Hilferuf vom Wagenplatz: Stattpark Olga muss wieder weichen
München - Irgendwann hat sich das im Viertel einfach so eingebürgert", sagt Martin, "dass die Leute hier vorbeikommen, wenn sie Schwierigkeiten im Alltag haben." Rentnerinnen zum Beispiel, bei denen in der Wohnung ein Schalter nicht mehr funktioniert. Nachbarn, die einen Kühlschrank die Treppe hochschleppen müssen. Oder Leute, die irgendetwas reparieren wollen, ein Radio, ein Telefon, ein Fahrrad. Manchmal stehen die Leute dann einfach plötzlich auf dem Wagenplatz, gewissermaßen im Wohnzimmer der Olga-Bewohner, und tragen ihr Anliegen vor. Seltsam findet das hier niemand. Im Gegenteil.
Stattpark Olga: Freiräume schaffen
"Die Olga bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Privatem und Öffentlichem", sagt Martin. "Und genau so soll das auch sein. Weil es uns darum geht, Freiräume zu schaffen."
Martin (54) sitzt in der Mitte des Wagenplatzes in der Sonne. Direkt hinter ihm steht sein Haus: ein umgebauter Zirkuswagen mit einer blauen Holzfassade und einer kleinen geschreinerten Veranda vor dem Eingang. Martin wohnt auf dem Wagenplatz, seit dieser gegründet wurde, elf Jahre ist das her. Fast alles um ihn herum ist selbst gebaut. Die Wagenplatz-Bewohner haben Lkw-Anhänger auf den Wagenplatz gebracht und zu Wohnungen umgestaltet. Sie haben einen Veranstaltungssaal gezimmert, Blumenbeete angelegt und einen Wagen mit Duschen, Toiletten und einer Waschmaschine ausgestattet. Viermal ist der "Stattpark Olga" seitdem umgezogen, er stand schon in Giesing, im Schlachthofviertel und in Obersendling. Die letzten vier Jahre haben seine Bewohner auf einer Wiese am Gottfried-Böhm-Ring verbracht. Dort werden sie noch bis Ende des Jahres bleiben. Dann steht wieder ein Umzug an.
Bewohner wollen leere Grundstücke mit Leben füllen
"Unser Ziel ist es, städtische Brachflächen begehbar zu machen", sagt Martin. "Weil es in München zwar einerseits fast keinen Platz gibt, aber andererseits viele Flächen ewig lange leerstehen." Leere Grundstücke, ungenutzte Parkplätze, verwachsene Wiesen: Solche Leerstellen innerhalb der Stadt füllen die Olga-Bewohner einige Jahre lang mit Leben. Bis etwas Neues auf ihnen entsteht - und der Wagenplatz weiterzieht. Auf der Wiese am Gottfried-Böhm-Ring, wo sie die letzten Jahre verbracht haben, soll jetzt eine Schule gebaut werden. Deswegen wird es Zeit für einen neuen Ort.
Aber: Geeignete Flächen zu finden, das ist in München gar nicht so einfach. "Wir sind seit Februar mit dem Fahrrad und Google Maps in der Stadt unterwegs und schauen uns leere Flächen an", erzählt die 36-jährige Anna, die seit vier Jahren auf dem Wagenplatz wohnt. "Wenn eine Stelle für uns passt, dann müssen wir herausfinden, ob sie der Stadt gehört. Und wenn sie das tut, dann geht es danach darum, rauszufinden, wie der Planungsstand ist." Das dauert, teilweise monatelang.
In der Münchner Bürokratie nicht vorgesehen
In der Münchner Bürokratie sind Konzepte wie die der Wagenplatz-Bewohner nicht vorgesehen. Oft dauert es Monate, an Informationen zu kommen, kein Referat ist wirklich zuständig.
Aktuell sieht es dennoch gut aus für die Olga: "Wenn nichts schief geht, dann unterzeichnen wir noch diese Woche den Vertrag", sagt Martin. Im Dezember werden sie dann wohl in die Heinrich-Wieland-Straße umziehen, auf einen ehemaligen Parkplatz in der Nähe des Michaelibads. 26 Menschen, 20 Erwachsene und sieben Kinder, jeder mit seinem eigenen Wagen, dazu das Veranstaltungshaus, der Sanitär-Wagen, die Werkstatt - logistisch ist der Umzug eines Wagenparks auf jeden Fall eine Herausforderung. Aber die Leute hier sind trotzdem motiviert.
"Für uns ist es sehr wichtig, uns in der Nachbarschaft zu verankern", sagt Anna. "Bei der Olga geht es ja nicht nur um Wohnen." Ein wichtiger Teil des Projektes sind die wöchentlichen Veranstaltungen. Jeden Donnerstag gibt es eine Aufführung im "Veranstaltungsraum", einem selbstgebauten Raum aus Holz mit einer kleinen Bar in der Ecke. Vorträge über den Kolonialismus in der Westsahara, Punkkonzerte, Infoveranstaltungen zur Münchner Mietenpolitik, dazu Essen auf Spendenbasis für alle Interessierten.
"Das ist auch eine Menge Arbeit", sagt Anna. Die Infrastruktur aufbauen, kochen, Getränke ausgeben, aufräumen, abspülen: Auf der Olga wohnen bedeutet auch, Arbeit in die gemeinschaftlichen Projekte zu stecken.
Stattpark Olga: Wille zur Gemeinschaft
Die Wagenpark-Bewohnerinnen sind unterschiedlich alt und haben unterschiedliche Berufe. Der 22-jährige Nico arbeitet bei einem Verleih für Lichtequipment, der 54-jährige Martin ist Musiker, auch eine Lehrerin und ein Ingenieur wohnen in dem Wagenpark. Was sie eint, ist der Wille zur Gemeinschaft. Nicht nur miteinander, sondern auch mit den Menschen um sie herum.
"Manche Nachbarn sind uns von Anfang an treu geblieben", erzählt Martin. So wie die Frau, die seit fast elf Jahren jede Woche zum Umsonst-Laden am Eingang des Wagenplatzes kommt, ein Buch herausnimmt und das von letzter Woche zurückstellt. Egal, ob der Wagenplatz gerade in Giesing oder Sendling steht. "Uns geht es um Freiraum, und zwar nicht nur für uns, sondern auch für andere", sagt Anna. "Wir wollen ein anderes Gesellschaftsbild kreieren."
Anna hat den Wagenpark über seine Veranstaltungen kennengelernt. Donnerstags kam sie oft zum Essen vorbei, hörte Vorträge an, saß mit am Lagerfeuer. Vor knapp vier Jahren entschied sie dann, mit auf den Wagenpark zu ziehen.
Ihr "Haus" steht am Rande des Wagenparks, eine kleine selbstgeschreinerte Treppe führt vom Boden zum Eingang des Wagens. "Ich habe einfach bei Ebay nach Lkw-Anhängern gesucht", sagt sie. "Ohne wirklich zu wissen, wie man die umbaut. Aber alle haben geholfen."
Von innen sieht der Lkw-Anhänger ein wenig aus wie ein "Tiny Haus": Bett, Bücherregal, Küchenzeile, Esstisch, Parkettfußboden. Neben dem Eingang steht ein großer Ofen. Kälte ist hier im Winter kein Problem, "es wird eher zu warm".
Alltag: Etwas anstrengender als "normal"
Etwas anstrengender als in einem "normalen" Haus ist der Alltag dennoch. Zum Beispiel wegen der fehlenden Wasseranschlüsse. In Annas Küche verbindet ein Schlauch einen großen Wasserkanister mit dem Spülbecken. Und auch im Sanitär-Wagen müssen regelmäßig die Wasserbehälter für die Duschen aufgefüllt werden.
Der Andrang auf das Projekt ist trotzdem groß. Bestimmt 20 Leute, erzählt Anna, stünden auf der Warteliste, weil sie gerne in das Projekt einziehen würden. Aber der Platz ist begrenzt. Und wenn der Umzug in die Heinrich-Wieland-Straße klappt, wird er noch begrenzter werden: Das dortige Gelände hat fast 1000 Quadratmeter weniger als der aktuelle Platz.
Wenn alles glattgeht, wird der Umzug im Januar abgeschlossen sein. Anna, Martin und die anderen freuen sich schon. 20 Menschen stehen auf der Warteliste, um einzuziehen.
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