Münchner Architekt: "Ein schönes Gebäude? Da muss man schon lange suchen"
München - Architekt Rainer Hofmann hat unter anderem an der TU studiert und lange in London gearbeitet. Er ist Geschäftsführer von Bogevischs, dem Büro, das in München den neuen Elisabethmarkt plant. Die AZ hat mit ihm gesprochen.
AZ: Herr Hofmann, gibt es in Münchner Architekturbüros eine große Schublade, aus der sie immer wieder den gleichen Plan ziehen, wenn sie ein Wohnhaus bauen müssen?
RAINER HOFMANN: Nein, wir haben in München eigentlich sehr gute Büros.
Und warum kommen dann so oft Schuhschachteln mit winzigen Fenstern heraus?
Eigentlich gibt es zwei verschiedene Professionen: Die Stadtplaner, die gemeinsam mit der Stadt den Bebauungsplan aufstellen. Und die Architekten, die sich um die Gestaltung kümmern. Die Tendenz der letzten Jahre ist allerdings, dass Kommunen den Architekten immer weniger zutrauen und immer mehr vorgeben.
Hofmann: Architekten wird immer weniger zugetraut
Was ist daran problematisch?
Dadurch ist von vornherein definiert, wie lang und wie hoch das Haus sein soll. Dann steht in den Plänen meistens noch, wie die Fenster aussehen und dass es ein begrüntes Flachdach geben soll. Und plötzlich entsteht da von vornherein eine Box, und in die kann ich als Architekt auch nur eine Box reinbauen.

Das heißt, München ist selbst schuld, wenn überall bloß noch Schuhschachteln stehen?
Kommunen haben Angst vor zu viel Freiheit, weil viele Bauträger von Kommerz getrieben sind und versuchen würden, so viel wie möglich aus dem Grundstück herauszuholen. Eine andere Erklärung ist, dass es heute so wahnsinnig viele Möglichkeiten der Verschandelung gibt. Als die schönen Gründerzeitviertel in Schwabing oder der Maxvorstadt vor 150 Jahren entstanden sind, gab es nur eine Sorte Ziegel, und die Fenster mussten eine bestimmte Größe haben, weil sie sonst zu teuer geworden wären. Dadurch entstand eine Ähnlichkeit. Wenn man sich heute Einfamilienhaus-Siedlungen anschaut, sieht man lauter grauenhafte Architektur, weil alles möglich ist. Deswegen denken Kommunen, sie müssten einen Rahmen schaffen.
Ist das nur in München so?
In Deutschland gibt es im Allgemeinen sehr viele Regelungen, besonders im sozialen Wohnungsbau. Es ist genau definiert, wie groß die einzelnen Zimmer je nach Einkommensgruppe sein dürfen. Hinzukommen noch Anforderungen an die Barrierefreiheit. Deshalb bekommt ein Architekt am Ende fast nur rechteckige Zimmer hin. Wie soll dann etwas anderes als ein rechtwinkliges Gebäude entstehen?
Was muss sich ändern?
Es sind also dringend andere Planungsmittel und mehr Freiheit notwendig. Dann würden andere Architekturen entstehen. Schon beim städtebaulichen Rahmenplan müssten Kommunen wilder und kreativer sein. In München gibt es da schon Ansätze. Man erhält in einigen Neubaugebieten mehr Baurecht, wenn man Flächen für die Gemeinschaft anbietet. Und man merkt, dass begonnen wird, wieder darüber nachzudenken, ob ein Haus nicht auch Kanten und Ornamente braucht.
Kritik an Münchner Neubauten: "Architektur, die keiner braucht!"
Aber Städte können sich Verzierungen wahrscheinlich oft nicht leisten.
Natürlich versuchen Städte, Geld zu sparen. Ich habe allerdings das Gefühl, dass beim privaten Wohnungsbau viel größere Bausünden versteckt sind.
Zum Beispiel?
In der Parkstadt Schwabing muss man lange suchen, bis man ein schönes Gebäude findet. Die schlimmsten sind die privat finanzierten Häuser: möglichst billig mit Stahlbeton hochgezogen und dann eine Plastikdämmung drauf gepackt - mit einem Putz, der nach zehn Jahren moosig wird. Das ist weder nachhaltig noch schön, das ist Architektur, die keiner braucht.
Warum gibt es davon in München so viel?
München hat ein Problem: Ein Investor muss sich keine Gedanken machen, ob er seine Wohnungen losbekommt.
Was macht ein Wohnhaus lebenswert?
Da muss man sich nur die historischen Beispiele in Schwabing oder Maxvorstadt anschauen. Da stehen hinten im Hof die kleinen Nebengebäude, zum Teil mit Werkstätten. Im Erdgeschoss hat jedes zweite Haus einen Laden. Die Wohnungen sind unterschiedlich groß. Ganz oben unter dem Dach wohnte das Gesinde. Darunter gab es herrschaftliche Wohnungen. Es wäre das Wichtigste, wenn wir wieder eine solche Vielfalt hinbekommen. Aber das schaffen in München eigentlich bloß die Genossenschaften.

Warum?
Die haben nicht diesen Druck, nur Sozialwohnungen zu schaffen und müssen auch nicht nur Profit machen. Ich habe ein Projekt in der Domagkkaserne mit der Genossenschaft Wagnis eG gemacht. Da bestehen die Hälfte der Erdgeschossflächen aus Nachbarschaftstreffs, aus Ateliers, Büros und Veranstaltungsräumen. Aber natürlich tragen die sich nicht selbst, sondern müssen querfinanziert werden. Und: In einem Haus muss es die Möglichkeit geben, sich zu begegnen - nicht nur in Gemeinschaftsräumen und im Café, sondern auch ganz informell - zum Beispiel im Treppenhaus. In den alten Münchner Mietshäusern gibt es riesige Treppenhäuser mit Oberlicht. Da kann man stehenbleiben, kurz ratschen. Das ist wahnsinnig viel wert.
Und dann ist es egal, wie das Haus letztlich von außen aussieht?
Nein, natürlich nicht. Ein Haus muss ein Gesicht haben. Kleine schießschartenartige Fenster, wie sie in der Nachkriegszeit billig hochgezogen wurden, braucht heute keiner mehr. Das ist deppert. Es ist wichtig, dass die Fassade ein gewisses Spiel hat. Ob das Vor- und Rücksprünge sind, ob man das durch die Materialität erzeugt, durch Schlichtheit oder durch Ornamente, ist egal. Das kann alles schön sein. Am schlimmsten ist es, wenn die Fassade einfach nur runtergemetert ist.
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Machen solche Details das Bauen nicht viel zu teuer?
Obwohl die Baukosten gestiegen sind, machen sie nur einen Bruchteil der Kosten insgesamt aus. Unter 7.000 Euro pro Quadratmeter kann ich mir in München nichts mehr kaufen. Die Baukosten für Wohnbauten liegen aber nur irgendwo zwischen 2.500 bis 3.000 Euro pro Quadratmeter. Das heißt, die Kosten für eine schöne Fassade fallen gegenüber dem Kaufpreis insgesamt nur wenig ins Gewicht. Das ist Sparen an der falschen Stelle. Man sollte sich viel mehr Gedanken über die Bodenpreise machen. Und wenn man dann doch beim Bauen sparen wollte - sollte man bei der Technik und den Standards anfangen.
Was meinen Sie konkret?
Ein Beispiel: Jeder Bauherr will erhöhten Schallschutz, aber der ist einfach teurer. Dabei wohnen viele dieser Leute selbst in einem Altbau, wo sie hören, wenn der Nachbar auf die Toilette geht - und es stört sie nicht.
Eher im Gegenteil: Die meisten würden den Makler für einen Altbau noch bestechen.
Genau, gleichzeitig wollen wir überall nur noch perfekte Gebäude hinstellen, in denen man seine Nachbarn gar nicht mehr sieht und hört. Wir haben in München ein Projekt im Sozialwohnungsbau gemacht und wollten eine Gemeinschaftsterrasse bauen. Was das für eine Diskussion war, in welche Richtung wir diese Terrasse setzen, damit die Luxuswohnungen neben dran nicht draufgucken müssen. Da findet kein Austausch statt. Doch wenn man keinen Kontakt hat, empfindet man es natürlich als Störung, wenn man dann mal etwas hört. Wir bräuchten mehr Mut, auch mal Dinge zu machen, die nicht ganz perfekt sind. So könnten wir billiger und nachhaltiger bauen und wären am Ende wahrscheinlich sogar glücklicher.
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