Gewalttaten verhindern: Polizei entwickelt neues Konzept
Im März wurde im Polizeipräsidium München eine "Koordinierungsgruppe Bedrohungsmanagement" gegründet. Über 100 Personen sind im Fokus – darunter auch psychisch auffällige. Verschiedene Behörden sitzen jetzt an einem Tisch.
München - Alarmsignale, dass von einem Menschen eine Gefahr ausgeht, gibt es oft. Täter steigern sich in vielen Fällen über Monate oder sogar Jahre erkennbar in Aggressionen und Hass – bis sie zum Gewalttäter oder Mörder werden.
Beispiele gibt es viele: Da ist der Messerstecher vom Rosenheimer Platz, der im Oktober 2017 acht Menschen wahllos angriff. Der 33-Jährige hatte psychische Probleme und war bereits wegen gefährlicher Körperverletzung polizeibekannt.
Auch der Transportunternehmer Rudolf U. (55), der 2012 den Münchner Staatsanwalt Tilman T. im Dachauer Landgericht erschoss, hatte sich kontinuierlich in eine Art Wahn gesteigert. Er glaubte, dass die gesamte bayerische Justiz gegen ihn sei, weil er vor Gericht ständig verlor. U. sah sich im Recht, äußerte das öffentlich. Im Januar 2012 entluden sich seine Rachegedanken an einem Staatsanwalt, den er nie zuvor gesehen hatte.

Hinweise von Gewalt noch früher erkennen?
Ob diese und andere Taten hätten verhindert werden können, wenn Behörden oder Institutionen anders auf die Alarmsignale reagiert hätten, kann niemand sagen. Tatsache ist aber: Nach vielen Gewaltverbrechen stellt sich heraus, dass es Anzeichen gab dafür, dass jemand "durchdrehen" und zum Gewalttäter werden könnte.
Und in vielen Fälle ist dokumentiert, dass trotz vieler Hinweise zu wenig getan wurde. Genau da setzt ein neues Konzept an, das derzeit von der Polizei und dem Kreisverwaltungsreferat (KVR) entwickelt wird.
Im März wurde im Polizeipräsidium eine "Koordinierungsgruppe Bedrohungsmanagement" gegründet. Ausgearbeitet wird das Konzept von den Kriminaldirektoren André Remy und Markus Kraus, dem früheren Chef der Münchner Mordkommission.
Bedrohungsmanagement: Gefahren einschätzen und entschärfen
"Bedrohungsmanagement heißt: erkennen, einschätzen, entschärfen", erläutert André Remy. "Dabei geht es uns nicht um den Dieb, sondern um Hochrisiko-Fälle. Wir wollen Informationen besser austauschen, uns besser verzahnen."
Elizabeth Matzinger aus der Arbeitsgruppe ergänzt: "Es geht auch darum, aufs Bauchgefühl zu hören. Wenn man den Eindruck hat: Mit dem stimmt was nicht, ist es wichtig, ihn nicht aus dem Blick zu verlieren. Wir holen andere Behörden mit ins Boot. Dann überlegen wir gemeinsam: Wer kann was tun?"
Seit Frühjahr haben bereits mehrere Treffen mit Vertretern aus Justiz, Isar-Amper-Klinikum, sozialpsychiatrischem Dienst, KVR, Jugend-, Gesundheits- und Landratsamt und anderen Behörden und Institutionen stattgefunden – zuletzt am Donnerstag im Polizeipräsidium.
Mehr als 100 Personen im Fokus – darunter auch psychisch auffällige
Anfangs fanden die Treffen in kleinerer Runde statt, am Donnerstag nahmen bereits 45 Vertreter daran teil. Der Polizei geht es dabei auch um Menschen, die aus bereits bestehenden Konzepten herausfallen. Darunter sind auch psychisch auffällige Menschen, zum Beispiel Patienten, die aus der Psychiatrie entlassen werden und als nicht ungefährlich eingeschätzt werden.
Ihnen gilt offenbar auch unter dem Aspekt besondere Aufmerksamkeit, dass im Januar das neue Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Kraft tritt. Dessen Ziel ist unter anderem, Unterbringungen und Zwangsmaßnahmen soweit möglich zu vermeiden.
Mehr als 100 Fälle von potenziell gefährlich geltenden Personen wurden seit Frühjahr bereits besprochen. Für 20 Personen wurde sogar eine "Risiko-Analyse" erstellt. Eine elektronische Datenbank mit den Namen der Risiko-Personen gebe es nicht, sagte André Remy der AZ.
Vorreiter ist die Stadt Zürich
Der Grund ist offenbar, Kritikern, die den Datenschutz in Gefahr sehen, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Bis Frühjahr 2019 soll das Konzept stehen. Dann soll es möglichst in allen Polizeiinspektionen und Behörden - und auch in Schulen - feste Ansprechpartner geben. In Bremen und Hamburg ist ein Bedrohungsmanagement bereits fester Bestandteil der jeweiligen Sicherheitskonzepte.
Vorreiter für alle deutschen Städte ist Zürich. Dort wurde schon vor zehn Jahren ein Bedrohungsmanagement entwickelt.
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