München und andere bayerische Städte machen immer mehr Schulden: "Können uns bestimmte Investitionen nicht leisten"

Bayerns Städte und Gemeinden machen immer mehr Schulden. Woran das liegt und wo die Kommunen stattdessen sparen – zum Beispiel am ÖPNV.
Tobias Lill |
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Ein Blick auf München. Der Stadtkämmerer sagt: "Wir können uns aktuell bestimmte Investitionen nicht leisten."
Ein Blick auf München. Der Stadtkämmerer sagt: "Wir können uns aktuell bestimmte Investitionen nicht leisten." © imago

München - Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs im Landkreis Fürstenfeldbruck kannte jahrelang nur eine Richtung: Takte wurden verdichtet, neue Linien eingeführt. Das Busnetz wurde sogar ausgezeichnet.

Doch im Juni kündigte das Landratsamt Einsparungen an: Einige Linienführungen und Haltestellen sollen wegfallen, Samstagsfahrten gestrichen werden. Angesichts eines jährlichen Defizits von gut 13 Millionen Euro will der westlich von München gelegene Landkreis auch beim ÖPNV sparen.

Im Vergleich zu zahlreichen anderen bayerischen Kommunen stehen die Brucker aber noch gut da. Bereits im vergangenen Herbst verhängten die Städte Straubing und Ingolstadt mit sofortiger Wirkung eine Haushaltssperre. Allein in der Audi-Stadt müssen nach Rathaus-Angaben bis 2027 rund 100 Millionen Euro eingespart werden.

Verschuldete Kommunen in Bayern: Erlangen verhängt eine Haushaltssperre

In Erlangen wurde vergangene Woche eine Haushaltssperre verhängt ‒ dort sorgte ein Gewerbesteuereinbruch für ein Defizit von 50 Millionen Euro. Nun streicht die Studentenstadt einen Millionenbetrag ‒ etwa bei Weiterbildungen fürs Personal, der Begrünung der Stadt, beim Klimaschutz, dem Bürgeramt, der Kulturförderung und der Kinderbetreuung.

Auch der Landkreis Würzburg hat einen Haushaltsstopp verhängt, um zu verhindern, dass der dortige Schuldenstand bis zum Ende des Jahres auf 50 Millionen Euro ansteigt.

Gründe für die explodierenden Ausgaben sind laut Landratsamt deutlich gestiegene Kosten für die Jugendhilfe und die Unterbringung von Flüchtlingen sowie die Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst.

Ein Problem für die Kommunen: Sie sind für die Unterbringung der vielen ukrainischen Bürgergeldbezieher verantwortlich ‒ vom Bund erhalten sie dafür jedoch keine Mittel.

Städtetag: "Ein Rekorddefizit"

Wegen aus dem Ruder laufender Ausgaben schlagen die kommunalen Spitzenverbände auf AZ-Anfrage Alarm. Im vergangenen Jahr sammelte sich bei den Kommunen ein Kassendefizit von 2,5 Milliarden Euro an ‒ laut Bayerischem Städtetag "ein Rekorddefizit".

Der Städtetag warnt vor einer Verschärfung der Situation. Mit 3,7 Milliarden Euro habe das Defizit in den ersten drei Monaten dieses Jahres "das mit Abstand höchste kommunale Defizit in einem Jahresauftaktquartal erreicht". Städte und Gemeinden würden "zunehmend in Schieflage geraten".

Thomas Karmasin (CSU), Präsident des bayerischen Landkreistags, steht vor Beginn eines Spitzengesprächs vor der bayerischen Staatskanzlei.
Thomas Karmasin (CSU), Präsident des bayerischen Landkreistags, steht vor Beginn eines Spitzengesprächs vor der bayerischen Staatskanzlei. © Sven Hoppe/dpa

Auch die enormen Lohnsteigerungen im öffentlichen Dienst bereiten vielen Rathauschefs Kopfschmerzen. Dem Präsidenten des Bayerischen Landkreistags, Thomas Karmasin, zufolge zeichnet sich für das laufende Jahr "ein deutlich negativer Finanzierungssaldo und damit eine weitere Verschärfung der kommunalen Finanzlage ab".

Der CSU-Politiker konstatiert: "Die Landkreise sind mit starken Ausgabensteigerungen in nahezu allen Aufgabenbereichen konfrontiert." Dies gelte "vor allem für die dramatisch steigenden sozialen Lasten".

Vor allem dem Bund wird die Schuld gegeben

Laut Karmasin haben diese ihren Ursprung "überwiegend in der Bundesgesetzgebung". Tatsächlich hat Berlin nicht nur die hohen Flüchtlingskosten zu verantworten ‒ auch die Situation der kommunalen Kliniken ist besorgniserregend.

Vier von fünf Krankenhäusern könnten "aufgrund der unzureichenden Betriebskostenfinanzierung durch den Bund ihre Kosten nicht decken", so Karmasin. Die Zeche zahlen die Kommunen.

Die Steuereinnahmen der bayerischen Kommunen, die sich im vergangenen Jahr auf gut 25 Milliarden Euro summierten, stagnierten zuletzt, während die Ausgaben weiter zulegten. Mehr als 180 Millionen Euro muss zum Beispiel die Münchner Verwaltung in diesem Jahr einsparen, um einen genehmigungsfähigen Haushalt hinzubekommen.

Laut Karmasin mussten in den Jahren 2023 und 2024 zwei Drittel der bayerischen Landkreise ihre Kreisumlagesätze anheben. Der durchschnittliche Kreisumlagesatz 2024 liege mit 47,8 Prozent "wieder auf dem Niveau von dem durch die Jahre der Eurokrise geprägten 2014".

Sofortmaßnahme: Geld vom Freistaat

Die Kreise nahmen den Gemeinden also gezwungenermaßen deutlich mehr Geld ab, um die Gemeinschaftsaufgaben zu finanzieren. Die wiederum wissen oft kaum noch, wo sie sparen sollen.

"Für das Haushaltsjahr 2024 hatten noch nie so viele Gemeinden Probleme, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen", sagt Hans Peter Mayer. Der Direktor des Bayerischen Gemeindetags berichtet, dass besonders bei den Investitionen gespart werde.

Stadtkämmerer Christoph Frey von der SPD.
Stadtkämmerer Christoph Frey von der SPD. © LHM

Münchens Stadtkämmerer Christoph Frey (SPD) bestätigt der AZ: "Wir können uns aktuell bestimmte Investitionen nicht leisten, auch wenn sie sinnvoll und notwendig sind." Vielerorts droht der ÖPNV-Ausbau unter die Räder zu geraten. Zahlreiche Kommunen erhöhten zuletzt die Grund- oder Gewerbesteuer ‒ darunter leider jedoch die örtliche Wirtschaft.

"Inzwischen ist in vielen Städten und Gemeinden ein Schmerzpunkt erreicht", sagt der Straubinger OB Markus Pannermayr, Vorsitzender des Bayerischen Städtetags. Ebenso wie Mayer und Karmasin fordert er, dass nicht weiter Aufgaben vom Bund und den Ländern an die Kommunen delegiert werden, ohne diese mit ausreichend Mitteln auszustatten.

Kommunalvertreter wünschen sich als Sofortmaßnahme mehr Geld vom Freistaat. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verweist auf Anfrage darauf, dass der kommunale Finanzausgleich 2024 mit rund 11,4 Milliarden Euro "trotz der angespannten Haushaltslage des Freistaats Bayern erneut ein neues Spitzenniveau erreicht hat".

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warnt vor der abstrakten Gefährdungslage (Archivbild).
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warnt vor der abstrakten Gefährdungslage (Archivbild). © Arne Dedert/dpa

Herrmann: Migration darf die Kommunen nicht überfordern

Er sieht den Bund in der Pflicht: "Die Migration muss auf ein Maß begrenzt werden, das die Kommunen nicht überfordert". Auch müsse sich der Bund "endlich angemessen finanziell an den Kosten der seinerseits zu verantwortenden hohen Zugangszahlen beteiligen". Die Privilegierung der Ukrainer und Ukrainerinnen beim Bürgergeld hält er für falsch.

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Tim Pargent, Finanzexperte der Grünen-Landtagsfraktion, fordert gegenüber der AZ sowohl Bund als auch Freistaat zum Handeln auf. "Wir brauchen in den Kommunen Investitionen in die Zukunft, allen voran in den Klimaschutz, die Energiewende, Wohnen, Kinderbetreuung und den ÖPNV." Er warnt vor Einsparungen in diesen Bereichen. Eine Reform der Schuldenbremse im Bund soll aus Sicht seiner Partei die nötigen Mittel bringen.

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  • Bongo am 07.08.2024 16:35 Uhr / Bewertung:

    Antwort an Tak:
    „..wenn alle zusammenarbeiten. Gemeinsam sind wir stark“. Das war einmal, als es noch keine Grünen gab,die seit es sie gibt, nur unsere Gesellschaft gespalten haben.

  • Tak am 06.08.2024 09:27 Uhr / Bewertung:

    Vielleicht wäre es auch mal wieder gut, wenn alle mal wieder zusammen arbeiten würden. Und nicht jeder seinen Egotrip fährt. Von Parteien über Bürger..
    Gemeinsam ist man stark. Aber das wollen ja nicht viele
    Nur meckern wie schlecht es jeden geht. Wo dreimal Urlaub im Jahr zuwenig ist, das neue Smartphone jedes Jahr, größeres Auto, Eigentumswohnung, jedes Wochenende ein Event..
    Und dann geht es einen schlecht

  • OnkelHotte am 07.08.2024 16:18 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Tak

    Du bist nur so stark, wie Dein Arbeitgeber Dich bezahlt ….

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