Filmriss durch moderne K.O.-Tropfen: Das neue Wiesn-Gift

Polizei und Drogenexperten warnen: Immer öfter werden moderne K.O.-Tropfen eingesetzt. Die Substanzen sind lebensgefährlich, führen zum Filmriss und sind schwer nachweisbar
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - Polizei und Drogenexperten warnen: Immer öfter werden moderne K.O.-Tropfen eingesetzt. Die Substanzen sind lebensgefährlich, führen zum Filmriss und sind schwer nachweisbar

Gerade stand Maria noch auf der Tanzfläche, war topfit. Mit ihren Freundinnen ist sie in der „Registratur“ unterwegs, ihre Gläser haben sie auf einem Tisch in der Nähe des DJ-Pultes abgestellt. „Plötzlich war Maria völlig verändert. Sie konnte kaum mehr sprechen, klappte zusammen. So habe ich sie noch nie gesehen“, erzählt ihre Freundin Sabine der AZ. „Wir hatten nicht viel getrunken. Maria hat über einige Stunden drei Gläser Prosecco getrunken. Davon kann sie unmöglich so fertig gewesen sein. Und schon gar nicht so plötzlich.“ Die beiden sind keine Teenies mehr, beide Anfang 30, berufstätig. „Wir wissen, was wir trinken können und veranstalten keine komatösen Besäufnisse.“ Für Sabine ist klar, dass jemand nachgeholfen haben muss. „Ich hatte in letzter Zeit öfter Geschichten von K.O.-Tropfen gehört. Aber erst, seit ich das live gesehen habe, glaube ich das.“

Spätestens seit dem spektakulären Prozess um „Liserl“, dem Mädel, das nach der Wiesn von zwei Männern mit K.-O.Tropfen ausgeknockt und vergewaltigt wurde geht die Angst vor „Liquid Ecstasy“ um. In Bad Reichenhall kam es vor zwei Wochen zu zwei Fällen, ein 16-jähriges Mädchen wurde vergewaltigt.

Jetzt warnt die Polizei vor Beginn des Oktoberfestes vor den Tropfen. „Man sollte im Hinterkopf haben, dass es Täter gibt, die mit solchen Mitteln arbeiten“, sagt Polizeisprecher Andreas Ruch. Auch Maike Bublitz vom Frauennotruf München und der „Aktion Sichere Wiesn“, warnt: „Immer die Getränke im Auge behalten und nie von Freunden oder der Clique trennen.“

Zwei bis drei Verdachtsfälle pro Woche in Südbayern untersucht das Institut für Rechtsmedizin an der LMU München. Allein in München waren es 2008 49 Fälle. Polizeisprecher Ruch: „Wir gehen aber davon aus, dass es eine erhebliche Dunkelziffer gibt, weil viele das nicht anzeigen.“

Besonders tückisch: Die Substanzen führen nicht nur zu Erinnerungslücken und kompletten Filmrissen, sondern sind auch schwer nachweisbar. Was steckt hinter den Tropfen?

Als „Liquid Ecstasy“ wurde die Substanz GHB bekannt, die chemisch mit Ecstasy nichts zu tun hat. Als Narkosemittel ist es auf dem Markt und unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz. „Es sieht aus wie Wasser, es riecht nicht, schmeckt allenfalls leicht salzig“, erklärt Gabriele Roider, forensische Toxikologin am Rechtsmedizinischen Institut. Das Neueste ist GBL. Diese Substanz wird im Körper zu GHB umgewandelt, hat also die gleiche Wirkung. Da die Chemikalie aber in der Industrie eingesetzt wird, zum Beispiel bei Reinigungsmitteln, ist sie legal. „Es kann je nach Verdünnung und Reinheit allenfalls leicht nach Lösungsmitteln schmecken“, sagt Roider.

Weil GHB illegal und deswegen teuer ist, ist GBL inzwischen weit verbreitet: „Heute wird vorrangig GBL eingesetzt“, sagt Polizeisprecher Ruch. Auch als Droge, die immer mehr freiwillig nehmen. Bei geringer Dosierung wirkt der Stoff euphorisierend, bei höherer Dosis dann einschläfernd. „Die Betroffenen fühlen sich wie in Watte gepackt. Ihnen ist schwindlig, manchen wird übel. Es kann zu komaähnlichen Zuständen kommen“, sagt Toxikologin Roider. GHB und GBL wirken schnell, nach rund 15 Minuten. „Je nach Reinheit reicht ungefähr ein Teelöffel, um jemanden handlungsunfähig zu machen“, erklärt Roider.

Lebensgefährlich sind GHB und GBL in Kombination mit Alkohol. Roider: „Es kann zur Atemdepression kommen, außerdem besteht die Gefahr, dass der Betroffene erbricht und das einatmet, das ist lebensgefährlich“.

Anders als früher eingesetzte K.O.-Tropfen, ist das neue Gift nur wenige Stunden nachweisbar. „Etwa sechs Stunden im Blut und zehn Stunden im Urin“, sagt die Toxikologin. „Doch bis die Frauen wieder wach sind, sich orientieren können und zum Arzt gehen, ist die Zeit oft schon um.“ Außerdem kann der aufwändige Test in normalen Krankenhäusern gar nicht gemacht werden. Wird dort etwa eine vermeintliche Koma-Säuferin eingeliefert, wird die Substanz beim Drogenscreening nicht erfasst.

Bei Maria wird es auch nie Gewissheit geben. Nachdem Sabine den Krankenwagen gerufen hatte, wurde sie heimgebracht. „Ich bin die ganze Nach bei ihr geblieben, was ich sonst nie tue. Sie war ja wie besinnungslos.“ Tagelang ging es Maria schlecht - angezeigt hat sie die Sache nicht. „Man schämt sich halt“, sagt Sabine.

In der Registratur zeigt man sich erstaunt. „Uns wurde noch nie von Gästen so etwas gemeldet“ sagt Fritz Voggenreiter. Bei Mindzone, der Initiative für drogenfreies Feiern, wundert man sich weniger. „Das hat eindeutig zugenommen, das Thema ist im Nachtleben sehr präsent“, sagt Sonia Nunes. „Wir bekommen auch Rückmeldungen von Clubs über seltsame Notfälle.“ Die Caritas-Initiative, die auch vom Gesundheitsministerium unterstützt wird, wird in wenigen Wochen eine neue Aufklärungskampagne zu GHB /GBL starten. Auf den Plakaten werden die Mädchen eindringlich darauf hingewiesen, ihre Gläser nicht aus den Augen zu lassen.

Für Sabine und ihre Freundinnen ist das jetzt ohnehin klar: „Ich stelle mein Glas nirgends mehr ab. Ich kenne auch immer mehr, die ganz auf offene Drinks verzichten und sich den ganzen Abend an ihrer Bierflasche festhalten.“

Tina Angerer

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