"Mag nicht, wenn andere München schlecht machen": So will Dieter Reiter OB bleiben
So viel Positives wie heute habe seine Mutter noch nie über ihn gehört, sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am Beginn seiner Rede, an deren Ende ihn die Delegierten der SPD zum dritten Mal zu ihrem OB-Kandidaten wählten – mit 95 Prozent (99 Ja-Stimmen von 104).
Aber erst einmal zurück zum Anfang, zurück in den Saal der Alten Kongresshalle auf der Theresienhöhe. Reiters 95-jährige Mama Franziska sitzt dort mit Stock in der ersten Reihe. Schon 1946 habe sie für die SPD in Sendling Plakate geklebt, erzählt sie später. Reiters Frau Petra sitzt dort auch, die sich selbst seinen größten Fan nennt. Und seine Brüder, von denen einer später sagen wird, dass er froh sei, dass es der Dieter anders mache als er und noch nicht in Rente gehe. Das war lange nicht klar: Ministerpräsident Markus Söder (CSU) musste erst die Altersgrenze für Oberbürgermeister aufheben, damit der 67-jährige Reiter am 8. März antreten kann.

Ansonsten sitzen in diesem Saal nicht nur Genossen, sondern auch andere, die für München wichtig sind: von Gewerkschaftlern bis zum Wiesn-Wirt Christian Schottenhamel, vom BMW-Betriebsratsvorsitzenden bis zum Bau-Investor Ralf Büschl. Deutsche-Eiche-Wirt Dietmar Holzapfel singt für Reiter sogar ein selbstgedichtetes Lied: "Es gibt nur ein’n Dieter Reiter." Der Saal singt ein bisserl mit. Die Stimmung ist gut. Und gleichzeitig ernst. Man spürt, dass die SPDler, die an diesem Abend auf der Bühne stehen, München lieben - und gleichzeitig einen Schmerz mit dieser Stadt haben, die immer teurer wird.
München ist für sie Party bis zu den Morgenstunden an der Isar, aber auch abends in der Bar sitzen und nicht wissen, ob man jetzt wirklich noch was zu Essen bestellen soll, sagt Juso-Chefin Paula Gundi in ihrer Rede. Sie habe trotzdem entschieden, zu bleiben – auch weil hier gute Politik für junge Menschen gemacht werde. Ein Beispiel sei das Azubiwerk, mit dem nun 1000 Wohnungen für Auszubildende gebaut werden.
Gundi erwähnte, dass sie mit Reiter nicht immer einer Meinung sei – etwa beim Alten Botanischen Garten. Die Maßnahmen, die die Stadt dort umsetzte von Video-Überwachung bis Flutlicht, um die Kriminalität dort einzudämmen, sieht sie skeptisch.

Diese Ehrlichkeit kommt an – zum Beispiel bei Ex-Bürgermeisterin Christine Strobl: "An Verena Dietl und mir siehst du, dass man als Juso-Vorsitzende Bürgermeisterin werden kann. Aber vielleicht wirst du ja mal Oberbürgermeisterin. Das würde mich freuen." Ob Verena Dietl, die sich das OB-Amt zutraut, in diesem Moment zusammengezuckt ist? Das konnte die AZ nicht sehen. Gundi erzählt hinterher, dass sie sich freilich geehrt gefühlt habe, aber dass es jetzt darum gehe, in den Stadtrat zu kommen. Am Samstag stellt die SPD ihre Liste auf. Gundi hofft auf einen Platz unter den ersten zehn.
Doch zurück zur Hauptperson. In seiner Rede macht Reiter klar, dass er in diesem Wahlkampf auf ein positiveres Gefühl setzt als die CSU. München sei schön. "Deshalb mag ich es auch nicht, wenn Mitbewerber die Stadt schlecht machen, sich mit verschränkten Armen irgendwo hinstellen, aber selbst keine Lösung bieten." Ein Seitenhieb auf CSU-Kandidat Clemens Baumgärtner. Reiter betont stattdessen, was in den vergangenen zwölf Jahren seiner Amtszeit umgesetzt wurde: 84.000 neue Wohnungen - so viele wie in ganz Regensburg stehen. Das neue Volkstheater und der neuen Konzertsaal HP8 - während der Freistaat mit seinem Konzerthaus noch nicht mal angefangen hat, aber seit fast zehn Jahren Erbpacht für ein Grundstück beim Ostbahnhof zahlt. Und außerdem baue keine andere Stadt für so viele Milliarden Kitas und Schulen wie München.

Reiter erinnert an 2015, als Hunderttausende Geflüchtete am Hauptbahnhof ankamen und so viele Münchner halfen. Da muss er kurz schlucken. "Emotional war das für mich enorm herausfordernd", sagt er. "Aber auch ein gutes Gefühl, diese Situation als OB managen zu dürfen – und zu können."
Heute, sagt Reiter, haben fast die Hälfte der Münchner eine Migrationsgeschichte. "Ohne sie würde die Stadt nicht laufen." Gleichzeitig sei München die sicherste Großstadt. "Deshalb nehme ich der CSU dieses Bange-Machen übel."
Dieter Reiter: "Ich bin nicht perfekt"
Nur, was soll da noch kommen? Die eine große Vision hat er nicht – und auch sonst versucht niemand den Eindruck zu erwecken, im Gegenteil. Strobl erzählt, wie Reiter Toiletten vor einem Wohnhaus verhinderte, wie er dafür sorgte, dass eine Straße Poller bekommt. "
Da könnte man sagen: Mei, das ist Klein, Klein." Doch den Menschen sei oft die Situation vor der eigenen Haustür wichtiger als die großen globalen Themen." Dieter Reiter sei unprätentiös – und gleichzeitig ein Münchner Popstar ("wahrscheinlich eher weniger wegen des Singens").
"Ich bin nicht perfekt", sagt Reiter über sich selbst. Er gibt sich als Pragmatiker – der zwar Radwege bauen wolle – aber eben nicht, wie zuerst wie an der Lindwurmstraße geplant für 40 Millionen, sondern günstiger. Ganz oben auf seiner Prioritätenliste stehen übrigens die Fußgänger.
Hauptthema des Wahlkampfs soll die Bezahlbarkeit sein. Wichtige soziale Angebote will Reiter nicht kürzen. Und trotz der angespannten Haushaltslage will er weiter günstige Wohnungen schaffen. Dafür entwickle er gerade Ideen mit seiner Fraktion. Dass diese ein starkes Ergebnis bekommt, auch dafür mache er Wahlkampf. Tatsächlich ist die SPD nur noch die drittgrößte Fraktion. Würde sie weiter schrumpfen, wäre das für Reiter bitter: "Was nützt es mir, wenn ich OB bin, aber keine Mehrheit habe, die Politik umzusetzen?"

