KVR-Chef: „Unerträglich, dass Nazis hier vorbeimarschieren“

Warum KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle dafür kämpft, das Demonstrationsrecht zu ändern – und wie er mit den Gerichten ins Gericht geht.
von  Interview: Irene Kleber
Deutschlandfahnen und „Volksverräter“-Parolen: Regelmäßig werden Pegida-Demos von Neonazis flankiert – wie hier am Odeonsplatz vor der Feldherrnhalle.
Deutschlandfahnen und „Volksverräter“-Parolen: Regelmäßig werden Pegida-Demos von Neonazis flankiert – wie hier am Odeonsplatz vor der Feldherrnhalle. © Petra Schramek

Gestern sind sie wieder gegen Flüchtlinge marschiert: die „besorgten Bürger“ und Islamfeinde von Pegida. Diesmal immerhin nicht vor der Feldherrnhalle, dem Schauplatz des gescheiterten Hitlerputsches von 1923, wie schon an anderen Montagen  – flankiert von polizeibekannten Neonazis. Sondern am Max-Joseph-Platz vor der Oper. Über die Maximilianstraße zum Maxmonument und zurück.

„Unerträglich“ sind solche Aufmärsche der Rechten nicht nur für Münchens OB Dieter Reiter (SPD), sondern auch für den obersten Ordnungshüter der Stadt, Wilfried Blume-Beyerle (parteilos), der als KVR-Chef dafür sorgen muss, dass eine angemeldete Demo auch störungsfrei stattfinden kann.

Immer wieder hat der Kreisverwaltungschef versucht, Neonazi-Aufmärsche in der Stadt zumindest räumlich zu verlegen: die rechte Kundgebung während des NSU-Prozesses im Februar unmittelbar vor dem Justizzentrum am Stiglmaierplatz, zum Beispiel. Oder die Nazi-Demo während der Eröffnung des NS-Dokuzentrums am Karolinenplatz am 30. April – Hitlers Todestag.

Zuletzt hat er es am vorvergangenen Montag versucht, als Pegida die Demo über gleich mehrere Orte mit NS-Bezug führen wollte – über den Königsplatz etwa, den Platz der Opfer des Nationalsozialismus und die Feldherrnhalle am Odeonsplatz. Aber jedes Mal scheiterte der Ordnungschef: Denn die Rechten klagten vor dem Verwaltungsgericht gegen seine Auflagen – und durften dann doch wie angezeigt marschieren (AZ berichtete).

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Nun hat auch noch das Bayerische Innenministerium Blume-Beyerles Vorstoß, das Demonstrationsrecht zu ändern, um Nazis auf der Straße leichter einzubremsen, lapidar abgebügelt.

Das Bayerische Versammlungsgesetz schöpfe alle rechtlichen Möglichkeiten bereits aus, ließ es verkünden. „Weitere Einschränkungen“ seien „nicht möglich“.

AZ: Herr Blume-Beyerle, Sie haben heuer drei Mal versucht, Nazi-Demos einzuschränken – dann durften die Rechten trotzdem marschieren. Wie frustrierend ist das?

Wilfried Blume-Beyerle: Meine Frustrationsschwelle ist relativ hoch. Aber es reicht nun einmal nicht zu sagen: Ja gut, München hat eine enorm starke Zivilgesellschaft, dann sollen die Neonazis und Rechtspopulisten halt herumziehen! Wenn man sich andere Regionen anschaut, wo die Bürger sich schon nicht mehr so recht trauen, sich offen gegen Rechts zu wenden und wo die Neonazis sehr stark eindringen in die Gesellschaft, muss man schon wachsam sein. Auch wenn solche Umzüge in München noch vermeintlich harmlos ablaufen.

Warum entscheiden die Richter am Verwaltungsgericht immer wieder für die Aufmärsche der Rechten?

Das Bayerische Versammlungsgesetz ist sehr eng gefasst. Er regelt, dass – beim Vorliegen bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen – Versammlungen an historisch belasteten Orten wie am Königsplatz, dem Schauplatz der NS-Aufmärsche, oder an historisch belasteten Tagen wie an Hitlers Todestag beschränkt oder verboten werden dürfen, wenn zwischen dem Anmelder, dem Thema und dem Ort oder der Zeit der Versammlung ein direkter Zusammenhang besteht.

Kurz gesagt?

Wenn sich Neonazis an Hitlers Todestag zu einer Gedenkveranstaltung vor der Feldherrnhalle versammeln wollen, kann die Behörde das verbieten. Sie kann auch Versammlungen an einen anderen Tag oder einen anderen Ort verlegen.

Wenn Pegida angibt, den Zug an der Feldherrnhalle vorbeiführen zu wollen, weil nebenan in der Theatinerkirche „das Grabmal der Ehefrau des Kurfürsten Max Emanuel II. liegt – dem Verteidiger von Wien und damit dem Verteidiger europäischer Werte“ ...

... dann kann ich nur sagen: Auf den Arm nehmen können wir uns selber. Aber: Genau dann haben wir ein Problem. Pegida wählt ganz bewusst Themen, die scheinbar keinen Bezug zur Nazi-Zeit haben.

Und hebelt damit das Gesetz aus?

So kann das Gericht sagen: Das sind ja keine Neonazis, sondern nur Rechtspopulisten. Und das Thema ist nicht ein Nazi-Thema im Sinne von „Verherrlichung des Nationalsozialismus“ oder Verstoß gegen „die Beeinträchtigung der Würde der Opfer“, sondern ein ganz anderes, ein historisches oder ein beliebiges. Wenn sich aber dann zu den Rechtspopulisten zwei, drei oder wie zuletzt zehn Neonazis dazugesellen, haben wir aber genau das, was wir nicht wollen: Neonazis auf dem Königsplatz und vor der Feldherrnhalle.

Sie sind Jurist. Auf welcher juristischen Grundlage könnten die Richter auch anders entscheiden, wenn sie denn wollten – und solche Zugstrecken ablehnen?

Die Grundlage ist Artikel 15 des Bayerischen Versammlungsgesetzes. Ein Gericht kann ein Gesetz eng am Wortlaut auslegen. Genau das tun derzeit die Bayerischen Verwaltungsgerichte. Es kann es aber auch weit auslegen, sich also beispielsweise fragen: Was wollte denn der Gesetzgeber? In Extremfällen kann es ein Gesetz sogar gegen den Wortlaut auslegen.

Inwiefern würde das helfen?

Das Gericht könnte sagen: Zum Zeitpunkt des Gesetzerlasses gab es diese Auftritte von Rechtspopulisten noch nicht, das Gesetz konnte damals dieses Problem noch gar nicht regeln. Damit ließe sich der Wortlaut ausdehnen und der Nazi-Bezug nicht so eng fassen.

Warum tut das Gericht das dann nicht?

Das bleibt die Entscheidung der Richter. Ich meine aber schon, dass man von einem Gericht auch erwarten kann, dass es sich mit Entwicklungen der jüngeren Zeit befasst und sich fragt, ob das geltende Recht dazu noch passt. Und es wäre hilfreich, wenn in der Begründung stünde, dass man Verständnis hat für die Haltung der Stadt, anstatt den Eindruck zu erwecken, die Stadt habe keine Ahnung vom geltenden Recht. Aber natürlich respektiere ich die Entscheidung der Gerichte.

Nun sind mit Pegida wieder Neonazis durch München gelaufen. Wie stecken Sie das weg?

Das ist kein gutes Gefühl. Neonazis und Rechtspopulisten wählen ja ganz bewusst bestimmte Straßen und Plätze. Deswegen haben wir auch mehrfach versucht, die Zugstrecken oder Aufstellörtlichkeiten zu verlegen, leider in jüngster Zeit ohne Erfolg: Als wir das NS-Dokuzentrum eröffnet haben, haben auch KZ-Opfer teilgenommen. Sie mussten ertragen, dass unmittelbar vor dem Veranstaltungssaal Neonazis demonstrieren! Dass in der ehemaligen Hauptstadt der Bewegung genau an den Orten, an denen die Nazis ihre Aufmarschplätze hatten, wo die Gestapo ihre Zentrale hatte, oder an den Orten, an denen wir der Opfer des Nazi-Terrorregimes gedenken, Rechtspopulisten durchsetzt mit Neonazis vorbeimarschieren, halte ich für unerträglich.

Wie groß schätzen Sie die rechte Szene in München inzwischen?

Laut Verfassungsschutz gibt es in München an die 200 Rechtsextremisten und Neonazis. Rechnet man Rassisten, rechte Hooligans und extremistische Islamfeinde dazu, sind es deutlich mehr.

Sind es immer dieselben Leute, die die rechten Demos anzetteln?

Ja, es sind immer die selben Namen. Unter anderem Birgit Weißmann und Heinz Meyer für Pegida-München und Philipp Hasselbach für Die Rechte. Was aber mehr geworden ist, ist die Frequenz der Versammlungen.

Hatten Sie für gestern Abend wieder ein städtisches Veto eingelegt?

Nein. Die Route verlief ja anders. Und so oder so hätte das erneut keinen Erfolg gehabt. Ich hoffe aber, die politischen Parteien fangen jetzt an, das Thema zu diskutieren. Und vielleicht lassen sich ja die Gerichte durch die öffentliche Diskussion beeindrucken.

Im Juni nächstes Jahr endet Ihre Amtszeit. Ist das ein Grund mehr, der Sie zur Eile treibt?

Ich möchte mich einfach nicht damit zufriedengeben, zu sagen: Mei, das ist halt die Rechtslage. Und ich möchte mich nicht irgendwann fragen müssen: Was hast du in deiner Verantwortung getan, um auf unerträgliche Entwicklungen hinzuweisen. 

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