Flughafen-Chef Jost Lammers: 100 Tage fühlen sich an wie 300

Der neue Flughafen-Chef Jost Lammers spricht über seinen fordernden Arbeitsalltag, Luftfahrt in Zeiten von Corona – und warum er es als Schalke-Fan schwer hat.
Interview: Clemens Hagen |
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Jost Lammers ist seit 1. Januar im Amt. Er wohnt mit seiner Frau und den beiden Kindern nördlich von München.
Angelika Warmuth/dpa Jost Lammers ist seit 1. Januar im Amt. Er wohnt mit seiner Frau und den beiden Kindern nördlich von München.

München - Der Oldenburger Jost Lammers (53) ist seit dem 1. Januar 2020 Vorsitzender der Flughafen München GmbH. Zuvor leitete er von 2008 bis Ende 2019 den Flughafen Budapest. Im Jahr 2019 wurde er zum Präsidenten des europäischen Dachverbandes der internationalen Verkehrsflughäfen ACI gewählt.

AZ: Herr Lammers, darf man Ihnen zum neuen Posten gratulieren? Oder sollte man sich Glückwünsche aller Art in diesen Zeiten besser verkneifen?
JOST LAMMERS: Vielen Dank dafür, dass Sie hier mit Mitgefühl eine persönliche Note zum Ausdruck bringen. Ich habe mit Überraschung festgestellt, dass meine ersten 100 Tage in München abgelaufen sind – sie fühlen sich an wie 300 Tage. Die Krise macht alles intensiver. Ich muss zugeben, eine solche Situation hätte ich mir niemals träumen lassen. Trotzdem: Chef des Münchner Flughafens zu sein, bleibt ein Traumjob.

Wie sieht ein Arbeitstag von Jost Lammers zur Zeit aus?
Geprägt durch das Krisenmanagement in dieser Phase. Wir müssen sicherstellen, dass der laufende Betrieb unter Einhaltung aller hygienischen Maßnahmen läuft, dass unsere Mitarbeiter geschützt sind, dass unsere Passagiere geschützt sind. Wir haben ja noch Passagiere, wenn auch wenige. Zum Zweiten müssen wir die wirtschaftliche Lage des Unternehmens gut steuern, was wir in enger Absprache mit unseren Airline-Partnern tun. Und zum Dritten ist da noch unsere gedankliche und konzeptionelle Arbeit, wie wir den Flughafen nach Ende des Lockdowns wieder hochfahren.

Flughafen-Chef: "Wir brauchen einheitliche Standards"

Wann könnte das passieren?
Die Bundesregierung hat ihre Reisewarnung erst am Mittwoch bis Mitte Juni verlängert. Wir sind mit als Erste in die Krise gerutscht und werden mit als Letzte wieder rausgehen. Das in konkreten Phasen vorauszudenken, nimmt mehr und mehr Raum bei uns ein.

Wird das stufenweise geschehen? Erst Kurz-, dann Mittel-, dann Langstrecke?
Ja, auf nationaler Ebene klappt es schon sehr gut. Von München aus gehen täglich neun innerdeutsche Flüge ab. Auf europäischer Ebene muss das Hochfahren synchronisiert ablaufen, wir brauchen einheitliche Standards. Erst dann werden, ein Schritt später, Reisemöglichkeiten in die USA, nach Fernost, nach Afrika kommen.

Sie haben die wirtschaftliche Lage der Flughafen GmbH angesprochen. Wie sieht es hier konkret aus?
Wir haben auf der Kostenseite eingespart, nicht zwingend notwendige Investitionen wie eine neue Unternehmenszentrale, ein neues Hotel am Flughafen oder neue Parkhäuser wurden geschoben. Da geht es um Hunderte von Millionen Euro. Andere, wichtige Projekte laufen dagegen weiter: der neue Flugsteig am Terminal 1, um den Fünf-Sterne-Standard des Flughafens zu erhalten; die Verlängerung des Bahntunnels nach Osten – Stichwort: Erdinger Ringschluss; der Straßenbau, um die Zufahrtswege zu entlasten; das Innovationsprojekt LabCampus.

Lammers: "Kurzarbeit ist ein wichtiges Instrument"

Der Flughafen ist ein großer Arbeitgeber. Sie haben 10.000 Angestellte, weitere 28.000 Menschen arbeiten am oder für den Flughafen. Wie geht es Ihren Mitarbeitern?
Wir als Flughafen GmbH haben gemeinsam mit dem Betriebsrat Rahmenbedingungen für Kurzarbeit geschaffen – bei uns sind derzeit immerhin 7.000 Leute davon betroffen. Kurzarbeit ist ein ganz wichtiges Instrument in der Krise, das sich monatlich neu justieren lässt.

Es gibt Menschen, die behaupten, dass Reisen mit dem Flugzeug nie wieder so sein wird wie vor Corona. Was entgegnen Sie ihnen?
Diese Krise ist sehr, sehr gravierend, keine Frage. Es ist eine globale Krise, eine neue Qualität von Krise. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass das Bedürfnis der Menschen nach grenzüberschreitendem Reisen, nach Fernreisen ungebrochen ist. Wichtig ist, dass Flugverkehr unter genauso sicheren Rahmenbedingungen stattfinden kann wie Öffentlicher Personennahverkehr. Es geht um Vertrauen in die Sicherheit, Mundschutz, Abstand, Hygiene – alles muss im Luftverkehr genauso funktionieren wie in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens. Auch wir werden lernen müssen, mit dem Coronavirus zu leben. Ultimative Sicherheit wird es erst geben, wenn eine Medizin, wenn ein Impfstoff vorhanden ist.

"Werden das Vorkrisenniveau wieder erreichen"

Aber nochmal: Wird der Flugverkehr nach der Krise nicht ein anderer sein?
Die Airline-Landschaft dürfte sich verändern, das ist richtig. Kleinere Fluggesellschaften mit Liquiditätsproblemen scheiden möglicherweise aus dem Wettbewerb aus. Eine Konsolidierung wird stattfinden in Europa. In Amerika gab es die schon. Aber, das ist meine Prognose, wir werden das Vorkrisenniveau wieder erreichen, und es gibt Wachstumsperspektiven.

Glauben Sie nicht, dass gerade große, multinationale Konzerne in der Krise feststellen: Wir müssen gar nicht mehr so viel fliegen, Videokonferenzen tun es doch auch?
Meine Erfahrungen sind da zwiespältig. Manches klappt sehr gut, manchmal möchte man an der Technik verzweifeln. Aber auch die beste Technik kann ein persönliches Gespräch, kann nonverbale Kommunikation nicht ersetzen.

Lammers sitzt lieber am Gang statt am Fenster

Diese Frage ist für Sie vielleicht schwer zu beantworten, weil der Freistaat Bayern und der Bund Ihre größten Gesellschafter sind, aber trotzdem: Macht die Politik alles richtig? Sind Sie mit der rigiden Linie von Markus Söder und Bundeskanzlerin Angela Merkel einverstanden?
Wir haben uns mit den anderen Flughäfen und den Airline-Partnern als Industrie eng verknüpft. Wir müssen gemeinsam die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Reisebeschränkungen überhaupt erst aufhebbar werden.

Gut. Anderes Thema: Hatten Sie als Neu-Münchner schon Gelegenheit, Ihre Heimat kennenzulernen? Gab's schon ein Weißwurstfrühstück oder Schweinsbraten mit Knödel?
Ich hatte schon einige Wochen vor der Krise, in denen ich vieles genießen konnte. Ich fühle mich hier sehr gut angekommen, pudelwohl könnte man auch sagen.

Ihrem Vorgänger haben wir diese Fragen auch gestellt: Gang oder Fenster? Tomatensaft oder Bier?
Immer gerne Gang. Tomatensaft gar nicht. Ein gutes Bier immer – wenn es nur diese beiden Optionen gibt.

Letzte Frage: Herr Kerkloh ist glühender Dortmund-Fan, Sie sind Schalke-Anhänger. Wann werden Sie zum ersten Mal bei einem Gastspiel der Knappen in der Allianz Arena sitzen?
Ich hatte das "Vergnügen" schon. Ich glaube, das war ein 5:0 für die Bayern. Ich war mit meinem blau-weißen Schal da – und ziemlich deprimiert.

Lesen Sie hier: Flughafen München sperrt eine Start- und Landebahn

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