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Besser essen: Das sind Münchens zukunftsweisende Ernährungsprojekte

Ökologisch, nachhaltig, regional: Schlagwörter, die im Zusammenhang mit Lebensmitteln immer wieder fallen. Doch welche Produkte halten tatsächlich, was sie versprechen? Die AZ stellt zukunftsweisende Ernährungsprojekte vor.
Conie Morarescu |
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Gemüsegärtner Georg Schwaiger vor seinen erntefrischen Erzeugnissen im Kreativquartier.
Gemüsegärtner Georg Schwaiger vor seinen erntefrischen Erzeugnissen im Kreativquartier. © Daniel von Loeper

Wie die Zukunft unserer Ernährung aussehen soll, liegt scheinbar auf der Hand. Produktion, Transport und Verkauf von Lebensmitteln sollten möglichst umwelt- und ressourcenschonend sein. Doch so einfach ist es nicht. Ein großer Biobetrieb muss nicht zwingend schonender wirtschaften als ein kleiner Betrieb, der sich die Bio-Zertifizierung nicht leisten kann. Regionale Tomaten, die schon im März zu kaufen sind, werden in beheizten Gewächshäusern angebaut. Alles andere als nachhaltig also. Wie kann man sich je sicher sein, dass man die richtigen Produkte kauft?

Die hier vorgestellten Zukunftsmacher haben eines gemeinsam: Sie wollen diesen Unsicherheitsfaktor minimieren. Indem sie Produzenten und Verbraucher zusammenbringen, die Produkte bewusst wählen und den Verbrauchern ein Mitspracherecht geben. Es sind solidarisch organisierte Projekte.

Kartoffelkombinat

Eines der bekanntesten Konzepte ist die solidarische Landwirtschaft, abgekürzt Solawi. Und eine der europaweit größten Solawis findet man in München: Das Kartoffelkombinat wurde vor zehn Jahren gegründet und ist stetig gewachsen. Auf 30 Hektar Fläche bei Mammendorf wird heute Gemüse für rund 2200 Haushalte im Stadtgebiet und Münchner Landkreis angebaut.

Die Haushalte sind keine Kunden, sondern Genossenschaftsmitglieder. Sie erwerben Anteile, zahlen dazu noch einen festen Beitrag, der es den angestellten Gärtnern und Azubis ermöglicht, den Hof ökologisch und ressourcenschonend zu bewirtschaften. "Es ist nicht einfach mit bio und regional getan, deshalb sind wir ein Anbaubetrieb geworden. Nur dann haben wir alle Stellschrauben im Griff", erklärt Mitbegründer Daniel Überall.

60 verschiedene Kulturen werden angebaut. Das Gemüse wird wöchentlich an 130 Verteilerstellen geliefert. Nahe am eigenen Wohnort kann man den Anteil abholen.

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"Unser Ziel ist es nicht, Gewinn zu erzielen, sondern eine Versorgungsinfrastruktur aufzubauen", erklärt Daniel Überall. Diese müsse praktikabel sein. Bezahlbar, wohnortnah, zeitsparend. Wer möchte, kann bei der Ernte helfen, aber verpflichtend ist das nicht: "Wir sind in der Haupterntezeit auf Hilfe angewiesen, es kommen aber immer genug Freiwillige zusammen", berichtet Überall.

Die Mitglieder teilen sich die Kosten für die Bewirtschaftung des Hofs. Sie teilen sich auch das Risiko. Fällt die Ernte geringer aus, muss das nicht ein Landwirt alleine tragen. In der jährlichen Generalversammlung wird gemeinsam über wichtige Fragen entschieden.

Die nächste Investition: ein 5000 Kubikmeter großer Regenwasser-Speicher. Eine Reaktion auf zunehmende Extremwetterlagen: lange Dürrephasen, gefolgt von Platzregen. "Es macht Sinn, das Regenwasser für trockene Phasen zu speichern. Der Teich deckt dann den Großteil unseres Jahresbedarfs", so Überall.

Etwa eineinhalb Jahre lang waren die Kapazitäten des Kartoffelkombinats ausgeschöpft, die Warteliste war lang. Anfang des Jahres konnten zusätzliche Flächen erworben werden, neue Mitglieder sind willkommen.

www.kartoffelkombinat.de


Auergarden

So groß muss solidarische Landwirtschaft aber nicht unbedingt sein, sie funktioniert auch im Kleinen. Der Auergarden in der Holledau ist gerade einmal vier Hektar groß. Die Solawi beliefert 95 Haushalte und möchte noch weiter wachsen. Organisiert ist sie in Form eines Vereins. Die Mitglieder leisten einen Jahresbeitrag und dazu einen Beitrag für die wöchentlichen Ernteanteile. An vier Ausgabestellen können sie diese abholen: direkt am Hof in der Hallertau, in Freising, Freimann und im Kreativquartier in Schwabing. Der Verein pachtet die Flächen von Landwirt Georg Schwaiger. Zusammen mit zwei weiteren Gärtnern ist er für den Anbau der bis zu 50 Sorten verantwortlich. Vor allem alte, samenfeste Sorten.

Auch Eigenzüchtungen sind dabei, wie die Schoko-Tomate. "Das ist nur ein vorläufiger Name", sagt Vorstandsmitglied Steffi Graf und lacht. "Die Tomate ist dunkelbraun und schmeckt herrlich."

Gemeinschaft spiele eine wichtige Rolle. "Wir wollen auch aufklären und Bildungsarbeit leisten", so Graf. Helfi-Tage, Feste und Workshops gehören dazu. Graf sieht in der solidarischen Landwirtschaft ein zukunftsfähiges Konzept: "Das Gemüse ist erntefrisch und sehr gesund. Unsere Mitglieder sind Teil einer Gemeinschaft, sie können mitbestimmen. Ich bin mir sicher, dass das zunehmend gefragt ist."

www.auergarden.de


Solawi Neufarn

Ebenfalls klein und wohl die jüngste der Region ist die Solawi Neufarn im Ebersberger Landkreis. Sie wurde im April gegründet.

Die Besonderheit: Die 38 Gemüsekistenabonnenten ernten ihren Anteil selbst. "Das hat sich einfach so bewährt", erzählt Roland Bilke, der aktiv an dem Projekt beteiligt ist. Die Mitglieder sprudeln vor Ideen für den Hof: "Wir planen einen Schwimmteich und einen Brotofen, Weidehütten, Obstanbau, Hühnerhaltung, Kräuterspirale. Auch Workshops, die die Gemeinschaft fördern", schwärmt Bilke.

Der gemeinschaftliche Aspekt, hier im Kleinen kann er besonders ausgelebt werden.

www.solawineufarn.de


Foodhub

Auf Gemeinschaft baut auch Foodhub, der genossenschaftliche Mitmach-Supermarkt, der im Sommer 2021 in Giesing eröffnet hat (AZ berichtete). Die Mitglieder sind selbst Eigentümer des Ladens. Sie leisten neben den Genossenschafts-Anteilen aber keine Beiträge, sondern arbeiten drei Stunden im Monat im Laden.

Kristin Mansmann hat Foodhub mitgegründet ...
Kristin Mansmann hat Foodhub mitgegründet ... © C. Morarescu

Dadurch können Personalkosten eingespart werden, die deutlich günstigere Preise für hochwertige Lebensmittel ermöglichen. Viele Produkte werden von regionalen Landwirten und Produzenten direkt bezogen. Der Rest wird im Bio-Großhandel eingekauft. Ein ausgewähltes Sortiment.

Das Konzept geht auf: Die Zahl der Mitglieder hat sich seit der Eröffnung verdoppelt auf 1.750.

"Wir sind sehr zufrieden", berichtet Mitgründerin Kristin Mansmann. "Einen krisenbedingten Umsatzrückgang merken wir nicht." Wegen der engen Beziehungen, welche Foodhub zu den Lieferanten habe, sei kein Engpass zu spüren, die Preise der Kleinhersteller seien nicht signifikant gestiegen.

... der genossenschaftliche Supermarkt ist in Giesing.
... der genossenschaftliche Supermarkt ist in Giesing. © C. Morarescu

Klingt nach einem krisenfesten Konzept. Weitere Supermärkte dieser Art entstehen gerade in ganz Deutschland, in Berlin, Köln, Bremen und Hamburg. "Wir möchten gerne mehr Menschen begeistern und mehr Bauern unterstützen", hofft Mansmann für die Zukunft.

www.foodhub-muenchen.de


Ökoesel

Das solidarische Prinzip verfolgt auch der Ökoesel, der Bio-Mitgliederladen in Neuhausen, neuerdings auch mit einer Filiale in Haidhausen vertreten. Es gibt ihn bereits seit 2016. Formal ist er eine GbR, erinnert aber eher an einen Verein. Die Mitglieder zahlen einen Beitrag und können dafür deutlich günstiger im Laden einkaufen als Nicht-Mitglieder.

"Wir möchten auch Menschen eine gesunde Ernährung ermöglichen, die es sich normalerweise nicht leisten können", sagt Christian Rehbein vom Ökoesel-Team. Daher sei der Beitrag nicht festgelegt, die Mitglieder entscheiden selbst, je nachdem, wie viel sie sich leisten können.

Christian Rehbein vom Ökoesel in der Breisacher Straße.
Christian Rehbein vom Ökoesel in der Breisacher Straße. © Daniel von Loeper

Die Beiträge ermöglichen einen deutlich geringeren Aufschlag, als er im Einzelhandel üblich ist. Auch hier ein ausgewähltes Vollsortiment, viele regionale und unverpackte Produkte.

Doch mit dem Ladenkonzept soll es nicht getan sein. Jüngst wurde die "Initiative Kritische Nachhaltigkeit" vom Ökoesel gegründet. Vorträge und Diskussionen, Lesezirkel sollen die kritische Aufmerksamkeit schärfen und Raum bieten für neue Ideen. "Wollen wir in der Zukunft etwas verändern, muss das auch von uns selbst kommen."

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17 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • mausundkatz am 22.08.2022 09:28 Uhr / Bewertung:

    "Ökoesel" finde ich einen super passenden Namen übrigens.

  • Der wahre tscharlie am 22.08.2022 17:30 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von mausundkatz

    "mausundkatz" und "katzundmaus"....... LOOL

  • tutwaszursocke am 21.08.2022 23:21 Uhr / Bewertung:

    Solawi? Klingt im Prinzip nach Kolchose. Hätten wir billiger haben können: indem wir die BRD an die DDR angeschlossen hätten, statt umgekehrt.

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