Ohne Sylvensteinspeicher und Co.: So verheerend wären Hochwasser in München

Wenn in Bayern nach intensiven Regenfällen, wie etwa im Sommer 2024, oft ein Katastrophenfall den nächsten jagt, bleiben die Unwetterfolgen in München vergleichsweise harmlos. Dafür gibt es vor allem drei wesentliche Gründe.
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Voll bis zu Oberkante, aber trotzdem kein Problem? Die Isar am Müllerschen Volksbad beim Hochwasser am 1.6.2024 kurz vor Warnstufe 3. Dieses Jahr wurde bis jetzt nur Warnstufe 1 erreicht.
Voll bis zu Oberkante, aber trotzdem kein Problem? Die Isar am Müllerschen Volksbad beim Hochwasser am 1.6.2024 kurz vor Warnstufe 3. Dieses Jahr wurde bis jetzt nur Warnstufe 1 erreicht. © IMAGO/kolbert-press/Ulrich Gamel
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Im Juni 2024 erreichte die Isar einen neuen Höchststand. Der Pegel stand damals bei 3,66 Meter. Ab 3,80 Meter gilt Meldestufe 3. Ab diesem Zeitpunkt können bebaute Grundstücke und Keller überflutet werden, Straßen müssen gesperrt werden, Dämme werden belastet. An der Brudermühlbrücke hatte sich die Wasserkante der sonst so flachen und zahmen Isar bereits gefährlich nah über die Ufer hinaus an die Fuß- und Radwege verschoben, am Wehr an der Marienklause und am Flaucher schossen die Wassermassen mit brutaler Kraft durch die Landschaft. Von zahm kann hier keine Rede mehr sein. Der Starkregen des Katastrophenwochenendes – innerhalb eines Tages waren in München über 80 Liter pro Quadratmeter gefallen, der Pegel von 1,50 Meter auf über 3 Meter gestiegen – hatte die Isar aus ihrem Schlaf gerissen. Auf einmal hatte sie ihrem Namen also wieder alle Ehre gemacht. Die Kelten sollen den Wildfluss aus dem Karwendel wegen seiner gefährlichen Kräfte einst Isara, die Reissende, genannt haben.  

Und trotzdem: Während im Umland ein Katastrophenfall nach dem anderen ausgerufen wurde, vielfach Jahrhundertpegel überschritten wurden, konnte man in Landeshauptstadt trotz des Hochwassers entspannter. Die Münchner spazierten sogar – zugegebenermaßen unvorsichtigerweise – am überschwemmten Ufer der Isar entlang, als wäre nichts passiert. Und auch jetzt, ein Jahr später, hat Starkregen wieder dafür gesorgt, dass die Isar über die Ufer trifft. Auch wenn diesmal nur Warnstufe 1 gerissen wurde, stellt sich wieder die Frage: Wie sicher sind die Münchner bei Hochwasser? Diese drei Gründe sorgen dafür, dass man sich in der Landeshauptstadt weniger Sorgen machen muss. 

Der Sylvensteinspeicher bremst die Isar aus 

Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Einmal gibt es den Faktor Glück. Zum Beispiel fielen die Regenfälle in München 2024 nicht ganz so stark aus wie im Umland, wo sich teilweise bis zu 120 Liter Wasser pro Quadratmeter innerhalb von 24 Stunden über die Ortschaften ergossen. Dann gibt es auch andere Gegebenheiten, wie etwa in Passau, wo drei Flüsse zusammenkommen. Aber das alleine ist es nicht. Es gibt vor allem drei wichtige Gründe, warum München beim Hochwasser besser davon kommt. Mit Blick auf die zahlreichen Schäden und die katastrophale Lage in Bayern sei hier noch einmal geschrieben: Es geht nicht um einen Wettbewerb, sondern darum, welche Maßnahmen auf lange Sicht allen helfen.

Eine findet sich etwa 80 Kilometer südlich der Landeshauptstadt unterhalb von Lenggries und ist nicht nur ein fabelhaftes Tagesziel – Ausflügler kennen die phänomenale Optik von der endlosen Brücke auf den Sylvensteinspeicher. Die riesige Badewanne (fasst 125 Millionen Kubikmeter Wasser) ist inzwischen 65 Jahre alt und ein wichtiges Trinkwasserreservoir im Freistaat. Aber der Speicher ist vor allem etwas anderes: ein sehr guter Hochwasserschutz für die Menschen entlang der Isar.

Der Sylvensteinsee südlich von München ist immer eine Reise wert, aber vor allem ist das Bauwerk ein wichtiger Hochwasserschutz für alle Menschen entlang der Isar.
Der Sylvensteinsee südlich von München ist immer eine Reise wert, aber vor allem ist das Bauwerk ein wichtiger Hochwasserschutz für alle Menschen entlang der Isar. © Imago/imageBROKER/Manuel Kamuf

Vor der Errichtung hat der Fluss immer wieder für zahlreiche katastrophale Überschwemmungen in München gesorgt. Vor allem, weil man davor 200 Jahre lang versucht hatte, die Isar zu bändigen. Durch Einengungen, Begradigungen und später viel Beton; was gerade so an Naturbehrrschungsglaube- und sünde in Mode war. Die Folgen waren regelmäßig verheerend. Vor allem für die Bewohnerinnen und Bewohner von Thalkirchen, Untergiesing und der Au, die mit den Überschwemmungen zu kämpfen hatten.

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In seinem ganzen bisherigen Leben hatte der Sylvensteinspeicher bisher nur einmal einen kritischen Punkt erreicht. Und zwar bei dem Hochwasser 2013, auch das kam im Juni, mit einem Höchststand von 762,5 Meter. Das war 50 Zentimeter vor dem Vollstau. Danach kann der Speicher nicht mehr kontrolliert geregelt werden und damit die Menge, die vom Sylvenstein abfließt. Und wie ist der Stand aktuell? Die Karte des Hochwassernachrichtendienstes zeigt eine Höhe von 752 Metern über Normalnull an. Mit der Höhenlage ist der Speichersee also zu 52 Meter gefüllt. Normal sind für den Sommer zwar 750 beziehungsweise 50 Meter, aber die drei Meter mehr stellen keine Bedrohung dar. Der Vollstau ist bei 763 Meter erreicht, das Stauziel bei 767 Meter und die Dammkrone bei 769 Meter über Normalnull. Auf der Übersichtskarte leuchtet der Sylvensteinspeicher in grüner Farbe, Meldestufe 0. Hier ist alles ok.  

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Was die aktuelle Lage für München bedeutet, sieht man mit einem Blick auf die Daten des Gewässerkundlichen Dienstes Bayern, der zum Bayerischen Landesamt für Umwelt gehört. Warum ist das interessant? Dort kann man unter anderem einsehen, wie hoch der Pegel der Isar gerade ist (am Montag, 4. August 2025, liegt er bei 1,81 Meter und damit wieder 60 Zentimeter unter Meldestufe 1 mit 2,4 Meter) und vor allem, wie schnell der Fluss gerade fließt. Die Zahlen zeigen, warum man sich in München wirklich entspannter geben kann. Durch die Stadt strömen aktuell 177 Kubikmeter pro Sekunde, zum Höchststand im Juni 2024 waren es 540 Kubikmeter Isarwasser die Sekunde. Um sich das besser vorstellen zu können: Einer der großen 12 Meter langen Standardschiffscontainer bringt es auf 67 Kubikmeter Fassungsvermögen. Da rauschen also so einige Container sehr schnell die Isar herunter. Normalerweise sind es gerade einmal 64 Kubikmeter die Sekunde.

Übrigens: Das aktuelle Unwetter ist noch immer weit von den Höchstwerten der letzten Hochwasser entfernt. Die Spitze wurde am 24. August 2005 mit 1050 Kubikmetern erreicht, 1999 beim Pfingsthochwasser waren es 830 und 2013 am 22. Mai 761 Kubikmeter die Sekunde. Werte, die die Stadt aushält. Ganz anders sähe es aus, wenn es den Sylvensteinspeicher nicht gäbe: Würde diese regulierende Barriere fehlen, dann könnte das Wasser laut Experten vom Wasserwirtschaftsamt München mit 1500 bis 1800 Kubikmetern pro Sekunden durch die Stadt rauschen. Die Folgen für München wären verheerend.

Bester Klimaschutz: Erfolgreiche Renaturierung der Isar

Der Sylvensteinspeicher ist aber nur ein Puzzleteil. Ein weiterer Grund für etwas mehr Gelassenheit in der Stadt: Die Isar hat wieder Platz. Neumünchner wissen es vielleicht nicht, aber vor 13 Jahren wurde eine Großbaustelle in der Innenstadt beendet. Noch vor dem großen Pfingsthochwasser von 1999 fassten das Land Bayern und die Stadt zusammen den Entschluss, den Fluss wieder zu "befreien". Der "Isar-Plan" wurde ab 1995 konzipiert und ab 2000 in die Tat umgesetzt.

So hat sich die Isar verändert

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Die Renaturierung auf acht Kilometern Länge zwischen Großhesseloher Brücke und der Museumsinsel dauerte bis 2011 und gab der Stadt und ihren Bewohnerinnen nicht nur ein Stück Lebensqualität, wie sich an jedem warmen Sommertag am Ufer zeigt, sondern sorgte auch für einen gekonnten Hochwasserschutz. Die Isar durfte aus ihrem viel zu engen, recht gerade geschnittenen Kleid heraus und sich wieder durch die Stadt winden, bekam Auslaufflächen und Kiesbänke. Das Mehr an Platz funktionierte schon mitten in den Bauarbeiten beim Hochwasser von 2005 sehr gut, die Folgen waren trotz hoher Pegelstände viel weniger verheerend. Durch den Rückbau ist die Reissende wieder gezähmt. Das waren gut investierte und aus heutiger Sicht billige 35 Millionen Euro.

Wohin mit dem Starkregen: Die Rücklaufbecken in München

Fehlt noch ein letzter Baustein für Münchens Gelassenheit beim Hochwasser: Die Regenrückhaltebecken. Städte sind in der Regel hochversiegelte, dichte Wohngebiete. Das Regenwasser kann nicht einfach abfließen, schon gar nicht, wenn es in Massen kommt. Wo also hin damit? Damit die Kanalisation bei Starkregen nicht überläuft und wieder an die Oberfläche kommt, was besser versteckt bleiben sollte, gibt es in München mehrere unterirdische Wasserbecken. Insgesamt sind es 13 Stück, die laut Münchner Stadtentwässerung auf ein Volumen von 700.000 Kubikmeter kommen. Das spektakulärste befindet sich unter dem Hirschgarten und fasst allein 90.000 Kubikmeter. Der Säulenbau ist mit 210 mal 37 Metern und vier Becken verteilt über zwei Etagen nicht nur das größte Rückhaltebecken der Stadt, sondern auch in Europa.

Das Regenrückhaltebecken unter dem Hirschgarten fasst alleine 90.000 Kubikmeter Wasser und entlastet somit die Kanalisation der Stadt bei Starkregen.
Das Regenrückhaltebecken unter dem Hirschgarten fasst alleine 90.000 Kubikmeter Wasser und entlastet somit die Kanalisation der Stadt bei Starkregen. © imago stock&people

Am Ende ist es also ein Dreiklang aus Speichersee, Renaturierung und Rückhaltebecken, der München erlaubt, auf Hochwasserlagen gelassener zu reagieren. Ein Grund, sich lange auszuruhen ist aber auch das nicht. Denn, da sind sich die Experten einig, der menschengemachte Klimawandel sorgt dafür, dass das, was wir jetzt Jahrhundertflut nennen, uns noch sehr viel öfter in diesem Jahrhundert begegnen wird.

Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag erschien zuerst im Juni 2024 und wurde nun mit aktuellen Daten auf den neuesten Stand gebracht. Solange die genannten Hochwasser-Faktoren für den Standort München aktuell bleiben, bleibt dieser Beitrag als informativer Hintergrundartikel online.    

 

 

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  • gubr am 10.06.2024 09:56 Uhr / Bewertung:

    Den habe ich nicht überlesen. Da ist wirklich was dran und das ist auch wissenschaftlicher Stand. Grüne Ideologie Ist jedoch jedoch eine sogenannte Lösung , die keine ist und nur dazu da ist dem Feindbild zu schaden bzw Genderei und "wir haben Platz", selbst für Kriminelle

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  • AufmerksamerBürger am 10.06.2024 09:40 Uhr / Bewertung:

    Die übliche Klimahysterie.
    Die Grünen sehen die Eiszeit als Idealtemperatur an, alles andere ist rechts.

    Der Grundwasser Spiegel wird wieder aufgefüllt, bis vor 3 Monaten wurde noch befürchtet, Deutschland würde zur Steppe.
    Menschenbegünstigt sind allerdings die Auswikungen, die Dauerregen mit sich bringt, die Wasserspeichernden Wälder werden abgeholzt für sinnlose Windräder, der Boden wird immer weiter versiegelt für Wohnungen, jedes Jahr werden Fachkräfte in der Größenordnung einer Großstadt angelockt.

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  • gubr am 09.06.2024 07:52 Uhr / Bewertung:

    Endlich mal ein informativer und guter Artikel und mal auch frei von linksgrüner Ideologie.

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