Konflikt mit Freistaat: Sind tausende Sozialwohnungen in München in Gefahr?

Die Stadt verpflichtet Investoren in Neubaugebieten seit Jahrzehnten dazu, auch günstige Wohnungen zu bauen. Doch dieses Konzept ist in Gefahr. Denn Fördergelder des Freistaats fehlen. Auch bei der Stadt in nicht genug da. Was das Rathaus jetzt plant.
von  Christina Hertel
Als Neuperlach in den 60er Jahren gebaut wurde, gab es die Sobon noch lange nicht. Mit diesem Instrument will die Stadt dafür sorgen, dass Investoren auch günstigen Wohnraum schaffen.
Als Neuperlach in den 60er Jahren gebaut wurde, gab es die Sobon noch lange nicht. Mit diesem Instrument will die Stadt dafür sorgen, dass Investoren auch günstigen Wohnraum schaffen. © IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Der Wohnungsmarkt in München ist für Menschen mit wenig Geld eine Katastrophe. Doch es könnte – und das sagen nicht nur Sozialdemokraten – alles noch viel schlimmer sein, wenn die Stadt nicht 1994 unter OB Christian Ude (SPD) die "Sozialgerechte Bodennutzung" (Sobon) eingeführt hätte.

Hinter diesem sperrigen Namen steckt eine Regel, die in München bis heute gilt: In Neubaugebieten, für die der Stadtrat einen Bebauungsplan erlässt, müssen sich Bauträger an den Kosten für die Infrastruktur beteiligen. Denn schließlich braucht jedes Neubaugebiet Straßen, Kitas, Schulen, Grünflächen. Und mit der Sobon verpflichten sich Investoren außerdem, auch günstigen Wohnraum und Sozialwohnungen zu schaffen.

Sobon in Gefahr: Was die Stadt jetzt plant

Allerdings ist dieses Modell in Gefahr – und damit Tausende günstige Wohnungen. Warum und welchen Ausweg die Stadt jetzt plant, erklären die SPDler Simone Burger und Christian Köning in ihrem Fraktionszimmer.

Vorher muss man wissen: Bis ein Bebauungsplan fertig ist und der Bau einer neuen Siedlung beginnt, können in München viele Jahre vergehen. Der Stadtrat hat die Sobon 2021 zwar reformiert und strenger gemacht. Doch noch immer sind nicht alle Quartiere, die unter der "alten" Sobon, die ab 2017 galt, fertig oder auch nur angefangen. Und jetzt geht es genau um diese Quartiere.

In der Sobon von 2017 war festgelegt, dass Bauträger 20 Prozent sogenannte EOF-Wohnungen schaffen müssen, also Sozialwohnungen für Geringverdiener. Hier sind die Mieten auf zwölf Euro gedeckelt.

Außerdem müssen Investoren zehn Prozent Wohnungen nach dem "München Modell" bauen und zehn Prozent preisgedämpfte Mietwohnungen. Bei beiden Modellen liegen die Mieten momentan bei 16 Euro pro Quadratmeter. Hier sollen Menschen mit einem mittleren Einkommen einziehen. Der Unterschied ist: Für die Wohnungen im "München Modell" vergibt die Stadt eine Förderung an die Bauträger. Für preisgedämpfte Mietwohnungen nicht. Diese beiden Modelle stehen aktuell nicht zur Disposition.

Kopfschmerzen bereiten dem Rathaus die Sozialwohnungen. Denn für diese bekommen Investoren eine Förderung des Freistaats. Allerdings hat der dieses Jahr einen Förderstopp erteilt. Es gingen mehr Anträge ein, gleichzeitig hat der Freistaat die Förderung erhöht, die Investoren pro Quadratmeter bekommen. Die Rekordsumme von 1,1 Milliarden reichte nicht. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat zwar angekündigt, dass die Mittel aufgestockt werden, doch noch ist dem Rathaus nicht klar, wann das Geld fließt.

"Wir können den Freistaat nicht auf Dauer kompensieren"

Diesen Mai hat das Münchner Rathaus deshalb entschieden, mit 150 Millionen Euro den sozialen Wohnungsbau zu fördern. Doch: "Wir können den Freistaat nicht auf Dauer kompensieren", sagt SPDlerin Burger. Denn schließlich sei im Rathaus das Geld auch knapp.

Auf die "Sozialgerechte Bodennutzung", die in München gilt, ist die SPDlerin Simone Burger stolz. Doch das Konzept ist in Gefahr.
Auf die "Sozialgerechte Bodennutzung", die in München gilt, ist die SPDlerin Simone Burger stolz. Doch das Konzept ist in Gefahr. © Imago/dts Nachrichtenagentur

Das Planungsreferat macht deshalb einen Vorschlag, über den der Stadtrat nächsten Mittwoch abstimmen soll. Zur Anwendung soll das neue Modell nur kommen, wenn auch weiterhin keine Fördergelder des Freistaats fließen, sagt Burger.

Die Idee sei, dass Investoren, für die die Sobon von 2017 gilt, nun statt 20 Prozent Sozialwohnungen zehn Prozent preisgedämpfte Mietwohnungen bauen sollen. Auf den ersten Blick sieht das nach einem ziemlich schlechten Deal für die Stadt aus: Weil damit weniger günstige Wohnungen entstehen. Und weil die Mieten bei den preisgedämpften Wohnungen mit 16 Euro pro Quadratmeter viel teurer sind als bei den Sozialwohnungen. Was hat sich das Rathaus denn da gedacht?

Burger erklärt es so: "Für den preisgedämpften Mietwohnungsbau bekommen Investoren keine Förderung." Trotz der höheren Mieten sei er für Investoren also teurer. Weil die städtebaulichen Verträge bereits geschlossen seien, darf die Stadt rechtlich hinterher nicht die Belastungen für den Investor erhöhen. "Auch wenn dies bitter ist. Diese Umrechnung hat das Planungsreferat errechnet. Unterm Strich muss das Gleiche herauskommen", sagt Burger.

Eine Alternative ist, dass der Bauträger Wohnungen an die Stadt abtreten kann, sagt Köning. Aber bei der Variante muss die Stadt ganz genau berechnen, wie viele Wohnungen das sind. Und auch hier werden es weniger sein, als die Bauträger Sozialwohnungen hätten bauen müssen. Denn schließlich geben sie in diesem Modell die Wohnungen komplett ab, verzichten also auf Einnahmen.

"Niemand schreit: Hurra"

Glücklich wirken Burger und Köning mit dem Ganzen nicht. "Das kann nur eine Übergangslösung sein", sagt Burger. Die nur dann und nur so lange gelten soll, bis der Freistaat wieder Sozialwohnungen fördert – wofür er rechtlich, betont Burger, auch zuständig sei.

"Natürlich schreit niemand von uns Hurra", sagt auch Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher. Der Vorschlag sei Notnagel und gleichzeitig notwendig, solange der Freistaat seine Förderungen nicht erhöhe.

Auch CSU-Chef Manuel Pretzl findet die Vorschläge aus dem Planungsreferat richtig. "Allerdings kommt die Erkenntnis, dass die Stadt etwas tun muss, zu spät", sagt Pretzl. Er erinnert daran, dass der Freistaat die Mittel für den sozialen Wohnungsbau sogar aufgestockt habe. "Doch die Nachfrage ist explodiert", sagt er. Es ist aus seiner Sicht unehrlich, immer nur mit dem Finger auf den Freistaat zu zeigen, wenn das grün-rot geführte Rathaus gleichzeitig durch seine überzogenen Sobon-Regeln ein Umfeld geschaffen habe, in dem kaum noch gebaut werde. Auch er fordert eine grundsätzliche Reform der Sobon.

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