Missstände in der Pflege: „Es ist katastrophal“

Katastrophale Situation in der Pflege, Notstand in den Kliniken der Stadt: Experten warnen vor immer schlimmeren Szenarien. Eine Bürgerinitiative lud nun zur Diskussion in die Kreuzkirche.
Verena Kemmer |
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Claus Fussek (links) mit Ingrid Seyfarth-Metzger, Hans Grundhuber und Matthias Schrappe bei der Diskussion.
AZ/dpa Claus Fussek (links) mit Ingrid Seyfarth-Metzger, Hans Grundhuber und Matthias Schrappe bei der Diskussion.

Katastrophale Situation in der Pflege, Notstand in den Kliniken der Stadt: Experten warnen vor immer schlimmeren Szenarien. Eine Bürgerinitiative lud nun zur Diskussion in die Kreuzkirche.

München - "Wenn sie vorab gesagt hätten, es gehe heute um einen neuen Konzertsaal für München, dann wären deutlich mehr Leute gekommen“, scherzt Pflege-Experte Claus Fussek. Tatsächlich haben nicht viele den Weg in die Schwabinger Kreuzkirche in der Hiltenspergerstraße gefunden. Die Bürgerinitiative BuMS (Bürger für unser Münchner Stadtklinikum) hat zu einer Diskussion geladen.

Es geht um die Missstände in der Pflege und den Versorgungsnotstand in den städtischen Kliniken. Fussek sagt dazu: „Wir kennen ja die katastrophalen Schilderungen, die menschenunwürdigen Zustände in den Krankenhäusern, die Schlagzeilen – seit 20 Jahren kollabiert das System aber es interessiert niemanden. Obwohl wir alle betroffen sind“. Der Sozialpädagoge Fussek kämpft seit Jahren gegen Pflege-Missstände. Es fehle an Personal, Geld und Motivation – und es werde munter weiter gekürzt.

Vor ein paar Tagen schüttete eine Krankenschwester dem WDR-Nacht-Talker Jürgen Domian ihr Herz aus. Alte Menschen liegen eingekotet in Windeln. Ein Patient isst nicht schnell genug, ihm wird eine Magensonde eingesetzt. Szenen aus einem Horrorfilm? „Weit gefehlt, eher ein ganz normaler Tag in einer deutschen Klinik“, meint Pflege-Kritiker Fussek.

Aber nicht nur in der Pflege herrschen nach Aussage des Experten katastrophale Zustände. Vor wenigen Tagen wurde ein besonders schlimmer Fall aus der Notfallversorgung bekannt: Ein schwer verletztes Mädchen in der Nähe von Freising konnte quälend lang nicht behandelt werden, weil alle Münchner Notaufnahmen überlastet waren.

„Nein, solche Beispiele sind nicht übertrieben, wie oft behauptet wird. Es kommt täglich zu massiven Engpässen in den städtischen Kliniken“ sagt die Vorsitzende der Bürgerinitiative, die Medizinerin Ingrid Seyfarth-Metzger. Weil seit Beginn dieses Jahres vor allem in Notaufnahmen, Intensivstationen, den Abteilungen der Inneren Medizin und in Kinderkliniken Schwerverletzte, Alte und Kinder nicht angemessen versorgt werden könnten, schlagen die Experten der Initiative jetzt erneut Alarm.

Die Gründe sind vielfältig: Immer mehr Menschen ziehen nach München, der Altersdurchschnitt steigt und manche Notfälle sind keine echten. Patientenmangel? Eher nicht. Die städtischen Kliniken würden darauf aber falsch reagieren: mit einem Einsparungskurs, bei dem nicht die Patienten im Mittelpunkt stehen, sondern schwarze Zahlen.

Die Krankenhäuser wirtschaften wie normale Unternehmen. Im Schwabinger Krankenhaus soll schon bald wieder drastisch gekürzt werden: Bis 2018 soll die Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Intensivmedizin ersatzlos geschlossen werden. Auch Spezialstationen, wie die sogenannte „Chest Pain Unit“, eine Abteilung, die Herzkatheter-Plätze bereitstellt, fallen dann weg.

Zudem ist Schwabing bisher noch auf die Behandlung von schwer verletzten Unfallopfern ausgelegt. Seit 20 Jahren werden die Patienten versorgt. Die Beschäftigten haben einen oft lebensrettenden Erfahrungsschatz. „Dieser Schwerpunkt soll jetzt unsinnigerweise nach Bogenhausen verlegt werden“, wie der Arzt und stellvertretende Vorsitzende der Initiative, Hans Grundhuber, kritisiert.

Neben der Grippewelle, die noch mehr Patienten in die Notaufnahme getrieben hat, verursacht der Personalmangel die Engpässe bei der Versorgung. Schlechte Bezahlung, Stress und wenig Ansehen förderten nicht gerade den Andrang auf die Stellen, schon gar nicht im teuren München, wie Fussek erläutert.

Politik und Klinik-Chefs sollen sich zwar schon zusammen gesetzt haben, um Verbesserungen zu besprechen. Was konkret vereinbart wurde, sei aber bislang unbekannt, sagt Seyfarth-Metzger.

„Anfang Februar haben wir einen Offenen Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter geschickt, um auf die Probleme auf aufmerksam zu machen“, sagt sie. Bisher ohne Antwort.

„Wenn Pfleger, Sanitäter und Ärzte nicht solidarisch zusammenarbeiten und aufhören, dieses kranke System totzuschweigen, müssen wir ehrlich über aktive Sterbehilfe sprechen“, sagt Fussek. Eine Alternative gebe es sonst nicht.

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