Mordfall Walter Sedlmayr: Ermittler spricht über Jahrhundertfall

Am 14. Juli 1990 wird der Volksschauspieler Walter Sedlmayr in seiner Schwabinger Wohnung brutal ermordet. Ex-Ermittler Josef Wilfling (heute 73) erinnert sich.
von  Nina Job
Der verstorbene Volksschauspieler Walter Sedlmayr steht vor seinem Münchner Wirtshaus "Beim Sedlmayr" (Foto von 1989).
Der verstorbene Volksschauspieler Walter Sedlmayr steht vor seinem Münchner Wirtshaus "Beim Sedlmayr" (Foto von 1989). © imago images / Rolf Hayo

München - Gefesselt, gefoltert, mit einem Messer schwer verletzt und mit einem Hammer erschlagen: Am Dienstag vor 30 Jahren wurde der Volksschauspieler Walter Sedlmayr († 64) in seiner Schwabinger Wohnung brutal ermordet. Die Täter inszenierten das Verbrechen als "Stricher"-Mord.

Mit der abscheulichen Tat geriet auch eine sehr private Seite ans Licht, die Sedlmayr seinen Eltern und der Öffentlichkeit immer verheimlicht hatte: Der Vorzeige-Bayer, der auf dem Nockherberg Politiker derbleckte und von Litfaßsäulen für Bier warb, war homosexuell. Ein "Stricher"- oder "Homo-Mord", wie die Polizei zuerst dachte, war das Verbrechen aber nicht. Die Jagd nach den Tätern wurde für die Mordkommission zu der bis dahin aufwändigsten in ihrer Geschichte. Mordermittler Josef Wilfling (73) erinnert sich.

Im AZ-Interview spricht Josef Wilfling, Kriminaloberrat a. D., über den Fall Sedlmayr. Wilfling war 21 Jahre Ermittler bei der Mordkommission.

AZ: Herr Wilfling, wissen Sie noch, was Sie dachten, als Sie vor 30 Jahren vor dem toten Walter Sedlmayr standen?
JOSEF WILFLING: So etwas vergisst man nicht. Bei jedem Toten erkennt man an den Verletzungen, was das Opfer mitgemacht hat. Diese unglaubliche Brutalität und der Hass, der sich da entladen haben muss, das hat sich mir eingeprägt. Das war wirklich eine Hinrichtung.

In München war zuvor nie so aufwändig ermittelt worden.
Ja, es war ein Jahrhundertfall, ein Fall der Superlative in allen Bereichen: die Kriminalistik, die Rechtsmedizin, die Zahl der Zeugenvernehmungen. Es gab auch die ersten Versuche mit DNA: Dafür sind wir mit Zigarettenstummeln, die am Tatort gefunden worden waren, sogar zu Scotland Yard gereist. Auch die Belohnung übertraf alles bisher Dagewesene: 500.000 Mark wurden von den Nachlassverwaltern ausgelobt, 5.000 vom Staat.

Wie schnell war klar, dass es kein Strichermord war?
Wir haben 50 Sexualpartner in der Stricherszene aufgetrieben und sie alle befragt. Alle berichteten übereinstimmend, dass Sedlmayr total harmlos war. Er wollte nur ein bisschen zuschauen, ohne Berührungen. Außerdem fand die Gerichtsmedizin heraus, dass sein Samenbläschen gefüllt war. Es hatte kein Sex stattgefunden.

In seinem Wohnhaus in der Elisabethstraße 5 wurde Walter Sedlmayr am 14.07.1990 ermordet.
In seinem Wohnhaus in der Elisabethstraße 5 wurde Walter Sedlmayr am 14.07.1990 ermordet. © imago images / Reinhard Kurzendörfer

Sie waren als Ermittler für die Spur 09 zuständig, die letztlich zu den Tätern führte. Was war Ihre Aufgabe?
Zunächst war kein Motiv erkennbar. Wir wussten nicht, welche der Spuren zum Erfolg führen würde. Die Spur 09 betraf die Geschäftsbeziehungen von Sedlmayr zu seinem Ziehsohn. Nach und nach hat sich herausgestellt, dass es im Vorfeld ein tiefes Zerwürfnis gegeben hatte zwischen beiden. Sedlmayrs neuer Liebling, sein Privatsekretär, hatte ihm gesteckt, dass der Ziehsohn Waren verschob aus seiner Gaststätte. Daraufhin ließ Sedlmayr täglich die Einnahmen beschlagnahmen. Im Gegenzug bekamen er und sein Sekretär beim Ziehsohn Lokalverbot. Letztlich wurde klar: Der Ziehsohn hatte Angst, alles zu verlieren. Sedlmayr hatte in seinem Tresor eine Verzichtserklärung für das gemeinsame Lokal.

Damit hätte Sedlmayr ihn herauswerfen können, er hätte vor dem Nichts gestanden. Somit hatte er ein Motiv. Wie gelang es, die Tatzeit so genau eingrenzen?
Der 14. Juli 1990 war ein Samstag. Sedlmayr war eigentlich ein einsamer, armer Kerl. Er verbrachte die Wochenenden meist allein in seiner Riesenwohnung im zweiten Stock einer Jugendstilvilla in der Elisabethstraße – meistens saß er im Trainingsanzug, Lord Extra rauchend in seiner Bibliothek. Nur sein Dackel Moritz war bei ihm. An diesem Samstag hat er um 18 Uhr mit dem Koch telefoniert, den er als Nachfolger vorgesehen hatte. Jeden Samstag um 19 Uhr rief ihn die Schauspielerin Maria Niklisch an, mit der er befreundet war. Doch er nahm nicht ab – was nie passiert wäre, wenn er zu Hause gewesen wäre. Da muss also das Rollkommando bei ihm gewesen sein.

"Wir bohrten im Puff ein Loch in die Wand, um zu lauschen"

Wie lief die Tat ab?
Er wurde in der Bibliothek überrumpelt, ins Schlafzimmer gezerrt und bäuchlings aufs Bett geschmissen. Er wurde an Händen und Beinen mit Klebeband gefesselt. Dann hat man ihm mit einem Messer aus der Küche mit 30 Zentimeter langer Klinge in die Niere gestochen und ihm unterhalb des Kinns die Kehle durchschnitten ohne die Halsschlagader zu öffnen. Und schließlich hat man ihm mit einem 1000 Gramm schweren Schlosserhammer den Schädel und das Gesicht zertrümmert.

Der Hammer wurde von der Frau des Mittäters – einem Verwandten des Ziehsohns – identifiziert. Sie vertraute sich einem V-Mann an. Damals sind überhaupt zum ersten Mal V-Leute eingesetzt worden. Haben die eigentlich später die Belohnung bekommen?
Ja, sie wurde aufgeteilt unter ihnen und anderen Zeugen.

Es gab mal die Kritik, die Mordkommission hätte mit James-Bond-Methoden gearbeitet. Sie hat den zweiten Verdächtigen sogar einmal bei der Haftbefehlseröffnung mit Absicht fliehen lassen.
Was ist schlecht an James Bond? Das war alles abgesprochen mit der Staatsanwaltschaft. Der V-Mann, den wir auf ihn angesetzt hatten, war zu seinem besten Freund geworden. Wir hofften auf ein Geständnis. Das kam dann allerdings nicht.

Der Abend nach dem Mord: Am Sonntag, den 15. Juli 1990, wird der Tote entdeckt. Von Journalisten beobachtet, bringen Bestatter den Toten in die Rechtsmedizin.
Der Abend nach dem Mord: Am Sonntag, den 15. Juli 1990, wird der Tote entdeckt. Von Journalisten beobachtet, bringen Bestatter den Toten in die Rechtsmedizin. © Ludwig Hübl/AZ

Wie wurde er wieder gefasst?
Wir haben ein Motorrad präpariert, mit dem er nach Garmisch fliehen wollte. Es blieb dann stehen, genau da, wo wir es wollten. So wurde er festgenommen. Mehr sag ich nicht.

Es heißt oft, die beiden Verwandten seien nach einem Indizienprozess verurteilt worden. Stimmt das?
So war das nicht. Wir hatten auch Teilgeständnisse. Die beiden haben sich in der U-Haft gegenseitig beschuldigt.

Gibt es für Sie, 30 Jahre später, noch offene Fragen?
Ich bin der festen Überzeugung, dass die beiden Richtigen verurteilt wurden. Wer genau was getan hat, also über die Zuordnung, bin ich mir nicht ganz sicher. Ich wüsste gern die ganze Wahrheit. Der eine wollte mehrmals auspacken, hat aber dann doch immer einen Rückzieher gemacht.

Sie sind während der Ermittlungen einmal selbst nur knapp einem Anschlag entkommen. Wie war das?
Mein Kollege Ottowitz und ich sind nach Kroatien gereist, um dort den mutmaßlich dritten Mann aufzuspüren. Das war mitten im Jugoslawienkrieg. Der dortige Polizeipräsident unterstützte uns, wir übernachteten in einem Gasthof. Eine Stunde nach unserer Abreise wurde der Gasthof von Serben überfallen. Sie ermordeten den Wirt und dessen Sohn. Wären wir noch dort gewesen, hätte es uns sicher auch erwischt. Das war reines Glück.

Was bedeutet dieser Fall Ihnen ganz persönlich?
Er war der lehrreichste Fall für mich, einer der schwierigsten und einer der brutalsten. Manchmal war er aber auch komisch: Einmal haben wir in einem Puff ein Loch in die Wand gebohrt, um einen zu belauschen. Das war ausgerechnet am Hochzeitstag des Kollegen.

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