Die Kunst der Reduktion

Das Ruffini ist das Refugium für Menschen, die helles Licht lieber mögen als Kerzenschein. Jetzt feiert das Kollektiv sein 33-jähriges Bestehen in der Freiheizhalle. Ein Stammgast gratuliert
Arno Makowsky |
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Ein Bild aus Anfangszeiten: Damals trugen Ruffini-Frauen noch henna-gefärbte Haare, Aushänge warben für Baum-Umarmen.
ho Ein Bild aus Anfangszeiten: Damals trugen Ruffini-Frauen noch henna-gefärbte Haare, Aushänge warben für Baum-Umarmen.

 Das Ruffini ist das Refugium für Menschen, die helles Licht lieber mögen als Kerzenschein. Jetzt feiert das Kollektiv sein 33-jähriges Bestehen in der Freiheizhalle. Ein Stammgast gratuliert

33 Jahre sind eine lange Zeit, normalerweise. Mit 17 ist man jung, mit 50 nicht mehr, aber was heißt das schon? Manches bleibt so wie es immer war, und das ist auch gut so, weil jeder Mensch ein paar Konstanten in seinem Leben braucht. Das Ruffini zum Beispiel, ein Lokal in Neuhausen, das als „Café“ firmiert, viel mehr aber ein Restaurant ist und in Wahrheit ein Raumschiff aus einer anderen Zeit.

Das Ruffini ist mein Lieblingslokal, ich gehe jede Woche dorthin, seit 33 Jahren. Was an diesem Lokal so besonders ist? Nun, anders als die meisten Restaurants und Cafés bezieht das Ruffini sein Flair nicht daraus, was es zu bieten hat, sondern daraus, was es dort nicht gibt. Es ist die Kunst der Reduktion, die alle Stammgäste lieben und die sie stillschweigend zu einer eingeschworenen Ruffini-Gemeinde verbindet.

Es gibt dort: keine Kerzen und Blumengestecke auf den Tischen, keine Hintergrundmusik, kein romantisches Licht, null Kuschelkissen mit Asien-Motiven und keinen Salat mit Putenstreifen. Stattdessen: helle Beleuchtung, bei der man Zeitung oder sogar Bücher lesen kann, keine Musikberieselung, dafür wechselnde Kunstwerke an den Wänden, die nicht weiter stören. So muss das sein.

Mit dem Handy telefonieren darf man übrigens nicht, da entwickeln die Ruffinis eine angenehme Intoleranz gegenüber Schwätzern, Wichtigtuern und Porsche-Cayenne-Fahrern. Aber von denen kommen eh nicht so viele, weil es ihre Begleitungen lieber kuschelig mögen.

Nun ist es keineswegs so, dass im Ruffini alles komplett so geblieben wäre, wie es immer war. Nur fast alles. So stand in den ersten Jahren auf der Speisekarte die Warnung, hier werde von „wohlmeinenden Amateuren“ gekocht. Es schmeckte trotzdem enorm italienisch und irgendwie anders als in allen anderen Lokalen. So wie das Ruffini ganz grundsätzlich als „alternativ“ galt, mit total einfühlsamen Kellnern („probier heut mal die Polenta“) und einer Zettelwand im Eingang, auf der für gemeinsames Gebärmutteratmen und Baum-Umarmen geworben wurde. Das ist eigentlich alles bis heute so. Nur das Essen schmeckt besser.

Ehrlich gesagt haben sich auch die Gäste nicht besonders verändert, was zum Teil daran liegt, dass es immer noch die gleichen sind wie früher. So wie ein Ehepaar, von dem ich jahrelang dachte, des sei taubstumm, weil die beiden immer Zeitung lasen und nie ein Wort wechselten. Sie sahen ungefähr so aus, wie man sich Sartre und Simone de Beauvoir vorstellt, wenn die zusammen im Café saßen, nur ohne Reden. Bis der Mann zum ersten Mal dann doch etwas sagte: „Gib ma amoi de Siddeitsche rüber...“

An Nachmittagen, wenn die Architekten und Designer gerade gegangen sind, wird das Ruffini überschwemmt von jungen Müttern und ihren Kleinkindern. Sie tragen orangefarbene Pashmina-Schals, die Babys heißen grundsätzlich Philipp, Adrian und Marie-Luise. Früher hatten die Ruffini-Frauen henna-gefärbte Haare und rochen nach Patschuli. Ein Lebensstil, den auch in den achtziger Jahren nicht alle goutierten. Meine Lieblings-Inschrift auf dem Männerklo lautete damals: „O Gott, sie strickt beruflich!“

Bis heute wird das Ruffini von dem berühmten Kollektiv geführt. Das gibt den Gästen seit jeher ein irgendwie gutes antikapitalistisches Grundgefühl. Und man ahnt, dass die phantastischen Croissants und Lebkuchen aus der selbstverwalteten Bäckerei damit zusammenhängen. Schon deshalb muss das unbedingt immer so bleiben. Auch wenn am Wochenende die Schlange vor dem Laden 20 Meter lang ist, und man im Winter gottserbärmlich schlottert, während man auf den Schokoladenkuchen wartet.

Ja, die Kuchenvitrine und die Sommerterrasse und die Zeitungen und die mit Kreide beschriebene Türe und die Spaghetti mit Artischockenpesto – das sind die unverzichtbaren Zutaten zu unserem Ruffinileben. Meinetwegen kann es immer so weiter gehen, mindestens noch 33 Jahre lang. 


Orffstraße 22-24, Di. bis So. 10 – 24 Uhr, www.ruffini.de, Tel.: 16 11 60

Das Ruffini feiert sein 33-Jähriges diesen Sonntag, 27.11.2011, ab 18 Uhr in der Freiheizhalle, Rainer-Werner-Fassbinder-Platz 1. Der Eintritt ist frei.

 

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