshalb wird in Freiham ein Vorhaltekörper geplant. Auch am Hauptbahnhof planen wir so einen Vorhaltekörper. Im Münchner Nordosten wäre die Wunschlösung, die U4 zu verlängern. Allerdings wollen wir das noch einmal mit Trambahnen vergleichen, um herauszufinden, welches Verkehrsmittel, zu welchem Zeitpunkt am besten ist.