Kistlerhofareal in München: So geht es weiter
München – Der ausrangierte Militärhubschrauber, die Almhütte und eine kleine Freiheitsstatue sind schon von weitem zu sehen: Sie thronen auf dem Dach des gelb-grünen Hauses mit den blauen Punkten an der Kistlerhofstraße 70. Hier oben hat der bekannte Künstler Wolfgang Flatz sein Atelier und seinen Skulpturengarten Heaven 7.
Für 25 Euro pro Person konnte man eine Führung buchen und dabei auf dem Dach des Hauses Nummer eins auch einen Cadillac Eldorado bestaunen, den Elvis Presley einst seinem Gitarristen geschenkt hatte.
"Wir haben viele faire Lösungen vorgeschlagen"
Vorbei – Flatz packt seine Sachen. Für den 14. November hat sich der Gerichtsvollzieher angekündigt. "Er wird die Schlösser auswechseln", so Flatz zur AZ. Sowohl das Atelier als auch seinen Skulpturengarten wird der 72-Jährige dann nicht mehr betreten können. Und was wird aus dem Hubschrauber, dem Cadillac und all den anderen Objekten auf dem Dach? Dazu später.

Der unfreiwillige Auszug des Aktionskünstlers ist das Ende eines Streits mit dem neuen Eigentümer des Kistlerhofareals: der Empira Group. Sie hat das frühere Hirmer-Grundstück 2019 mitsamt Gebäuden aus den 60er Jahren gekauft. Die Häuser wurden vor etwa zwölf Jahren nach Flatz' Entwürfen farblich gestaltet.
Die Empira ist ein Immobilieninvestor mit Sitz in der Schweiz und Standorten in Luxemburg, Deutschland, Österreich, Großbritannien und den USA. In München gehört ihr auch das alte Siemens-Hochhaus aus den 60er Jahren in Sendling. Es soll künftig wieder als gemischte Gewerbeimmobilie mit Büros, Einzelhandel, Gastro, Kita, Fitness und Konferenzbereichen genutzt werden.
Zudem plant die Empira in München den Bau von 2000 neuen Wohnungen, darunter ein "nicht unerheblicher Teil an öffentlich geförderten Einheiten", wie Empira mitteilt. Das Kistlerhofareal will der Investor zu einem nachhaltigen und modernen Quartier entwickeln: mit Werkstätten und Produktionsflächen, Büros und einem Hotel. 2030, so der Plan, soll es fertig werden.

Derzeit gibt es hier etwa 90 Mieter. Die Häuser eins und fünf und das Parkhaus sollen bleiben und auch die Brotfabrik Aumüller mit dem im Viertel beliebten Café. "Mieter, die von geplanten Abrissen betroffen sind, wurden bereits informiert und haben alternative Flächen in den Bestandsgebäuden sowie langfristige Perspektiven in den neuen Gebäuden angeboten bekommen", teilt die Empira mit.
Flatz ist kein klassischer Mieter hier, denn der Aktionskünstler, Bildhauer, Bühnenbildner und Musiker nutzt die Flächen im und auf dem Gebäude eins seit 2012 kostenfrei. Nicht einmal Nebenkosten zahlt er. "Ich hatte eine Vereinbarung mit Christian Hirmer für die kostenfreie Nutzung auf Lebzeit", sagt Flatz. Dass das Areal an die Empira verkauft wurde, habe ihm sein Mäzen Hirmer gar nicht erzählt.
2020 wollte die Empira Group die Nutzung mit Flatz beenden. Im Februar 2020 seien Gegenstände vom Dach gefallen und hätten Mieter und Mitarbeiter gefährdet, so Empira-Anwältin Clara von Harling. Und weiter: Zunächst habe die Hirmer Immobilien mit dem Künstler vereinbart, dass Flatz seine Flächen räumt – bis Ende 2021. Das bestätigt Flatz. Er sagt: "Hirmer hat sich verpflichtet, Ersatzflächen zu besorgen und den Rückbau zu finanzieren." Allerdings habe dieser nichts Adäquates angeboten.
Flatz blieb. Ein Problem für ihn: Christian Hirmer sei für ihn nicht mehr greifbar. Auf AZ-Anfrage teilte ein Sprecher von Hirmer Immobilien mit, dass man sich in der Öffentlichkeit nicht zu den Inhalten von Verträgen mit Dritten äußere.
Die Empira wirft dem Künstler vor, dass es seit 2020 immer wieder "zu sicherheitsrelevanten Mängeln" gekommen sei. Die Liste ist lang: Bei Sturm habe es den Hubschrauber aus der Verankerung gerissen. Absturzsicherungen ("Sekuranten") seien vom Dach entfernt worden, Fluchtwege versperrt, Aufbauten nicht genehmigt oder ausreichend statisch geprüft worden. Wegen unsachgemäßer Installationen sei Wasser ins Gebäude eingedrungen.

"Mein Hund ist auf dem Dach begraben"
Und es geht noch weiter: Einmal sei sogar das Spezialeinsatzkommando (SEK) angerückt – wegen Waffenattrappen. Und dann seien auch noch "tierische Überreste" auf dem Dach vergraben.
Flatz weist – fast – alle Vorwürfe zurück. Die Wasserschäden seien durch undichte Rohre entstanden und Sache des Eigentümers. Und ja, zwar sei bei einem Sturm der Schwanz des Hubschraubers abgebrochen – aber "gefährdet war da niemand. Der Hubschrauber ist fest im Gebäude verankert". Der Vorfall sei vor Empira-Zeiten gewesen. Wie auch ein zweiter: Damals flog ein Häusl vom Dach. 2015 sei das gewesen, als der Orkan Niklas wütete und vielerorts schwere Schäden anrichtete. "Das Haus war nur aus Plexiglas", sagt Flatz. Eine Gefahr habe nicht bestanden: "Bei dem Sturm war eh niemand auf der Straße."
Bei der Geschichte mit dem SEK wiederum sei er das Opfer gewesen. "Das war eine Verwechslung. Eine Gruppe junger Männer hat mich nachts in meinem Atelier bedroht und wollte mich ausrauben." Als Flatz angekündigt habe, die Polizei zu rufen, seien ihm die Angreifer zuvorgekommen und hätten schneller die Polizei alarmiert. Die Täter hätten ihn als Aggressor darstellt. Die Waffenattrappen: nur für Kunstprojekte vorgesehen.
Der Punkt mit den tierischen Überresten auf dem Dach stimme, räumt Flatz ein. "Mein letzter Hund ist auf dem Dach begraben", sagt er zur AZ. "Herr Professor" hieß der, ein Boston Terrier. Elf Jahre sei er alt geworden. 2013 hat ihn Flatz hier begraben. "Aber von dem ist eh nichts mehr übrig. Den haben längst die Raben geholt."
Die Empira, meint Flatz, würde versuchen, ihm "alles Mögliche hinzudrücken".
Empira-Anwältin Clara von Harling sagt hingegen, dass man über Jahre hinweg "faire und respektvolle Lösungen vorgeschlagen habe, um eine gütliche und sichere Einigung zu erzielen". Flatz habe immer wieder Aufschub bekommen, er habe alle Fristen verstreichen lassen – zuletzt die vom 30. Juni 2024. Inzwischen sind die Fronten verhärtet. Nun kommt es hart auf hart: Der Gerichtsvollzieher wirft den Künstler hinaus.
Flatz ist am Packen. Seinen Skulpturengarten mit dem Cadillac, der Freiheitsstatue, dem Wohnwagen, Glockenturm und vielem mehr – all das wird er zurücklassen. "Da steckt mein Herzblut drin", sagt Flatz. "Zwölf Jahre sind im A ..."
Und was wird nun aus seinen Skulpturen? Wer übernimmt die Kosten für den Abbau, die Lagerung und den Rückbau der Flächen? Flatz schätzt die Kosten auf mehrere Hunderttausend Euro. "Die Empira muss sich an Hirmer wenden", meint der Künstler. Er habe seinen Vertrag mit Hirmer an die Empira abgetreten.
Die Empira Group wiederum verweist auf eine notarielle Vereinbarung zwischen ihr und Flatz, in der er ebenfalls zugesichert habe, die Flächen zu räumen – da er sich aber nicht an die Fristen hielt, wird die Räumung nun vollstreckt. Empira-Anwältin von Harling: "In der Vereinbarung hat Herr Flatz zudem zugesichert, den Dachgarten so zurückzubauen, dass Dach und Mietflächen in ihren ursprünglichen Zustand versetzt werden können." Der Auszug des Künstlers wird wohl noch ein längeres Nachspiel haben.
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