Kaffeehausjournalismus

Zeitung machen zwischen Cappuccinos und Croissants: So ist der erste Tag der AZ im Schwabinger Café Ringelnatz gelaufen.
München - So oft und heftig ist Ludwig Spaenle wahrscheinlich noch nie ausgepiffen worden, in seinem ganzen Leben nicht. Immer wieder unterbricht das schrille Geräusch seine Wortbeiträge. Doch der Politiker lässt sich davon nicht beeindrucken, hält kurz inne und spricht weiter. Es sind nämlich keine aufgebrachten Eltern oder Schüler, die hier ihren Unmut kundtun. Es ist: die Kaffeemaschine. Und die gehört in einem Café nunmal zum guten Ton.
Daran müssen sich auch die AZ-Redakteure gewöhnen, die gestern um 9 Uhr erstmals nicht zum Rundfunkplatz gefahren sind, sondern ins „Ringelnatz“, das Schwabinger Café in der Haimhauserstraße 8. Dort residiert für eine Woche die Abendzeitung, Außenstelle Schwabing.
Noch früher da ist die EDV-Abteilung, bringt Monitore, Tastaturen, Rechner, Kabel und Computermäuse ins Lokal, das täglich um 10 Uhr öffnet.
Aus fünf Tischen werden Arbeitsplätze. Die erste gute Nachricht des Tages: Die Technik funktioniert. Die Verbindungen stehen. Ins Internet. Zum Redaktionssystem. Zum Bildsystem. Und zu den Nachrichtenagenturen.
Die lassen um 10.09 Uhr ein rotes Fenster auf den Bildschirmen der Redakteure aufpoppen. Das macht auch die ersten Café-Besucher neugierig – morgens sind das im Ringelnatz vor allem Mütter mit ihren Kindern. Rot, das bedeutet, dass die Nachricht besonders wichtig ist, erläutert Politikredakteurin Annette Zoch den interessierten Lesern.
In diesem Fall geht es um die Neuigkeit, dass die EU den Friedensnobelpreis erhält. Und gleich beginnt eine Diskussion. Eigentlich soll es hier ja um München gehen, doch jetzt bewegt plötzlich Weltpolitik die Gemüter im Ringelnatz.
Ist die Entscheidung für die EU gerechtfertigt? Nein, ja, vielleicht – die Meinungen gehen auseinander, in der Redaktion und bei den Besuchern, die angeregt mit AZ-Chefredakteur Arno Makowsky diskutieren. Genau das soll ja auch der Sinn des Projekts sein. Die beliebte Journalistenfloskel „nah beim Leser sein“ mit Leben zu füllen.
Sie, die Leser, kommen in Scharen. Auf einen Kaffee, ein Croissant, ein Panino. Jeder hat eine Geschichte mitgebracht, seine Geschichte.
AZ-Fotograf Daniel von Loeper hat in einem Nebenraum des Cafés ein kleines Studio aufgebaut, wird die ganze Woche Menschen – Promis und Normalos – ablichten und mit ihnen sprechen: über München, über Schwabing und alles, was dazugehört.
Am Mittag schaut Bernd Merkel vorbei, ein bekannter Journalismuslehrer aus der Schweiz. Ihn interessiert das AZ-Projekt. „Ist die Redaktion eigentlich immer noch in der Sendlinger Straße?“, will er wissen. Längst nicht mehr. Sondern am Rundfunkplatz.
Und diese Woche eben auch im Ringelnatz.