Interview

Linke-Stadtrat Lechner über Dragqueen-Debatte: "CSU bedient ein populistisches Narrativ"

Er war am Mittwoch der Hingucker schlechthin in der Vollversammlung des Münchner Stadtrats: Thomas Lechner kam als Dragqueen. Im Gespräch mit der AZ erläutert er die Hintergründe seiner Aktion.
von  Guido Verstegen
Linken-Stadtrat Thomas Lechner in der Vollversammlung des Münchner Stadtrats am 17. Mai als Dragqueen.
Linken-Stadtrat Thomas Lechner in der Vollversammlung des Münchner Stadtrats am 17. Mai als Dragqueen. © Sigi Müller

München - AZ-Interview  mit Thomas Lechner: Der 62-Jährige ist parteiloses Mitglied der Stadtratsfraktion Die Linke/Die Partei und steht nach eigenen Angaben für "ein buntes, solidarisches München für Jung und Alt".

In der inzwischen deutschlandweiten Debatte um eine am 13. Juni in der Bogenhausener Stadtbibliothek geplante Draglesung für Kinder ab vier Jahre setzte Lechner am Mittwochmorgen ein deutliches Zeichen: Er kam selbst als Dragqueen, hielt seine Rede zum Thema Inklusion in Rock, Stöckelschuhen, mit Handtasche, blonder Langhaar-Perücke und reichlich Schminke.

Thomas Lechner: "Ich bin zwar kein Teil der Dragszene, aber ich finde Drag gut und hilfreich, wenn es der Sache dient."
Thomas Lechner: "Ich bin zwar kein Teil der Dragszene, aber ich finde Drag gut und hilfreich, wenn es der Sache dient." © Sigi Müller

Ein Mann also, der sich als Frau kleidet. "Ich wollte zeigen, wie absurd das Ganze ist. Ich wollte zeigen: Ich bin ich – völlig egal, was ich anhabe", sagte er im Gespräch mit der AZ.

Thomas Lechner: "Den Rock habe ich 1988 bei meinem Coming-out im Café Normal getragen"

Herr Lechner, wie lange haben Sie sich heute früh in Sachen Outfit und Make-up auf die Sitzung vorbereitet? Und: Hatten Sie professionelle Unterstützung?
THOMAS LECHNER: Die hatte ich tatsächlich, am Sonntag gab's den ersten Probelauf, um 7 Uhr hat dann eine ukrainische Dragqueen in meinem Stadtratsbüro mit dem Schminken angefangen. Wir mussten ja rechtzeitig loslegen, damit ich auch wirklich um 9 Uhr startklar bin!

Mit Verlaub, wirklich schön sind Sie aber nicht, wenn man sich die Fotos so ansieht...
(lacht) Ich habe nach der Sitzung sogar kurz überlegt, ob ich mich tatsächlich abschminken soll. Im Ernst: Genau darum geht es bei Drag ja – Dragqueens machen sich gerne über sich selbst lustig. Alt und unattraktiv, aber spielerisch und lustig!

Und die Klamotten hatten Sie im Schrank?
Ja! Den Rock habe ich 1988 bei meinem Coming-out im Café Normal getragen. Meine Eltern und enge Freunde wussten da zwar schon, dass ich schwul bin, aber den Rest habe ich über diese Show damals bedient. Ich bin zwar kein Teil der Dragszene, aber ich finde Drag gut und hilfreich, wenn es der Sache dient. In meinem Fall sind das dann eher sporadische Interventionen im Privatleben.

Thomas Lechner: "Letztlich hilft auch dieser ganze Wirbel und diese unsägliche Debatte der Community. Denn: "Any press is good press."
Thomas Lechner: "Letztlich hilft auch dieser ganze Wirbel und diese unsägliche Debatte der Community. Denn: "Any press is good press." © Sigi Müller

Thomas Lechner: "Ich war ein beliebtes Fotomotiv, und das quer durch alle Fraktionen"

Warum haben Sie dann gerade heute eine Ausnahme gemacht?
In meiner Rede ging es um Inklusion, ein weiteres mir wichtiges Anliegen mit durchaus ähnlicher Problematik. Das ließ sich sehr gut mit der Debatte um die Draglesung verbinden.  Tja, und dann fand die Vollversammlung auch noch am "Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie bzw. -feindlichkeit" statt.

Wie waren dann die Reaktionen im Rathaus-Plenum?
Sehr positiv. Ich war ein beliebtes Fotomotiv, und das quer durch alle Fraktionen. Von der AfD mal abgesehen...

...die für den Tag der Kinderlesung Proteste angekündigt hat. Wird die Veranstaltung womöglich noch abgesagt?
Das Risiko besteht nicht. Es gibt ja einen allgemeinen politischen Konsens in der Sache. Und letztlich hilft auch dieser ganze Wirbel und diese unsägliche Debatte der Community. Denn: "Any press is good press."

Der parteilose Stadtrat Thomas Lechner, wie er in der Regel anzutreffen ist. (Archiv)
Der parteilose Stadtrat Thomas Lechner, wie er in der Regel anzutreffen ist. (Archiv) © Sigi Müller

"Dieter Reiter soll seine Enkelkinder mitbringen, dann komme ich wieder in diesem Aufzug"

Harsche Kritik an der Veranstaltung kam zuerst aus der CSU, die Diskussion entbrannte nach einem Tweet von Hans Theiss.
In der CSU haben viele nicht gerade mit Begeisterung auf seinen Vorstoß reagiert. Grundsätzlich ist es wirklich hochinteressant, zu beobachten, was Drag bei Menschen auslöst. Ich habe dann bei meiner Rede auch in die Runde gefragt, mit welcher Gehirnhälfte sie mich da gerade beobachten, respektive anstarren. Hans Theiss hat mir die Hand geschüttelt, nachdem ich ihn in meiner Rede direkt adressiert und ihm für seinen Aufschlag gedankt hatte. SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter überlegt, ob er nicht doch zu der Kinderlesung kommt, und ich werde auf jeden Fall da sein. Ich habe ihm gesagt, er soll seine Enkelkinder mitbringen, dann komme ich wieder in diesem Aufzug.

Lechner: "Die CSU will als konservative Partie punkten und bedient ein populistisches Narrativ"

Im vergangenen Jahr gab es am Rande des Christopher Street Day in München im Pixel² bereits eine ähnliche Veranstaltung – ebenfalls mit Vicky Voyage, ebenfalls unterstützt von der Stadtbibliothek, aber auch in Zusammenarbeit mit dem Regenbogenfamilienzentrum München und dem JFF – Institut für Medienpädagogik. Damals gab es keine Proteste, was ist diesmal schiefgelaufen? Hätte man in der Ankündigung der aktuellen Lesung den Künstlernamen des Protagonisten Eric BigClit, also Eric "große Klitoris" besser nicht erwähnt?
Nein, warum? Bei der Lesung geht's um Themen wie das Entdecken der eigenen Freiheit, Jungs in Kleidern oder Regenbogenfamilien. Es handelt sich um eine vielfältige Aktion der Community, für sie ist das Kindswohl ein wichtiges Anliegen. Es ist also gar nicht schiefgegangen: Es ist einfach nur Wahlkampf, und die CSU sucht momentan in verschiedenen Richtungen nach Themen. Sie will als konservative Partei punkten und bedient jetzt ein populistisches Narrativ.

Was steckt Ihrer Meinung nach dann hinter der Debatte?
Die Draglesung ist ja vollkommen harmlos. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass mit der Präsenz der Dragqueens viele sehr ernste Themen transportiert werden. Ich denke da nur an jene Dragqueen, die beim letzten CSD auf dem Nachhauseweg zusammengeschlagen wurde. Da schwebt längst eine dunkle Wolke von rechts heran. 

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