Flugzeugabsturz vor 60 Jahren in München: "Gerade ist Furchtbares passiert"
München - Der Anruf erreichte mich am 17. Dezember kurz nach 14.30 Uhr. Atemlos meldete die Schwiegermutter eines früheren AZ-Kollegen, die neben der Paulskirche wohnte: "Hier ist grad was Furchtbares passiert, ich seh nur noch Feuer und einen schwarzen Nebel, komm schnell."
So kam es, dass ich zeitgleich mit Feuerwehr und Polizei den Ort des Geschehens erreichte: die Kreuzung der Bayerstraße mit der Martin-Greif-Straße am Rand der Theresienwiese (einen Steinwurf entfernt von der Stelle, wo 20 Jahre später ein weiteres Blutbad angerichtet wird). Und ich hatte sogar ein Telefon zur Verfügung, wie es vor der digitalen Zeit für Reporter unabdingbar war.
Ein Bild des Grauens an der Paulskirche: Überall liegen verkohlte Leichen
"Eine Hölle aus Feuer und Qualm" - so überschrieb ich meinen ersten Bericht für Zeitungen in der Bundesrepublik und Westberlin. Eine zweimotorige Transportmaschine der US Air Force mit 20 Passagieren war bei diesigem Himmel abgestürzt.
Noch züngelten die Flammen aus einem Gewirr von Wrackteilen. Durch die Explosion wurden ein Haus und eine voll besetzte Straßenbahn sowie mehrere Autos in Brand gesetzt. Rundum lagen verkohlte, verstümmelte Leichen. Mit dem Bedecken kamen die Helfer kaum nach.

Ein Polizeisprecher meldete bis zum Abend 70 Tote, was ich denn auch für die Sonntagsausgabe einer Berliner Zeitung weitergab. Bis Montag waren dann 49 Opfer gezählt: 27 Deutsche, 20 Amerikaner und zwei Syrer. In den Krankenhäusern lagen 13 Schwerverletzte. Auf den Tag genau 16 Jahre zuvor hatte München einen der schwersten Luftangriffe erlitten; er kostete 562 Menschenleben. Und erst 24 Stunden zuvor waren über New York City zwei Flugzeuge zusammengestoßen und 134 Opfer zu betrauern.
Augenzeugen berichten von rauchender Maschine
77 Stunden vor dem Todesflug in die brodelnde Münchner City waren die Triebwerke der Convair C 131 generalüberholt worden. Augenzeugen beobachteten, dass die Maschine noch leicht rauchend und wie suchend, in geringer Höhe einen Bogen über dem Wiesn-Viertel flog. Offensichtlich hatte der Kapitän - es war der mehrfach ausgezeichnete Major Connery (40) - ein Problem und wollte auf dem Festplatz notlanden.

Jedenfalls wurde kurz nach dem Start im zehn Kilometer entfernten Riem - zwei Tage zuvor erst hatte der Planungsausschuss des Stadtrats die seit langem geplante Verlegung des Flughafens diskutiert - einen Notruf gefunkt.
"Ich sah die Maschine riesengroß auf mich zukommen"
Doch die Notlandung gelang nicht mehr. Eine Tragfläche streifte den 97 Meter hohen Turm der neugotischen Paulskirche. Das Eisenkreuz zeigte jetzt schräg nach unten - "wie der Finger Gottes", schilderte ich, wohl etwas zu prosaisch, meinen Eindruck. Das große Kruzifix war erst im Sommer eingeweiht worden, als in St. Paul und auf der Theresienwiese der Eucharistische Weltkongress die katholische Welt zusammengeführt hatte.

Sekunden nach der Begegnung mit dem Kreuz schlitterte die Convair noch etwa 200 Meter über das Dach eines einstöckigen Gebäudes, wobei eine Tragfläche abbrach und das Haus sofort aufflammte. Unmittelbar an der Kreuzung der vom Hauptbahnhof kommenden, weihnachtlich belebten Bayerstraße bohrte sich der Rumpf in die Fahrbahn. Die zweite Tragfläche, ebenfalls mit Tausenden Litern Benzin gefüllt, stieß mit dem Anhänger eines Straßenbahnzuges der Linie 10 zusammen, in dem sich ungefähr 30 Menschen drängten.
Infernalischer Qualm und Gestank verbreitet sich über das ganze Stadtviertel
Im Nu war alles in Flammen gehüllt. Die Pilotenkanzel hatte nämlich eine unterirdische Gasleitung aufgerissen, so dass sich der Brand auf mehrere Hundert Meter ausbreiten konnte. Er erfasste auch das Reifenlager einer Gummifabrik, die schon 1954 gebrannt hatte.
Infernalischer Qualm und Gestank verbreiteten sich über das ganze Stadtviertel. Nur um wenige Meter hatte die Convair eine große Tankstelle mit drei unterirdischen Benzinkesseln "verfehlt". Tankwart Ritzinger berichtete mir: "Ich war eben beim Autowaschen, als ich plötzlich die Maschine riesengroß auf mich zukommen sah. Dann war nur noch Chaos, wie nach einem schweren Luftangriff. Trümmer, Rauch und Schreie." Die technischen Untersuchungen zur Unfallursache brachten ein banales Ergebnis: In einer Kraftstoffpumpe hatte sich Wasser angesammelt.
Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel sprach im Krankenhaus mit einem Verletzten. Der war im Auto mit seiner Frau von der Katastrophe überrascht worden und hatte gerade noch den Rückwärtsgang einlegen können. Als er aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich herausgekommen war, erblickte er seine Frau brennend auf dem Beifahrersitz, sie überlebte nicht.

Bis Weihnachten wehen alle Fahnen in der Stadt auf halbmast
Der Fahrer der Unglückstram, Paul von Bornhorst, sah noch einige Menschen mit brennenden Kleidern aus dem Anhänger taumeln. Aber nur ein Ehepaar kam lebend heraus. Die Toten des Flugzeugs - 13 amerikanische Studenten und sieben Besatzungsmitglieder - konnten erst nach zwei Stunden aus den brennenden Trümmern befreit werden, sie wurden vor der Treppe eines Bierkellers aufgeschichtet.
Das total verkohlte Wrack der Tram mitsamt den Leichen schleppte ein Tieflader erst in der Nacht zum Ostfriedhof, wo schon am 20. Dezember eine große Trauerfeier stattfand. Bis Weihnachten wurden alle Veranstaltungen in München untersagt, alle Fahnen wehten auf halbmast.
Überfliegen des Stadtgebietes München wird zwei Jahre später verboten
Aus "einer der schwersten Katastrophen in der Geschichte Münchens" zog der weitblickende Oberbürgermeister Vogel schon am Tag danach eine wichtige Folgerung: Jetzt müsse man die Verlegung des Flughafens endlich "ernsthaft erwägen".
Allerdings würde es sich um ein Milliardenprojekt handeln. Zwei Jahre nach dem Unglück wurde das Überfliegen des Stadtgebietes München verboten.
Und genau vier Jahre danach präsentierte das bayerische Wirtschafts- und Verkehrsministerium das Ergebnis einer Prüfung von 20 möglichen Standorten für einen neuen Münchner Großflughafen - drei davon wiesen die meisten Vorteile und die wenigsten Nachteile auf, doch auch diese erwiesen sich dann als nicht durchsetzbar.
Erst im Oktober 1967 konzentrierte sich das Ministerium auf die landwirtschaftlich genutzte Moorlandschaft zwischen Erding und Freising, wo es freilich sofort zum organisierten, nachhaltigen Widerstand kam, der bis zur Inbetriebnahme des heutigen Münchner Hauptflughafens am 11. Mai 1992 an Heftigkeit nicht nachließ. An die Katastrophe von 1960 erinnert heute eine Tafel am Ort des Geschehens.
Der Beitrag verwendet Texte aus dem "Münchner Katastrophenbuch" von Karl Stankiewitz.
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