Fassungslosigkeit im Rathaus: Wer übernimmt die Verantwortung fürs Wiesn-Chaos?

Nach dem ersten großen Schreck beginnt die Aufarbeitung der unübersichtlichen Lage auf der Wiesn. Im Rathaus sind sehr viele sehr erzürnt. Doch Verantwortung will niemand so recht übernehmen. Was folgt nun aus dem Chaos?
Felix Müller
Felix Müller
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
8  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Poliztisten auf Rundgang auf der Wiesn,
Poliztisten auf Rundgang auf der Wiesn, © IMAGO/Wolfgang Maria Weber
Carbonatix Pre-Player Loader

Audio von Carbonatix

Dieser Montag ist ein sehr ungewöhnlicher Tag im Rathaus. Die Politiker und Mitarbeiter sind zurück aus dem Wochenende. Und mancher begreift wohl erst am Morgen in den ersten Besprechungen, was da am Samstag auf der Theresienwiese passiert ist – und was glücklicherweise nicht. Die dramatischen Berichte von der Wiesn sind an diesem Morgen gleich allgegenwärtig – von Politikern, denen Wiesn-Besucher Beängstigendes berichtet haben. Oder von Mitarbeiterinnen, die immer noch zittern, wenn sie erzählen, wie angsterfüllt weinende Männer am frühen Samstagabend auf der Theresienwiese saßen.

Blick hinter die geschlossenen Türen: So lief Tag 1 nach dem Wiesn-Chaos im Rathaus

Dort war es zu einem gefährlichen Gedränge gekommen. Durchsagen, alle sollten das Gelände verlassen, hatten für weitere Verunsicherung gesorgt, Gerüchte über eine Gewalttat offenbar auch deshalb Futter bekommen, weil Schausteller und Standl-Betreiber nicht wussten, was los ist. Schon am Sonntag hatte es wie berichtet in Rathaus-Kreisen erheblich gegrummelt. Am Montag nun bricht sich ein regelrechtes Entsetzen Bahn – mit etlichen unangenehmen Fragen – insbesondere an Wiesn-Chef Christian Scharpf (SPD). Mit vielen nervösen Gesprächen und Telefonaten, wer denn nun für was verantwortlich sei. Und mit einem genauen Blick darauf, wer was sagt, wer wo auftaucht – und mindestens genauso: wer nicht.

Münches neuer Wiesnchef Scharpf hat sich am Montagabend erneut zu den Vorfällen am Samstag geäußert.
Münches neuer Wiesnchef Scharpf hat sich am Montagabend erneut zu den Vorfällen am Samstag geäußert. © Peter Kneffel/dpa

Um 9 Uhr beginnt der Ältestenrat, geleitet von OB Dieter Reiter (SPD). Eine seltsame Stimmung habe geherrscht, wird später berichtet. Offenbar spricht dort niemand das Chaos vom Samstag an.

Um 11 Uhr treffen sich jeden Montag die städtischen Referenten mit dem Oberbürgermeister. Ausgerechnet heute soll Wiesn-Chef Christian Scharpf nicht dabei sein. Er hat zu einem Presse-Rundgang auf die Wiesn eingeladen, um Bio-Schmankerl zu präsentieren. Noch am Sonntagmorgen hat er vor der Bavaria beim Platzkonzert Klarinette gespielt.

OB Dieter Reiter, hier beim Anstich mit Söder auf der Wiesn. Der OB wollte sich am Montag nicht zu den Ereignissen am Samstag äußern.
OB Dieter Reiter, hier beim Anstich mit Söder auf der Wiesn. Der OB wollte sich am Montag nicht zu den Ereignissen am Samstag äußern. © imago/FutureImage

Doch nun nach den zahlreichen Augenzeugenberichten vom Chaos-Samstag Schmankerl in die Kamera halten? Das ist ihm dann wohl doch zu heiß. Scharpf nimmt nicht am Rundgang teil, offiziell wegen der Referentenrunde – ein Termin, der aber ja nun jede Woche im Kalender steht. Denkbar auch, dass er dort nun präsent sein will oder muss, falls es um seine Versäumnisse geht. Einer, der nicht auftaucht, ist auf jeden Fall sein Parteifreund und Förderer, OB Dieter Reiter.

So kommt kein gemeinsamer Auftritt der beiden zustande, bei dem die anderen Stadt-Politiker einen Eindruck hätten gewinnen können, ob Reiter in der Sache fest hinter Scharpf steht – oder nicht. Auf Anfrage der AZ heißt es am Montag aus seinem Büro, Reiter wolle sich nicht zum Wiesn-Samstag äußern.

Kurz geht es in der Sitzung mit Scharpf auch um den Wiesn-Samstag

Scharpf zumindest soll am Montag in der Referentenrunde den Eindruck gemacht haben, die Kritik etwas ernster zu nehmen als noch am Sonntag, als er das Thema noch klein redete. Es soll unter den Referenten zum Beispiel schon davon gesprochen worden sein, dass man möglicherweise den Reservierungswechsel in den Zelten noch weiter entzerren sollte – das Gedränge am Samstag hatte sich offenbar rund um den spät-nachmittäglichen Reservierungswechsel zugespitzt.

Ob es bei solchen kleinen Korrekturen bleibt? Ob die Stadt noch vor dem erwarteten Ansturm zum Feiertags-Freitag und Samstag Regelungen ändert? Das wird nun spannend sein, zu beobachten.

Viele Besucher vom Wiesn-Samstag berichten, ihnen sei sehr unwohl gewesen ob der Fülle auch schon am MIttag.
Viele Besucher vom Wiesn-Samstag berichten, ihnen sei sehr unwohl gewesen ob der Fülle auch schon am MIttag. © picture alliance/dpa

Am Montag klingen auf jeden Fall sehr, sehr viele im Rathaus fassungslos, auch unter jenen, die nicht als Zuspitzer gelten. "Entgeistert", sei er, sagt so einer, "einfach Wahnsinn!", ruft ein anderer ins Telefon. Immer wieder ist die Rede davon, dass die Wiesn wohl nur knapp einer Katastrophe entgangen sei.

"Eine solche Situation darf sich nicht wiederholen, gerade, wenn eigentlich ausgetüftelte Sicherheitskonzepte vorliegen", sagt Grünen-Fraktionschef Sebastian Weisenburger. Ein Fragenkatalog, den seine Fraktion offiziell an Christian Scharpf richtet, lässt eine Richtung vermuten, in die sich die Debatte nun entwickeln könnte.

Dass nämlich nicht das (grün geführte) KVR schuld am Chaos ist – sondern die Festleitung (also SPD-Mann Scharpf), die sich nicht an die Vorgaben des Sicherheitskonzepts gehalten habe. In Rathaus-Kreisen raunt es, dass es einen klaren Stufenplan bei drohender Überfüllung gebe und dieser nicht eingehalten worden sei.

Schon an diesem Mittwoch kommt das Thema in die Stadtrats-Debatte

Ob das stimmt und wer gegebenenfalls eigenmächtig anders entschieden hat, das muss Scharpf nun beantworten. Auch die Fragen, warum wie berichtet Schausteller am Sonntag gebeten wurden, nicht mit der Presse zu sprechen oder warum laut "SZ" auf der Oktoberfest-Instagram-Seite Kommentare von entsetzten Augenzeugen gelöscht wurden, treiben Stadträte um. Schon an diesem Mittwoch wird Christian Scharpf wohl im Stadtrat selbst Stellung beziehen müssen.

Auf Aufklärung pocht auch die ÖDP – und ganz besonders die CSU. "Wenn Besucher von Todesangst berichten, ist eindeutig etwas schiefgelaufen", sagt Fraktionschef Manuel Pretzl am Montag. "Das darf man nicht kleinreden." Auch die CSU hat einen ausgiebigen Fragenkatalog eingereicht.

300.000 Menschen gleichzeitig sollen am Samstagabend auf der Wiesn gewesen sein. Die Situation wurde unübersichtlich und die Festleitung musste Maßnahmen ergreifen (Symbolbild).
300.000 Menschen gleichzeitig sollen am Samstagabend auf der Wiesn gewesen sein. Die Situation wurde unübersichtlich und die Festleitung musste Maßnahmen ergreifen (Symbolbild). © Felix Hörhager/dpa

Drängendste Fragen hätte die AZ auch gerne von den städtischen Verantwortlichen beantwortet gehabt. Etwa die, ob denn nach dem Stufenkonzept vorgegangen wurde oder nicht? Oder die, ob richtig ist, dass selbst Sicherheitsleute nicht informiert waren, dass es bei der Räumung "nur" um drohende Überfüllung ging? Oder auch jene, ob Christian Scharpf am Samstag selbst als Festleiter die Entscheidungen gefällt hat und ob er vor Ort war?

Zunächst zumindest wohl nicht, Augenzeugen zumindest berichten, sie hätten ihn noch am sehr späten Nachmittag bei einer Veranstaltung der Edith-Haberland-Wagner-Stiftunga außerhalb der Theresienwiese gesehen.

Auf all diese Fragen gibt es am Montag aus der Wiesn-Pressestelle keine Antwort. Stattdessen meldet man nur ganz allgemein, die "Aufarbeitung der Abläufe vergangenen Samstag hat gerade höchste Priorität. Wir sind seitdem im engen Austausch mit allen Sicherheitsbehörden, Wiesnwirten und Beschickern. Hierzu finden aktuell noch Gespräche statt." Man bitte noch um etwas Geduld, heißt es, "bis die Festleitung und die Sicherheitsbehörden gemeinsam erste Maßnahmen kommunizieren werden, wie man künftig derartige Menschenansammlungen vermeidet."

Viele Wiesn-Kenner, auch in der Politik, sind fassungslos, schließlich sei es die erwartbarste Problem-Situation, dass es am mittleren Wiesn-Samstag voll werden könnte. Sie sind überzeugt, dass man viel früher hätte reagieren müssen – und anders.

Dass bei einer drohenden Überfüllung überhaupt die Aufforderung, alle sollten die Wiesn Richtung Bahnhof verlassen – und damit möglicherweise das Risiko, dass sich Hunderttausende in Panik ins Bahnhofsviertel drängen – enthalten ist, kann sich keiner so recht vorstellen.

Voll, voller, Wiesn: Blick aufs Gelände am frühen Samstagabend.
Voll, voller, Wiesn: Blick aufs Gelände am frühen Samstagabend. © picture alliance/dpa

Doch auch das KVR, das das Sicherheitskonzept genehmigt, bleibt am Montag auf Anfrage recht vage. Nach Einberufung des Koordinierungskreises - in dem unter anderem auch MVG und Polizei beteiligt sind - sei "die Lage auf dem Festgelände am Samstag gemeinsam besprochen und Maßnahmen beschlossen" worden, heißt es lediglich. "Die Analyse, wie das Sicherheitskonzept umgesetzt wurde und wie es zu dieser Situation kommen konnte, ist noch nicht abgeschlossen."

Am Mittag meldet sich dann doch noch der Oberbürgermeister öffentlich zur Wiesn zu Wort. Auf Instagram postet Dieter Reiter ein Video, wie er auf der Theresienwiese Geisterbahn fährt. Eine "Mordsgaudi" sei das gewesen. Zum Gedränge und seinen Folgen: weiter kein Wort.

Spätestens am Mittwoch dürfte es im Stadtrat dann ernster zugehen - wenn es um Konsequenzen aus dem Chaos-Samstag auf der Wiesn geht. Und die unangenehme Frage, warum keiner all die unangenehmen Fragen beantworten mag.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
  • Mobilist vor 4 Stunden / Bewertung:

    Für die Sicherheit auf der Wiesn ist deren Chef, Herr Scharpf, zuständig. Frau Samüllers KVR hat das mehrstufige Sicherheitskonzept, das sich nicht von dem der letzten Jahre unterschied, genehmigt. Dass gleich mit der letzten Stufe begonnen wurde - dafür trägt der Chef der Wiesn die Verantwortung.

    Antworten lädt ... Kommentar melden
  • Peterauslaim vor 5 Stunden / Bewertung:

    Ich habe einige Kollegen, die am Samstag auf der Wiesn arbeiteten. Unisono alle der Meinung, dass sehr schlimmes hätte passieren können. Und auch die Kommentare auf der Oktoberfest-Seite auf Instagramm ( die kurioser Weise schnell gelöscht wurde) sagten ganz was anderes aus, als von der Leitung behauptet wurde. Doch unser netter Herr Oberbürgermeister hat nichts anderes zu posten, dass er viel Spaß hatte. Schamlos

    Antworten lädt ... Kommentar melden
  • GrauWolf vor 5 Stunden / Bewertung:

    Ja das KVR ist nach eigenen Angaben mit 240 Mitarbeitenden und Mitarbeiter*Innen ständig auf der Wiesn präsent und sorgt da für Sicherheit und Ordnung. Offensichtlich funktioniert das trotz dieses enormen Personslaufwandes nicht.
    Die Führung des KVR insbesondere Frau Sammüller erscheint da deutlich überfordert und sollte unverzüglich abgelöst werden.

    Antworten lädt ... Kommentar melden
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.