Ein Tag bei der Münchner Tafel: Auf Tour mit Walter
München - 7 Uhr morgens in München. Während die Stadt langsam erwacht, herrscht auf dem Gelände der Großmarkthalle bereits Hochbetrieb. Gabelstapler, mit Dutzenden Paletten und Kisten beladen, flitzen über das Areal. Transporter bahnen sich im Slalom ihren Weg durch das Gewimmel aus Menschen, die aufeinandergestapelte Kartons umherjonglieren. Riesige Lastwagen schieben sich langsam an Hubwagen, Radlern und kleinen Autos vorbei.
Im hintersten Teil des riesigen Geländes befindet sich der Bereich der Münchner Tafel. Hier, am Käfig, wie der Platz von den Mitarbeitern intern genannt wird, treffen sich täglich die Fahrer und Beifahrer in der Früh. Sie sind es, die das Essen an Supermärkten, Bäckereien und weiteren Stellen sortieren und einsammeln, um es dann später an einer der insgesamt 27 Ausgabestellen in München abzugeben.
Nach und nach trudeln die Fahrer am Käfig ein. Fast alle sind Männer, die Frauen helfen größtenteils bei den Ausgabestellen als Verteilerinnen. Die Gruppe ist bunt durchgemischt – so hilft beispielsweise ein Pilot mit oder ein IT-Spezialist, der die einmonatige Zeit bis zu seinem neuen Job mit "etwas Sinnvollem" überbrücken möchte. Der Umgang untereinander erinnert an den Stammtisch, ist teilweise ruppig, aber immer freundschaftlich, die Laune trotz der frühen Stunde mehr als gut. Die Fahrer machen Späße untereinander – ein derber Spruch folgt auf den nächsten.

Unterwegs mit Walter und Brenda
Jedes Team besteht normalerweise aus einem Fahrer und einem Beifahrer. Nachdem der Disponent die Routenpläne austeilt, verteilen sich die Mitarbeiter auf die insgesamt 18 Transporter, die mittlerweile zur Tafel-Flotte gehören.
Ein Fahrer ist Walter: Der 57-Jährige ist einer von rund 50 Mitarbeitern, die festangestellt und in Vollzeit bei der Tafel arbeiten. Im Verhältnis dazu stehen etwa 700 ehrenamtliche Helfer. Walter, groß und breit gebaut, mit schulterlangen Haaren, ist ein Münchner Original, ein echter Typ. Schickimicki-Attitüde sucht man bei ihm vergebens. So wird das kaputte, graue Brillengestell von Walter von mehreren Streifen Tesafilm zusammengehalten.
Der 57-Jährige ist gelernter Fernmeldetechniker. Nach einem schweren Schicksalsschlag war er für mehrere Jahre arbeitslos. Weit über 400 Bewerbungen hat er laut eigener Aussage in etwa fünf Jahren geschrieben. Schließlich vermittelte ihm das Jobcenter eine Arbeitsgelegenheit-Stelle (AGH) bei der Münchner Tafel – nach zwei Jahren übernahmen sie ihn dann fest. Dass aus der 40-Stunden-Woche "auch mal schnell eine 50-Stunden-Woche werden" könne, ist für Walter nicht schlimm. Er ist zufrieden mit seinem festen Job bei der Tafel.

Die gerade aktuellen Themen der Stadt beschäftigen auch Walter: Als der Transporter auf der Schwanthalerhöhe fährt, zeigt er auf ein Haus auf der rechten Seite. "Hier bin ich vor 57 Jahren auf die Welt gekommen – aber wieso werden hier jetzt auf 300 Metern zwei bis drei Hotels gebaut? München braucht mehr Wohnungen!"
Auf seiner Tour begleitet ihn Brenda. Die 36-jährige Peruanerin leistet seit acht Monaten ihren Bundesfreiwilligendienst (BFD) bei der Münchner Tafel ab. Heute hat sie ihren vorletzten Tag – danach macht sie eine Ausbildung bei McDonald's, währenddessen lernt sie in der Schule weiterhin Deutsch.

Die Tour führt einmal quer durch die Stadt
Die kleine, stille Südamerikanerin auf dem Beifahrersitz und Walter, der schnörkellose und direkte Münchner, hinterm Steuer – eine ungewöhnliche, aber durchaus sympathische Kombination, die sich um 7.30 Uhr von der Großmarkthalle aus auf den Weg macht. Vom Schlachthofviertel übers Westend und die Donnersbergerbrücke nach Neuhausen auf die vielbefahrene Nymphenburger Straße, bis hinein ins Univiertel in der Maxvorstadt mit ihren Einbahnstraßen – die Route führt die beiden einmal quer durch die Stadt. Ziel der Tour ist heute die Vaterunserkirche in Oberföhring, wo die Ausgabe für rund 300 hilfsbedürftige Personen stattfindet.
Nach und nach klappern die beiden Aldi-, Rewe- und Lidl-Filialen ab. Das Prozedere ist fast immer gleich: Walter und Brenda waren schon öfter miteinander unterwegs, die Abläufe wirken routiniert und eingespielt. Während Walter mit dem Transporter zum Lieferanteneingang fährt, läuft Brenda in den Laden. Ein einfaches "Tafel" reicht und die Mitarbeiter wissen Bescheid. Durch Rolltore und kleine Gänge geht es ins Lager, wo die Kisten mit den Lebensmitteln bereits warten.

"Sind nicht die Entsorgungsstation für die Supermärkte"
120 Tonnen sammeln die Tafel-Fahrer Woche für Woche ein. Dabei nehmen sie nicht mal alles mit, was die Supermärkte ihnen hinstellen. Verschimmelte oder anderweitig verdorbene Lebensmittel werden von Anfang an aussortiert, auch das Mindesthaltbarkeitsdatum müssen die Helfer beachten. In die blauen Kisten, die Walter später im Transporter verstaut, kommen nur einwandfreie Lebensmittel. "Wir nehmen nur mit, was man selbst auch noch essen würde. Wir sind ja nicht die Entsorgungsstation für die Supermärkte", erklärt der 57-Jährige.
So landen lange Lauchstangen, Frühlingszwiebeln, Suppengrün und pralle Auberginen in der einen Kiste. Bananenstauden, Schalen voller Erd- und Himbeeren, Paletten mit Zwetschgen und sogar Melonen und Ananas in der anderen. Nach und nach füllen sich die 90 anfangs leeren Behälter, die Walter und Brenda vom Käfig aus mitgenommen haben.
Hin und wieder ist bei der Abholung auch etwas Besonderes dabei: Neben Kartoffelsalatgewürz und weißer Schokolade mit Champagner-Füllung hat ein anderer Supermarkt Dutzende Töpfe bunter Chrysanthemen übrig – die beiden packen vier Kisten mit gelben, weißen und lilanen Blumen. "Lebensmittel sind wichtiger als Blumen", sagt Walter zunächst, ehe er sich schließlich doch noch von Brenda erweichen lässt und zwei weitere Blumen-Kisten packt.
Dass die mitgenommene Schokolade Alkohol enthält, ist ein Problem, denn Alkohol oder alkoholhaltige Lebensmittel dürfen die Helfer nicht an die Tafel-Gäste ausgeben. Doch in der Hektik kann man das schonmal übersehen. Die Champagner-Schokolade landet deswegen am Ende nicht in Oberföhring, sondern bei Brenda auf dem Beifahrersitz, die während der Fahrt die ein oder andere Praline nascht.

Heute auf der Speisekarte: Bifteki
Kurz vor dem Ende der rund vierstündigen Tour stapeln sich die Kisten bis unter die Decke des Wagens. Absolut erfolgreich war die Tour für Walter dennoch nicht. Denn gleich vier der zwölf Supermärkte hatten überhaupt kein Essen abzugeben. "Bei einigen Läden weiß man eigentlich schon vorher, dass sie wenig oder gar nichts haben werden", erklärt er.
Die letzte Station vor der Ausgabestelle ist das Bayernbankett in der Brienner Straße. Das Gastronomie-Unternehmen beliefert die Tafel täglich mit warmen Essen. Heute auf der Speisekarte: Bifteki mit gewürzten Kartoffeln. In der Tiefgarage wuchten Walter und Brenda zwei große Wärmebehälter voller Essen in den Transporter.

In Oberföhring angekommen, ist die Schicht für Walter und Brenda noch nicht zu Ende. Die Helfer, die das Essen später verteilen, warten an ihrer Station auf die Kisten. Alles hat seine Ordnung: Erst kommt das Gemüse, dann das Obst, anschließend Backwaren und Molkereiprodukte. Das warme Essen teilen die Tafel-Helfer an einer separaten Stelle aus.
Doch auch danach haben die beiden noch immer nicht Feierabend. Erst wenn alle Kisten leer sind, können sie sie wieder einpacken – danach geht es zurück in die Großmarkthalle. Die Dutzenden Boxen müssen gereinigt werden. Weil Walter jetzt schon klar ist: Auch morgen wird er wieder um 7 Uhr am Käfig stehen und seine Tour durch München machen – dann ein letztes Mal mit Brenda.
Spenden für die Münchner Tafel: IBAN DE 3770 0202 7068 5019 3310
Prostspenden: Besondere Aktion zur Wiesn
Während des Oktoberfests gibt es eine besondere Spendenaktion: "Prostspenden" ermuntert die Besucher während der Wiesn pro getrunkener Maß Bier einen Euro an die Münchner Tafel zu spenden. Alle Spenden kommen zu 100 Prozent der Tafel zugute. 2018 hat Kabarettistin Liesl Weapon zusammen mit Angela Zacher die Aktion ins Leben gerufen. Im ersten Jahr konnten sie so insgesamt über 50.000 Euro für die Münchner Tafel sammeln.
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