Interview

Münchens OB Dieter Reiter: "Radwege allein sind keine Lösung"

Warum es ständig mit den Grünen kracht und weshalb es bei den Mietpreisen so wenig gebracht hat, dass Sozialdemokraten regieren, erklärt OB Dieter Reiter.
von  Christina Hertel
Der Umgang zwischen Rot und Grün könnte "freundlicher und professioneller" sein, sagt OB Dieter Reiter. Nach der Wahl könnte das besser werden.
Der Umgang zwischen Rot und Grün könnte "freundlicher und professioneller" sein, sagt OB Dieter Reiter. Nach der Wahl könnte das besser werden. © Daniel von Loeper

München - Eine Wette, dass ein Sozialdemokrat Kanzler wird, hätte der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter vor ein paar Monaten wahrscheinlich nicht abgeschlossen. Anfang des Jahres lag die SPD noch bei 13 Prozent, inzwischen liegt sie in den Umfragen vorn. Reiter ist selbst seit Jahren SPD-Mitglied. Als großer Wahlkämpfer trat er in den vergangenen Monaten jedoch nicht auf.

Dafür als Gastgeber: Gleich zweimal besuchte ihn diesen Sommer der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Im AZ-Interview erklärt Reiter, was für München herausspringt, falls sein Parteifreund Kanzler wird. Außerdem erzählt er, warum es im Münchner Rathaus ständig mit den Grünen kracht.

AZ: Herr Reiter, was ist Ihr Tipp für den Wahlausgang?
DIETER REITER: Die SPD holt mindestens 25 Prozent, dahinter liegt die CDU/CSU. Der Abstand wird nicht so groß ausfallen, wie jetzt manche meinen. Wahrscheinlich machen ein paar verärgerte CSUler, die Armin Laschet für den falschen Kandidaten halten, dann doch ihr Kreuz dort, wo sie es immer gemacht haben.

Mit welcher Koalition springt am Ende am meisten für München raus?
Olaf Scholz hat gesagt, sein Ziel ist Rot-Grün. Leider sieht das rein rechnerisch nicht gut aus. Für mich kommt Die Linke als Partner nicht in Frage. Es bleibt also nur die FDP. Aber da beneide ich Olaf Scholz nicht. Im Stadtrat sagen FDPler schon mal: Wer sich die Miete nicht leisten kann, muss sich halt eine Wohnung kaufen.

Reiter: "Ein direkter Draht zum Kanzler schadet nie." 

Olaf Scholz war selbst lange Bürgermeister, er ist auch SPDler. Hilft das München?
Ich kenne Olaf Scholz seit Jahren. Ein direkter Draht zum Kanzler schadet nie. Außerdem weiß Scholz als ehemaliger Bürgermeister, was Städte brauchen. Bislang hat die Bundesregierung zu wenig danach gefragt. Obwohl über 60 Prozent der Menschen in Städten leben, werden wir viel zu wenig in zentrale Entscheidungen einbezogen. Ich habe deshalb vorgeschlagen, ein Kommunalministerium zu gründen, das die Belange der Städte besser vertritt.

Haben Sie Olaf Scholz schon davon überzeugt?
Olaf Scholz ist einer, der sagt, dass es erst einmal darum geht, die Wahl zu gewinnen.

Zumindest bei den Mietpreisen half es wenig, dass in München und im Bund Sozialdemokraten regieren. Sie explodieren trotzdem. Was lief schief?Der Staat hätte schon vor Jahren preisdämpfende Maßnahmen ergreifen müssen. Aber mit CDU und CSU war das nicht zu machen. Da haben die Lobbyisten in Berlin ganze Arbeit geleistet.

Die SPD ist stolz auf ihre Mietpreisbremse. Was hat sie für München gebracht?
Ein bisschen preisdämpfend wirkt sie schon, aber sie ist langfristig keine Lösung. Damit Wohnen nicht zum Luxus wird, bräuchte es andere Instrumente.

Zum Beispiel?
Es bräuchte ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen. Es sollte außerdem nicht möglich sein, dass jemand, der sein Grundstück brach liegenlässt, nach ein paar Jahren den zehnfachen Wert erzielt, ohne auch etwas zurückzugeben. Schließlich hat die Allgemeinheit dafür gesorgt, dass die Grundstücke überhaupt so sehr im Wert gestiegen sind - denken Sie nur an den Bau von Schulen, U-Bahnen, Theatern.

Reiter: "Das Sozialticket gibt es nur wegen der SPD, nicht wegen der Grünen."

In Ihrem Wahlprogramm steht, dass langfristig der öffentliche Nahverkehr kostenfrei werden soll. Stattdessen werden jetzt die Tickets teurer. Haben Sie Ihr Versprechen vergessen?
Natürlich nicht. Deshalb haben wir ein 365-Euro-Ticket für Schülerinnen, Schüler und Auszubildende eingeführt. Die Preiserhöhung ist leider aufgrund der Preissteigerungen, hier vor allem Lohnsteigerungen, bei den Verkehrsunternehmen unumgänglich und deckt den tatsächlichen Bedarf nur zur Hälfte. Mir fehlt es an Vorschlägen vom politischen Gegner, aber auch vom Koalitionspartner, wie wir den Mehrbedarf stattdessen finanzieren sollen. Die Stadt München finanziert den ÖPNV bereits jetzt jährlich mit einem dreistelligen Millionenbetrag. Ein 365-Euro-Ticket für alle wird es nur dann geben können, wenn mehr Geld vom Bund und vom Land kommt.

"Verkehr ist ein besonders schwieriges Thema", sagt Reiter im Gespräch mit der AZ-Rathausreporterin Christina Hertel.
"Verkehr ist ein besonders schwieriges Thema", sagt Reiter im Gespräch mit der AZ-Rathausreporterin Christina Hertel. © Daniel von Loeper

Die Grünen haben in einem offenen Brief kritisiert, dass auch die Tickets für Bedürftige teurer werden. Ist das soziale Politik?
Es gibt das Sozialticket nur wegen der SPD, nicht wegen der Grünen. Die Preissteigerung beträgt rund einen Euro pro Monat. Einen Vorschlag, was stattdessen teurer werden sollte, haben die Grünen nicht gemacht. Von einer Regierungspartei erwarte ich mir mehr Verantwortungsbewusstsein.

Es ist nicht das erste Mal, dass die SPD mit den Grünen aneinandergerät.
Grundsätzlich ist es normal, dass man ab und zu aneinandergerät. Das gab es auch mit der CSU. Innerhalb einer Koalition einen offenen Brief zu schreiben, ist aber - vorsichtig ausgedrückt - suboptimal.

Reiter: "Der Umgang könnte freundlicher und professioneller sein." 

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die Stimmung zwischen den Roten und Grünen besser wird?
Wir dachten, dass es nach den Ferien, in denen sich die Fraktionen getroffen haben, besser wird. Aber gerade erkenne ich das nicht. Vielleicht nach der Bundestagswahl. Die nächste Wahl ist 2023. Deshalb hoffe ich jetzt auf ein Jahr, in dem wir friedlich zusammenarbeiten. Denn wir verfolgen ja die gleichen Ziele. Nur der Umgang könnte freundlicher und professioneller sein. Im Rathaus sieht man sich häufig. Wenn einem etwas nicht passt, könnte man es ansprechen. Man muss es nicht nachts um elf in Sozialen Medien posten - und das gilt für beide Seiten.

War's mit der CSU kuscheliger?
In meinen ersten Jahren gab es mit Josef Schmid diverse Scharmützel. Aber wir haben insgesamt gut zusammengearbeitet. Allerdings war der Stadtrat geprägt von Leuten, die seit Jahrzehnten Politik machten. Diesmal ist mehr als die Hälfte der Stadträtinnen und Stadträte neu. Noch dazu müssen wir durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie sparen. Und Verkehr ist ein besonders schwieriges Thema.

Inwiefern?
Eine Lösung gibt es nur, wenn alle mitziehen. Ich sehe mich als Mediator, zwischen denen, die am liebsten jeden Radlweg sofort bauen würden und denen, die gegen alles sind. In München sind über 700 000 Pkw zugelassen. Da können Radwege allein nicht die Lösung sein. Gleichzeitig hätte ich auch gerne eine Altstadt, in der nicht mehr so viele Autos fahren.

Ganz autofrei wird's nicht?
Das wird wohl nicht gehen. Viele Menschen trinken auch gern mal ein Bier in einer Wirtschaft oder wollen essen und einkaufen gehen, aber die Waren muss auch jemand anliefern. Manche brauchen das Auto aus gesundheitlichen Gründen. Auch Krankenwagen, Polizei, Taxen müssen rein, und für die Anlieger müssen Lösungen gefunden werden. Ich kann mir vorstellen, die Zahl der Autos deutlich zu reduzieren. Das wird keine fünf Jahre mehr dauern.

Reiter: "Ich kann den Polizeieinsatz bei der IAA nicht kritisieren."

Vor Kurzem fand in München die Automesse IAA statt. Danach gab es viel Kritik am Polizeieinsatz. Zurecht?
Ich war selbst vor Ort nah dran und kann die Polizei nicht kritisieren.

Schlagstöcke und Pfefferspray sind also in Ordnung?
Das waren Einzelfälle. Natürlich muss man sich in jedem Einzelfall anschauen, ob das notwendig war. Aber ich glaube nicht, dass so viele Polizisten unterwegs waren, weil das Wetter so schön war. Die Polizei sorgte dafür, dass die IAA vernünftig ablaufen konnte. Der bayerische Innenminister hat ein paar Tage zuvor eine massive Beteiligung des sogenannten schwarzen Blocks und das große Chaos angekündigt. Aber in München lassen wir nicht zu, dass Gesetze ignoriert werden. Das liegt am Zusammenwirken unserer Sicherheitsbehörde und der Polizei.

Was muss beim nächsten Mal anders laufen?
Wir müssen die Benutzung des öffentlichen Raumes besser regeln. Wir werden im Stadtrat noch im Herbst eine Zusammenfassung hören, wer die Aufbauten am Odeonsplatz genehmigte und warum in den Verträgen die Höhe der Bauten offenbar nicht begrenzt wurde.

Für die Demonstranten gab es für ihr Camp auf der Theresienwiese sehr viele Auflagen.
Auflagen sind ja nichts Ungewöhnliches und gibt es gerade bei größeren Versammlungen immer wieder. Wenn man sich vorher laut äußert, dass Protest "wehtun" muss, darf man sich nicht wundern, wenn die Versammlungsbehörde vorsichtig ist. Wir hätten dem Camp aber keinen größeren Platz als die Theresienwiese geben können.

Reiter: "Bei einer Wiesn 2022 gibt es wahrscheinlich Einlasskontrollen."

Findet dort 2022 endlich wieder die Wiesn statt?
Ich arbeite daran. Dafür ist vor allem eine hohe internationale Impfquote notwendig, damit die Wiesn so sicher wie möglich sein kann und genug Besucher kommen, wenn Corona-Einschränkungen erforderlich sind.

Das heißt, es gibt Einlasskontrollen?
Davon muss man derzeit ausgehen. Wir überlegen gerade, wie wir das technisch und personell am besten umsetzen können.

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