"Menschenrecht, davor seine Ruhe zu haben": Kritik an Münchner Christkindltram

Am Sendlinger Tor funkeln die Lichter überm Christkindlmarkt, es duftet nach Lebkuchen und Glühwein. Und gegenüber an der Tramwendeschleife rollt seit Freitag auch die herzig dekorierte Christkindltram wieder los auf ihrer adventlichen 30-Minuten-Rundtour durch die Münchner Altstadt.
Die heimelige Sonderlinie mit Zipfelmützenfahrer, Fichtenzweigerln, Christbaumkugeln und Kinderpunsch- und Glühwein-Ausschank an Bord (einst erfunden vom Trambahnliebhaber Andreas Nagel und seiner "Aktion Münchner Fahrgäste") versüßt den Münchnerinnen und Münchnern seit 1994 die Adventszeit.
Die Vorweihnachtsbeschaulichkeit könnte also perfekt sein. Wäre da nicht ein Novum, das so manche in der Stadt ganz und gar nicht friedlich stimmt. Nein, gemeint ist nicht, dass statt der früheren goldigen Museumstram jetzt eine moderne fährt.
Und dass ein wohl Unwissender die 30 Jahre alte Christkindltram bei der ersten Fahrt am Freitag in "Weihnachtstram" umbenannt hat – so steht es jedenfalls auf der Fahrzielanzeige über dem Fahrerstand. Weshalb einer Passantin der Satz herausrutscht: "Preißn halt, die bringen alles in Unordnung mit ihrer Sprache."
Wer mitfahren möchte, kann nicht einfach ans Kassenhäusl
Gemeint sind die neuen Bedingungen zur Buchung einer Fahrkarte. Nur freitags, samstags und sonntags fährt die Christkindltram an den vier Adventswochenenden ihre Rundtouren vom Sendlinger- über Isartor, Oper, Lenbachplatz, Stachus und zurück zum Sendlinger Tor. Für jede Tour gibt es 45 Plätze, Abfahrt ist alle 45 Minuten.
Wer mitfahren möchte, kann nicht einfach ans Kassenhäusl an der Sonderhaltestelle gehen und sich dort eine Fahrkarte holen. Sondern muss vorab ein Ticket online reservieren, auf der Internetseite der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) unter mvg.de/christkindltram. Möglich ist das fürs jeweilige Adventswochenende auch immer erst am Mittwoch davor. Bezahlt wird dann allerdings vor der Anfahrt am Wartehäusl, nur in bar.
Zum Christkindltram-Start vergangenen Freitag konnte man sogar erst am Donnerstag davor online reservieren. Und da hat, wer nicht sehr fix und routiniert vorgegangen ist, auch schnell Pech gehabt: Bereits am frühen Donnerstagnachmittag waren alle Tramfahrten für Freitag, Samstag und Sonntag online ausgebucht, mit Ausnahme von zwei Einzelplätzen am Sonntagnachmittag.
Der Seniorenbeirat ist empört
"Ich bin wirklich empört, dass hier das Mitfahren nur dann funktioniert, wenn man vorab online reserviert", ärgert sich Münchens Seniorenbeiratschef Reinhard Bauer (75). "Weil mal wieder Ältere und überhaupt alle, die von verwirrenden Onlinebuchungen ihre Ruhe haben wollen, diskriminiert und ausgeschlossen werden."
Da half es auch nicht viel, dass die MVG-Prokuristin Sinaida Cordes am Freitagnachmittag selbst vor Ort war, mit OB Dieter Reiter (SPD) und Glühweinbecher fröhlich für ein Foto posierte. Und die neue Onlinereservierung lobt: "So haben die Fahrgäste die Möglichkeit zu sehen, für welche Fahrten es noch freie Plätze gibt und können sie sich direkt sichern."
Reinhard Bauer indes schickt eine dringende Ermahnung an die MVG, schnellstens eine telefonische Reservierungsmöglichkeit für die Christkindltram einzurichten. Oder eine Buchungsmöglichkeit an einem MVG-Schalter am Hauptbahnhof oder Marienplatz. "Es ist Menschenrecht, vor Onlinebuchungen seine Ruhe haben zu wollen", findet der Seniorenvertreter, "und dieses Menschenrecht ist zu respektieren."
Er selbst habe als Historiker und Autor den größten Teil seines Berufslebens am Computer verbracht. Und sogar ich scheitere oft, wenn ich online etwas buchen soll – und habe wenig Lust, mich mit Passwörtern und Ähnlichem herumzuärgern.“
Initiative "Aktion Münchner Fahrgäste" ist nicht froh über die Online-Reservierungspflicht
Auch bei der Initiative "Aktion Münchner Fahrgäste“, die für den Erhalt und die Förderung des Trambahnnetzes kämpft (und die Christkindltram lange Jahre mit Ehrenamtlern selbst betrieben hat), ist man nicht froh über diese neue Online-Reservierungspflicht. "Ich bin der Meinung, dass 15 bis 20 Plätze in der Christkindltram nicht reserviert werden dürfen", sagt Initiativen-Sprecher Stefan Hofmeir, "sondern dass sie frei bleiben müssen, damit man spontan vor Ort eine Fahrkarte kaufen und direkt einsteigen kann."
Bei der MVG hat man am Freitag den Grant mancher Bürgerinnen und Bürger über ihre Neuerung schon herannahen sehen.
Im vergangenen Jahr, als die Christkindltram – nach fünf Jahren Pause – erstmals wieder im Advent fuhr, seien die Warteschlangen am Kassenhäusl sehr lang gewesen, erklärt ein MVG-Sprecher auf AZ-Nachfrage. "Es war am Ende so, dass viele lange angestanden sind und dann doch keinen Platz mehr bekommen haben“, sagt er. „Diese Enttäuschungen wollten wir dieses Jahr vermeiden."
Auch heuer gebe es, vereinzelt, die Chance, spontan eine Fahrkarte zu ergattern. Nicht jeder hole sein reserviertes Ticket dann auch wirklich ab, so der Sprecher. "Und für besondere Einzelfälle finden wir bestimmt vor Ort auch eine Lösung."
"Da müsste doch eigentlich nur der OB eine Ansage machen."
Ob vielleicht doch noch fix eine Möglichkeit gefunden wird, dass Menschen ohne Smartphone telefonisch reservieren können? Tram-Fan Stefan Hofmeier sähe da eine ganz einfache Lösung: "Da müsste doch eigentlich nur der OB eine Ansage machen."
Die Christkindltram dreht bis zum vierten Adventssonntag, 21. Dezember, ihre Runden. Sie fährt am Wochenende alle 45 Minuten: Die erste Fahrt ist freitags um 15.30 Uhr, samstags und sonntags jeweils um 11 Uhr. Die letzte Fahrt beginnt um 19.15 Uhr, der Betrieb endet um 20 Uhr. Tickets: Zunächst auf mvg.de/christkindltram reservieren, dann am Kiosk in der Wendeschleife am Sendlinger Tor das Ticket bis 15 Minuten vor Abfahrt abholen und bar bezahlen. Erwachsene 5 Euro, Kinder (6-14 Jahre) 3 Euro. Kinder unter 6 fahren gratis mit.