Letzte Chance für den Stachus
MÜNCHEN - Seit mindestens 15 Jahren ringt München mit dem Koloss am Altstadtring. Ende 2009 soll das Rekord-Bauwerk wieder glänzen: heller, eleganter, übersichtlicher. Doch nicht alle Betroffenen können sich darüber Freude.
Tot ist er weiß Gott nicht, der Stachus, auch wenn er, gerade in seinem Untergeschoss, manchmal schon etwas seltsam riecht. Und mitgemacht hat er schon fast alles, was die Großstadt so zu bieten hat: Gigantischer Chaosplatz des explodierenden Verkehrs („Da geht’s zu wie am Stachus“) in den 60er Jahren; große Vision einer besseren, urbanen Shopping-Welt aus fünf in die Tiefe getriebenen Stahlbeton-Ebenen („größtes unterirdisches Bauwerk Europas“) der heiteren Olympia-Metropole – und schließlich langes Siechtum als tristes Unterwelt-Labyrinth in jeder Beziehung.
Seit mindestens 15 Jahren ringt München mit dem Koloss am Altstadtring, mal wurden die Obdachlosen vertrieben, mal lindgrüne Wegweiser aufgestellt: „Einkaufszentrum“ steht drauf, als wenn die Münchner es vergessen hätten und die Auswärtigen es nicht mehr von alleine bemerken könnten.
Der Vergleich mit der Cheops-Pyramide
Viele Geschäfte gingen nicht mehr gut, die neuen, sauberen, lichten Passagen in der Altstadt und erst recht die an der Peripherie ließen den vor gerade mal 38 Jahren eröffneten Stachus alt aussehen. Damals hatte ihn OB Hans-Jochen Vogel mit der Cheops-Pyramide verglichen, heute mustern die Passanten jeden misstrauisch, der in dem 100 Meter langen Aufgang zur Neuhauser Straße versehentlich stehen bleibt. Viele Geschäftsleute halten eisern durch. Doch jetzt heißt es überall: „Wir müssen raus!“
Der Stachus (der oberirdisch eigentlich Karlsplatz heißt, aber nicht einmal von schwäbischen Investoren so genannt wird) soll seine letzte Chance bekommen. Die Stadt hat das riesige Untergrundbauwerk vor drei Jahren den Stadtwerken überschrieben, die es in der ihren eigenen Geschäftstüchtigkeit für 33 Jahren an die Stuttgarter LBBW-Immobilien GmbH verpachteten. Und die greift nun heftiger ein, als es alle Münchner KVR- oder Kommunalreferenten in 38 Jahren je vermocht hätten – „Stachus-Satzung“ gegen „Herumlungern“ hin, Standortgutachten her.
Heller, eleganter, übersichtlicher
30 Millionen Euro will die LBBW in die Sanierung stecken, als Partner hat sie sich die Münchner Architekten Allmann/Sattler/Wappner geholt, die den Münchnern schon bei der Herz-Jesu-Kirche in Neuhausen gezeigt haben, wie gut sie ihr Handwerk beherrschen. Von Ende 2009 an wird man dann den Stachus kaum noch wiedererkennen: Heller, eleganter soll er werden – und vor allem übersichtlicher. Das Wirrwarr im ersten Untergeschoss wird radikal weggeräumt, dafür soll eine einzige, große Ladeninsel in der Mitte entstehen.
Nun herrscht Unruhe unter der Erde vorm Karlstor: Viele Läden sind schon aufgelöst, andere ziehen gerade aus, einige bleiben auch während der Umbauzeit. Und die Emotionen gehen hoch bei den Geschäftsleuten: Hoffnungsvoller Aufbruch, banges Warten, Zukunftsangst – alles dabei.
„Wir wollen nicht gehen, aber wir müssen es Ende März“, sagt Vojut Malazad von „Schuhreparatur-Rapid“. „Die sagen, es gibt keinen Platz mehr für uns, wir wissen nicht, wie es weitergeht.“ Eine ältere Dame mischt sich ins Gespräch: „Was soll das denn mit dem Umbau? – Klar ist es hier hässlich, aber das ist doch schon seit ’72 so!“
Blick ins Gedärm der Versorgungsleitungen
Bonjour Tristesse: Auch das kann Charme haben, muss es aber nicht. 13 einsame öffentliche Telefone stehen aufgereiht an der Wand – auch sie Relikte aus einer Zeit in der das Handy noch nicht erfunden war. Im Brunnenhof – welcher Münchner kennt ihn? – ist der Brunnen schon trocken; an vielen Stellen sind Deckenplatten abgehängt und geben den Blick ins Gedärm der Versorgungsleitungen frei.
„Wir sind hier Mieter der ersten Stunde, mein Vater hat 1971 das Geschäft eröffnet“, sagt Nikolaus Neusiedl von „Leder Fischer“. „In den ersten Jahren damals hat es noch funktioniert: Der Stachus war richtungweisend, eine Vision für moderne Einkaufszentren“, so der 49-Jährige. „Allein schon die riesigen Aluminiumfenster vor den Läden!“
Die Leute strömten, um das Wunderwerk zu sehen. Doch dann sei der Stachus in die Jahre gekommen. Zwei „Knackpunkte“ haben „dem Geschäftszentrum das Genick gebrochen“, wie es der freundliche Herr Neusiedl etwas martialisch ausdrückt: „Als Anfang der 90er das Obdachlosenproblem überhand nahm. Und als etwas später die Stadt auch noch mit neuen Wegen die Fußgängerströme an die Oberfläche umleitete.“
"Wo soll ich denn jetzt hin?"
Neusiedl ist überzeugt, dass es spannend wird mit dem neuen Stachus: „Ich habe mich beworben, aber noch keine Zusage bekommen.“ Gottseidank betreibe er noch zwei weitere Filialen in der Altstadt: „Aber hier muss erst mal alles raus.“
Soviel Glück hat Susanne Hoffmann nicht, die direktgepressste Säfte verkauft – ein echter Geheimtipp mit vielen Stammkunden. „Seit 22 Jahren bin ich hier und Ende Mai soll ich gehen.“ Sie hat nicht wenig Wut: „Der Laden läuft gut, aber wo soll ich denn jetzt hin?“ Eine Kundin hört das, greift ein: „Uns regt das alle auf, dass die Saftbar weg soll. Am besten, wir machen eine Unterschriftenaktion für Sie!“
Der Stachus ist nicht tot. Zum Beispiel dort, wo er nach Ananas, Bananen, Ingwer und Karotten riecht.
Michael Grill