Münchner Kulturkampf gegen die Miet-Misere

Rund 300 Künstler bangen: Die Mietverträge des Kreativquartiers wurden gekündigt. Am 17. Dezember ist Tag der Entscheidung im Stadtrat
Anna Kelbel |
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Sie geben ihr geliebtes Kreativquartier nicht auf (hinten v.l.): Kathleen Daniel, Uli Schulz, Fabian Gatermann, Till Coester, Peter Baranowski, (vorne sitzend v.l.) Irene Fastner, Robert Weissenbacher, Sara Gómez und Laura Höpfner.
Daniel von Loeper 3 Sie geben ihr geliebtes Kreativquartier nicht auf (hinten v.l.): Kathleen Daniel, Uli Schulz, Fabian Gatermann, Till Coester, Peter Baranowski, (vorne sitzend v.l.) Irene Fastner, Robert Weissenbacher, Sara Gómez und Laura Höpfner.
Fabian Gatermann und Kathleen Daniel vom Labor e.V. , einer Entwicklungsgemeinschaft des Kreativquartiers, machen sich große Sorgen.
Daniel von Loeper 3 Fabian Gatermann und Kathleen Daniel vom Labor e.V. , einer Entwicklungsgemeinschaft des Kreativquartiers, machen sich große Sorgen.
Die freie Autorin Sara Gómez an ihrem Arbeitsplatz: Ob und zu welchen Bedingungen sie hier weiterarbeitet, entscheidet sich am 17. Dezember 2025.
Daniel von Loeper 3 Die freie Autorin Sara Gómez an ihrem Arbeitsplatz: Ob und zu welchen Bedingungen sie hier weiterarbeitet, entscheidet sich am 17. Dezember 2025.

Zur offiziellen Pressekonferenz der Künstler des Kreativquartiers ist nur die AZ gekommen. Enttäuschung? Merkt man den Kreativköpfen zumindest nicht an.

In der Küche im zweiten Stock des Leonrodhauses verteilt die freie Autorin Sara Gómez erst einmal dampfenden Kaffee, den die rund ein dutzend Künstler, die von ihrer Miet-Misere erzählen wollen, auf Nachfrage mit „Unbedingt“ oder „Den brauch ich jetzt aber wirklich“ annehmen.

Schnell wird klar: Die Stimmung der Kunstschaffenden schwankt zwischen hitzig und wutentbrannt. Die brennende Frage: Wie geht es weiter für die Künstler an der Dachauer und Schwere-Reiter-Straße?

Rund 100 Mietverträge wurden von den Münchner Gewerbehöfen (MGH), einer Tochtergesellschaft der Stadt, zum Ende des Jahres gekündigt (AZ berichtete). Die MGH bekam die Immobilien 2020 von der Stadt übertragen. Betroffen sind nach Angaben der Mieter in etwa 300 Kreative, da viele Räume mehrfach genutzt werden.

Fabian Gatermann und Kathleen Daniel vom Labor e.V. , einer Entwicklungsgemeinschaft des Kreativquartiers, machen sich große Sorgen.
Fabian Gatermann und Kathleen Daniel vom Labor e.V. , einer Entwicklungsgemeinschaft des Kreativquartiers, machen sich große Sorgen. © Daniel von Loeper

Vor etwas mehr als zwei Wochen flatterten die neuen Verträge ins Haus: mit Mieterhöhungen um teils das Dreifache. Doch ein Teil der Künstler hat noch Hoffnung: Eine Satzungsänderung könnte sie retten. Doch dazu brauchen sie die Gunst der Münchner Politiker.

Die MGH begründete die Mietsteigerungen so: Sie sei „als GmbH verpflichtet, nicht unter Marktwert zu vermieten“. Bislang zahlen viele Künstler unter diesem Wert: Teils nur rund sieben Euro pro Quadratmeter. Im Gegenzug dazu übernehmen die Mieter kleinere Reparaturen in den teils sanierungsbedürftigen Gebäuen und organisieren sich ehrenamtlich in Vereinen und Netzwerken. Einige Künstler, ihre Kollegen schätzen den Anteil auf zehn Prozent, teils seit Jahrzehnten am Quartier, haben bereits gekündigt. Etwa ebenso viele hätten den neuen Vertrag schon unterschrieben.

Die Situation spitzt sich zu: Nach einem Aufschub sollen die Künstler an diesem Donnerstag und Freitag unterschreiben.

"OB Reiter muss uns zur Chefsache machen"

Bis dahin konzentriert sich alles auf Mittwoch: „Alle Hoffnungen liegen auf dem Tag“, erklärt Fabian Gatermann und setzt auf Galgenhumor. „Ich war mal künstlerisch tätig, mittlerweile beschäftige ich mich hauptsächlich mit juristischen Gutachten, Stellungnahmen, Meetings und Besuchen im Rathaus.“ Gelächter in der Gruppe. Inzwischen haben die Künstler einen Stuhlkreis gebildet, in der Mitte liegen auf einem Teller Lebkuchen und Mandarinen. In Weihnachtsstimmung kommt trotzdem niemand.

Die freie Autorin Sara Gómez an ihrem Arbeitsplatz: Ob und zu welchen Bedingungen sie hier weiterarbeitet, entscheidet sich am 17. Dezember 2025.
Die freie Autorin Sara Gómez an ihrem Arbeitsplatz: Ob und zu welchen Bedingungen sie hier weiterarbeitet, entscheidet sich am 17. Dezember 2025. © Daniel von Loeper

„Der Killer“ seien die Betriebskosten, erklärt die freie Autorin Gómez vom Leonrodhaus. Nach außen werde kommuniziert, dass die Künstler künftig zehn Euro pro Quadratmeter zahlen müssten. „Das stimmt so nicht.“ Zu den zehn Euro komme, so Gómez, noch eine Steigerung von 15 bis 35 Prozent drauf, weil nach Bruttogeschossfläche abgerechnet wird. „Das heißt, wir zahlen auch für unsere Außenwände mit.“ Dazu käme noch eine Pauschale von fünf Euro Nebenkosten pro Quadratmeter plus Mehrwertsteuer von 19 Prozent. Ergebnis der Rechnung der Künstler: Sie würden künftig rund 22 Euro pro Quadratmeter zahlen. „Wir sind bereit, die zehn Euro pro genutzem Quadratmeter warm zu zahlen, aber nur wenn es auch wirklich zehn Euro sind“, erklärt Gómez.

"Will die Stadt eine freie Kunstszene?"

Die Stadt müsse sich fragen, „ob sie eine freie Kunstszene in München am Leben halten will oder nicht“, wirft der bildende Künstler Robert Weissenbacher ein. Alle Kreativen sind sich einig: Es fehlt die Akzeptanz für ihr Berufsbild. Nirgendwo sonst in München arbeiteten in Vereinen, Netzwerken, ehrenamtlichen Workshops oder Projekten Jung und Alt künstlerisch zusammen.

Die bildende Künstlerin Sigrid Pahlitzsch mietet sich schon seit 1992 im Atelierhaus ein. Damals starteten einige ihrer Kollegen ihre ersten Malversuche im Kindergarten oder waren noch nicht geboren. „Ich schätze dieses Mehrgenerationsgelände sehr.“ Pahlitzsch ist 86 Jahre alt und immer noch fast jeden Tag im Atelier, um ihr Werkverzeichnis zu erstellen. Zum ersten Januar raus aus dem Atelier? „Das schaffe ich zeitlich nicht.“

Es gelte, eine für Mieter- und Vermieterseite verträgliche Lösung zu finden. Eine Möglichkeit könnte sein, dass die Stadt die Immobilien rückanmietet. Das hat sie unter anderem bereits bei den Gebäuden MUCCA (Munich Center of Community Arts) oder ImportExport getan.

Nachfrage bei der MGH. „Seitens der MGH kann ein Rückanmietungsvertrag kurzfristig abgeschlossen werden“, heißt es dort. Das sei „kein komplexer Vorgang“.

Allerdings: Was die formalen Schritte angeht, könne nur die Landeshauptstadt München die Möglichkeiten beurteilen. Vom zuständigen Kulturreferat heißt es: „Weitere Rückanmietungen setzen voraus, dass jeweils kulturförderfähige Konzepte vorliegen.“ Solche Konzepte wolle das Kulturreferat gemeinsam mit den Künstlern entwickeln. Doch die sind gar nicht so angetan von der Rückanmietung. Eine Preisspirale bei der Miete bliebe nach wie vor.

Eine Hoffnung gibt es noch

Außerdem schlägt das Kulturreferat zwei Fördermaßnahmen vor. Da wäre einmal die Projektförderung. „Daraus entstünde ein Ideenwettbewerb der Häuser untereinander, wer mit dem wenigen Geld gefördert wird, statt mit einem versprochenen Mietenzuschuss strukturelle Planungssicherheit zu schaffen“, kritisiert Fabian Gatermann. Strukturelle Probleme löse das nicht. Ab Juni oder Juli stellt das Kulturreferat zudem Atelierförderungen in Aussicht. Die gelten aber lediglich für bildende Künstler.

Bleibt also noch das Ass im Ärmel. Fabian Gatermann hebt einen Stapel an Dokumenten hoch. Ganz oben: ein anwaltliches Schreiben. Vor zehn Minuten per Mail erhalten, frisch gedruckt und schon an einige Politiker des Stadtrats verschickt.

Vor der Stadtratssitzung am Mittwoch haben sich die Kreativen juristische Beratung geholt. Ergebnis: Die Gemeindeordnung gestattet zum Zweck der Kulturförderung eine verbilligte Miete durch die städtische Tochtergesellschaft MGH. Die Stadt müsse dies lediglich in Form einer Satzungsänderung anweisen. Damit müsse die MGH nicht mehr wirtschaftsorientiert vermieten und könnte billigere Preise verlangen.

"Wir wollen eine schnelle Lösung"

Dazu bräuchte die Satzungsänderung eine Mehrheit im Stadtrat. „Es fehlt der politische Wille“, so Gatermann. Er hofft auf ein Umdenken bei der SPD. Der Filmemacher Till Coester fügt hinzu: „Der OB müsste uns zur Chefsache machen, da nur er die städtische Tochterfirma anweisen kann, gemäßigte und kulturfördernde Mietpreise zu garantieren.“

SPD-Stadtrat Lars Mentrup ist „dankbar für die Idee“ der Satzungsänderung. Er gibt jedoch zu bedenken: „Da hängt viel dran. Eine solche Änderung dauert sehr lange. Das könnte man parallel besprechen.“ Vielmehr arbeite man gerade an kurzfristigen Lösungen. Zum Beispiel, dass erst Förderungen bereitstünden und dann die Mieten erhöht werden. „Wir wollen eine schnelle Lösung“, so Mentrup.

Während sich die meisten in diesen Tagen darum sorgen, ob ihre Weihnachtsgeschenke pünktlich geliefert werden, Anzug oder Kleid nach zahlreichen Plätzchen-Naschereien noch passen oder sie genug Lichterketten auf dem Dachboden finden, konzentriert sich an der Dachauer Straße alles auf den Mittwoch genau eine Woche vor dem Fest.

Wie optimistisch ist die Künstlerschaft? Schulterzucken, Gemurmel, ausweichende Blicke. Die 86-jährige Sigrid Pahlitzsch räuspert sich: „Wenn wir keine Hoffnung hätten, wären wir nicht hier.“

 

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  • FRUSTI13 vor 2 Stunden / Bewertung:

    Bei den Künstlern hat es sich wohl noch nicht herum gesprochen, dass die Finanzlage Münchens äußerst angespannt ist! Künstler, die über Jahrzehnte auf die Subventionierung durch den Steuerzahler angewiesen sind, sollten ihre Berufswahl mal überdenken!

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  • OLGI vor 2 Stunden / Bewertung:

    10 Euro warm pro m² wären die Künstlernden bereit zu zahlen? Ernsthaft? Wer keine 20 Euro erwirtschaftet, sollte sich vielleicht ein neues Hobby jenseits der Subventionen durch den Steuerzahler suchen.

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