Hilflos am Hindukusch

„Wenn man zu viel nachdenkt, packt einen die Angst“ – die Münchner Marketenderin Melanie Kaufmann war vier Monate in Afghanistans Hauptstadt Kabul stationiert.
von  Abendzeitung

KABUL/MÜNCHEN - „Wenn man zu viel nachdenkt, packt einen die Angst“ – die Münchner Marketenderin Melanie Kaufmann war vier Monate in Afghanistans Hauptstadt Kabul stationiert.

Melanie Kaufmann hatte sich gerade in ihre Bettwäsche gekuschelt – „etwas von den wenigen persönlichen Dinge, die ich mitgenommen habe“ – als die Sirenen schrillen. Raketenalarm. „Du schreckst hoch. Du funktionierst. Du rennst in den Bunker“, sagt Kaufmann, die vier Monate als Soldatin der Bundeswehr in Kabul stationiert war – eine von rund 3500 deutschen Soldaten, die in Afghanistan ihr Leben riskieren. Heute berät der Bundestag über die Verlängerung des deutschen Mandats für die Internationale Stabilisierungstruppe ISAF (siehe unten). Am 13.Oktober läuft der derzeitige Beschluss aus.

"Jeder weiß doch vorher: Das ist nicht die Toskana"

Zigmal hatte Kaufmanns Einheit den Alarm geübt. Doch als dann Extremisten drei Raketen auf das internationale Soldaten-Camp schossen, direkt zwischen die Stuben, fuhr ihr doch der Schreck in die Knie. „Natürlich wusste ich von der möglichen Gefahr. Aber man versucht das im Alltag zu verdrängen“, sagt die 26-Jährige der AZ. Dass sie bei dem Zwischenfall getötet hätte werden können – dazu schweigt die in München stationierte Schwäbin lieber.

Denn Kabul erschien Kaufmann in den ersten Wochen überraschend friedlich. „Von den Auseinandersetzungen habe ich direkt nicht viel mitgekriegt“, sagt sie. Auch vom Krieg, von Kampfhandlungen will sie in ihrem Job als Marketenderin nichts gesehen haben. „Entsprechend meiner Aufgabe war ich fast ständig im Lager“, antwortet die junge Frau lehrbuchmäßig nach einem Blick zur Pressesprecherin. Worte, die nach Brutalität oder Angst klingen, hat die Bundeswehr aus ihren öffentlichen Statements nahezu gestrichen.

Das Haupteinsatzgebiet der Deutschen ist im Norden des Landes. Masar-i-Scharif, Kundus, Feisabad – Unruheherde, die tagtäglich schwelen. Öffentlich präsentiert werden aber meistens nur Soldaten, die in Kabul stationiert sind. Dort erscheint der Einsatz der Deutschen oft als planbare Aktion mit kalkulierbaren Risiken. Die Bundeswehr-Show, auch Kaufmann hat sie erlebt: Seit drei Monaten ist sie wieder in Deutschland. Afghanistan selbst, dessen Wiederaufbau die Soldaten aus 40 Ländern sichern sollen, hat sie nicht kennen gelernt. Von der Maschine ging es direkt ins ISAF-Lager. In einem Bus ohne Fenster. „Es sah so eintönig aus, einfach nur ockergelb“, sagt Kaufmann über die Ankunft. Die verminten Felder, auf denen Kinder nach weggeworfenen Metallteilen suchen, die in Burkas gehüllte Frauen, der Alltag Kabuls – all das blieb ihr verborgen. Allein am Tor zum Lager sah sie ab und an Einheimische betteln. „Wenn man die Kinder ohne Schuhe im Dreck spielen sieht, geht einem das nahe.“

Zwölf Stunden am Tag führte Kaufmann den Lager eigenen Tante-Emma-Laden, war eine Anlaufstelle für Soldaten, die Schokolade, Bier, Parfüm oder Zahnpasta brauchten. Morgens vom Feldbett zum Büro, abends zurück, vielleicht noch einen Abstecher über das Sportzelt oder den Gemeinschaftsraum. „Man muss sich beschäftigen, einen strukturierten Tagesablauf schaffen, um keinen Lagerkoller zu bekommen.“ Joggen auf dem Laufband, ein bisschen Krafttraining. Nach dem Abendessen – französische Küche mit halb rohem Hähnchen – noch ein Kicker-Turnier, eine Runde Dart, am Wochenende Lager-Disco zu Schlager-Musik. Alltagstrott im Krisengebiet. „Ich habe meine Freiheit vermisst. Mal schnell einen Kaffee in der Stadt trinken gehen – das geht einfach nicht.“ Ein Leben nach Befehl und Vorschriften. Nichts dringt nach außen, bevor es nicht mit dem Stab geklärt ist.

Doch die Furcht vor Raketen, Bomben, einer Schießerei blieb im Inneren Kaufmanns. „Aber wenn man zu viel nachdenkt, packt einen nur die Angst. Und schließlich weiß jeder vorher: Das ist nicht die Toskana. Sondern da kann es auch gewaltig knallen.“ Das tut es öfter als man in Deutschland meint, sagt Autor Achim Wohlgethan („Endstation Kabul“, Econ, 18,90 Euro). „Im Norden landen bis zu 30 Raketen pro Woche in den Lagern“, sagt er.

80 Verletzte und 28 Gefallene

Ein halbes Jahr war er für eine internationale Sondereinheit am Hindukusch stationiert. Mittlerweile ist er aus der Bundeswehr ausgeschieden – auch, weil er sich nicht sicher fühlte. „Als Soldat ist man total verlassen. Ich hatte oft Todesangst“, so Wohlgethan. „Das Material ist schlecht, es gibt zu wenig Kampfeinheiten. Bei den schlechten Rahmenbedingungen ist es ein wahres Wunder, dass es nicht mehr deutsche Opfer gibt“, sagt er. Dabei wird der Einsatz der Deutschen immer riskanter. „Im Norden häufen sich die Kampfhandlungen und im Süden herrscht offener Krieg.“

Noch ist die Bundeswehr in der Region um Kandahar nicht aktiv, doch irgendwann „werden auch wir dorthin Truppen schicken müssen“ meint Wohlgethan.

Schon jetzt ist die Situation prekär. „50000 ISAF-Soldaten sind in Afghanistan stationiert. Gebraucht werden allein im Süden 500000 Mann“, so Wohlgethan. Die Soldaten seien erschöpft. „Und wer müde ist, macht Fehler. Schießt aus Versehen auf Zivilisten.“ Ein paar Mal stand auch Wohlgethan kurz vor der falschen Entscheidung: Kinder, die mit verdächtigen Paketen auf ihn zuliefen, hat er mit der Waffe bedroht, Autobomben explodierten wenige Meter neben ihn. „Das Unbekannte ist das Schlimmste.“

260000 deutsche Soldaten waren seit Januar 2002 in Afghanistan. Mehr als 80 wurden verletzt, 28 getötet. So wie der 29-jährige Hauptfeldwebel Micha M. aus Zweibrücken. Ein Sprengsatz zerfetzte ihn im August vor seinen Kollegen. „Wenn Deutsche betroffen sind, hört man noch anders hin“, sagt Melanie Kaufmann. „Auch wenn ein Soldat weiß, worauf er sich einlässt“, fügt sie leise hinzu – der Tod sitzt jedem von ihnen im Nacken – mindestens einmal.

Ein Gefühl, das einige nie überwinden. „Aus meiner Einheit sind die meisten nach dem Einsatz in ein tiefes Loch gefallen“, erzählt Wohlgethan. Alkohol, Angstzustände, Aggression. „Die Jungs sind tickende Zeitbomben. Nur wahr haben will das niemand.“

Ein Problem, das in den USA bereits unfassbare Ausmaße angenommen hat. „Bei uns werden die meisten Toten als Unfall deklariert“, meint Achim Wohlgethan. „Aber ich kenne einige deutsche Eltern, deren Kinder sich als Soldat in Afghanistan das Leben genommen haben.“

Starke Nerven, Mut, ein Quäntchen Glück: Wohlgethan und Kaufmann hatten alles bei ihrem Einsatz im Kriegsgebiet. Sie überlebten und kehrten zu ihren Familien nach Deutschland zurück. „Tränenüberströmt“ stand ihre Mutter damals vor ihr, erinnert sich Melanie Kaufmann. „Es war wunderschön sie zu umarmen.“ Die drei Monate in Deutschland haben Kabul aus ihren Träumen und Gedanken gedrängt. Doch manchmal kommt sie noch hoch, die Angst. „Meldungen aus Afghanistan berühren mich ganz anders“, gesteht sie. Und dann ist da noch ihr Freund. Auch er ist Soldat. „Er will nächstes Jahr nach Afghanistan. Da wird mir schon mulmig. Ich weiß ja, wie es ist.“

Anne Kathrin Koophamel

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