Die Not wird normaler

Schwester Monika Plank leitet sein 20 Jahren die katholische Bahnhofsmission. Ein Gespräch über die Situation der Menschen die sie betreut, ihre Freuden und Nöte und ihrem Berufswunsch als Kind.
Seit 1988 leitet Schwester Monika Plank die katholische Bahnhofsmission im Hauptbahnhof. Mit fünf Angestellten, zwei Zivis und 80 Ehrenamtlichen kümmert sie sich um die Menschen, die das Leben bei ihnen anspült – Verzweifelte, Obdachlose, Prostituierte. Die 67-jährige, gebürtige Linzerin gehört dem Orden Caritas Socialis an, deren Mitglieder keine Tracht tragen. Ein Besuch am Gleis 11.
Nach 20 Jahren in der Bahnhofsmission wechseln Sie zu St. Bonifaz – Sie kümmern sich also weiter um Obdachlose
In die Bahnhofsmission kommen ja eher Leute, die in Unterkünften wohnen. Nach St.Bonifaz die, die wegen der Hausordnung nicht mehr in den Bahnhof dürfen – manche kenne ich seit 20 Jahren und ich freue mich, wieder für sie dasein zu dürfen. Im Bahnhof haben wir es mit mehrfach Gestrandeten zu tun, die Job und Sozialkontakte verloren haben. Es kommt ein Sucht- oder psychisches Problem dazu, sie können die Wohnung nicht mehr bezahlen – und dann geht alles ganz schnell. Aber wir helfen auch 1. Klasse-Reisenden, die bestohlen wurden und Geld zum Telefonieren brauchen.
Welche Veränderungen haben Sie beobachtet?
In letzter Zeit kommen auffallend viele jüngere Leute hierher, die arbeits- und obdachlos sind. Und es bitten mehr Menschen um Hilfe, denen man äußerlich überhaupt nicht ansieht, dass sie Probleme haben.
Woran liegt das?
Hartz IV hat die Situation verschärft. Es trifft mehr Leute, die aus dem Vollen geschöpft haben. Sie wissen nicht mehr, wie sie ihre Familie ernähren sollen. Wir springen mit Spenden für Dinge ein, die früher der Staat übernommen hat: Medikamente, Passfotos. Und wir vermitteln sie an die Stellen, die ihnen helfen können.
Sind das auch die Probleme der jungen Leute, die hierher kommen?
In letzter Zeit kommen immer mehr, die aus Drückerkolonnen geflohen sind oder Zwangsprostitutierte waren. Die Ausbeutung blüht. Sie stranden bei uns völlig mittellos, ohne Papiere, manchmal bringen Passanten jemanden hier rein. Viele sprechen auch kein Deutsch, weil sie aus Rumänien, Bulgarien oder von weiter her kommen.
Was tun Sie dann?
Erst gestern kam eine Frau mit einem dreijährigen Kind, wir haben ihr Geld für die Rückreise nach Sofia gegeben und die Fahrkarte bezahlt. Gottlob haben wir viele Ehrenamtliche, die am Telefon dolmetschen. Die Betroffenen können häufig zum ersten Mal jemanden in der eigenen Sprache erzählen, was ihnen passiert ist. Dass ihnen die Papiere abgenommen wurden. Dass sie geschlagen wurden.
Wann ist sehr viel los hier?
Abends und Nachts kommen Menschen mit Psychosen oder Schizophrenie. Denn nachts kommt die Angst. Auch Frauen, die vor ihrem prügelnden Partner fliehen, kommen in der Nacht. Im Jahresverlauf ist Weihnachten der Höhepunkt, generell bricht vor Feiertagen Panik aus. Auch ab Monatsmitte kommen mehr Leute – dann geht das Geld zur Neige und wir geben mehr Tee und Margarinebrote aus.
Müssen Sie auch mal jemanden wegschicken?
Nein, das ist ja das Besondere hier. Viele Leute kommen mehrmals am Tag, wir geben rund 300 Portionen Tee und Brot am Tag aus, es finden 40 bis 50 Vermittlungen und Einzelgespäche statt. Aber es gibt sehr anspruchsvolle Leute, besonders zur Wiesn. Sie sind betrunken, haben kein Geld mehr und wir sollen die Fahrkarte bezahlen. Wir nehmen in der Regel erst Kontakt mit den Angehörigen auf – dann hat man eine zornige Ehefrau am Telefon und einen aggressiven Miesbacher vor sich.
Sie können nicht bei jedem Schicksal mitleiden, aber was macht Sie richtig traurig?
Wenn ich sehe, dass geschlagene Frauen zu ihrem Schläger zurückgehen – und ein nächstes Mal wieder bei uns landen.
Und worüber freuen Sie sich?
Am schönsten ist es, wenn mich jemand grüßt und mir im ersten Moment der Namen nicht einfällt – weil sich der Mensch so positiv verändert hat. Ich habe Leute erlebt, die haben das Ruder rumgerissen.
Alkoholiker, die trocken geworden sind. Psychisch Kranke, die sich behandeln ließen und man merkt fast nichts mehr. Wenn sich etwas so positiv entwickelt, ist es wie ein Wunder für mich. Es kommt auch vor, dass sich jemand mit einen Blumenstrauß bedankt für eine Hilfe, die er vor Jahren von uns erhielt. So ein Dank hat schon ganz was Besonderes und gibt uns neue Kraft für die Arbeit.
Und worüber können Sie sich richtig ärgern?
Wenn abfällig über Obdachlose gesprochen wird, im Sinne von ,Die sollen doch nur arbeiten!’ Oder das bewusste Wegschauen. Keiner denkt, wie schnell es wirklich jedem passieren kann.
Von welchem Beruf haben Sie als Kind geträumt?
Ich wollte Kindergärtnerin werden! Mit 18 habe ich dann in Wien die Ordensgemeinschaft Caritas Socialis kennengelernt, mit einer Armenspeisung. Mich hat fasziniert, wie liebevoll man mit den Leuten dort umging. Es hat beigetragen für den Entschluss, in den Orden einzutreten und ich habe dort die Ausbildung zur Sozialarbeit mit Familienhilfe gemacht. Meine Großmutter wollte schon Ordensschwester werden – das hat mich nur bestätigt.
Interview: K. Rieger