Die Möchtegern-Models
MÜNCHEN - Zickenkrieg auf dem WC und stundenlanges Warten für 180 Sekunden: „Germany’s Next Topmodel“ sucht neue Gesichter. Die AZ hat eine Reporterin als Kandidatin eingeschleust
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Damit wirbt Supermodel und Werbeikone Heidi Klum für die sechste Staffel von „Germany’s next Topmodel“ und verspricht die ganz große Karriere. Ganz Deutschland scheint derzeit ja eine einzige Casting-Show zu sein. Diesen Samstag sucht Dieter Bohlen zum Beispiel das Supertalent. Klums Auslese beginnt für den Fernsehzuschauer zwar erst im Januar, doch schon jetzt wird entschieden, wer dabei ist. Für die AZ habe ich den Teil getestet, den kein Außenstehender jemals zu sehen bekommt. Das Casting in München.
Die Ifflandstraße ist zugeparkt. Autos stehen auf dem Gehweg. Das Hilton- Park- Hotel: von Taxen umzingelt. Auf dem Weg werde ich schon von anderen Bewerberinnen von oben bis unten gemustert, am Eingang gleich überfallen. „Brauchst du noch einen Energiekick?“, fragt mich eine Promoterin, während sie mir ein Red Bull in die Hand drückt. Selbstverständlich die zuckerfreie Variante.
Eine andere: „Wir sind von der Konkurrenz. Wenn’s hier nicht klappt, komm zu uns“, sagt sie – und gibt mir einen Flyer von „viviénne model“.
Um 14 Uhr endlich im Hilton angekommen, stehen hunderte Mädchen mit Freunden, Eltern und Geschwistern in der Eingangshalle und sollen eine Reihe bilden. Erst weiß man nicht, wo vorne und wo hinten ist.
Alle haben weiße Zettel in den Händen. Ich bekomme auch einen und muss Name, Adresse, Telefonnummer angeben. Außerdem soll ich unterschreiben, dass ich im Fernsehen gezeigt werden darf. Nicht nur bei „Germany’s Next Topmodel“, sondern auch bei Sendungen wie „taff“ und „red“.
Auf der Mädchen-Toilette geht es zu wie im Zirkus. Es wird gepudert, gebürstet und getratscht. Hektisch wird das Schminktäschen in die Handtasche gestopft und die Pflaster auf die Fersen geklebt. Mit Trippelschritten laufen die Bewerberinnen auf High Heels quer durchs Hilton zurück zur Schlange. Verzweifelt gesucht: das Gleichgewicht.
Als ich das Ende der Schlange gefunden habe, reihe ich mich ein, während hinter mir schon das Spektakel losgeht: „Du bist zu klein!“, sagt der sportliche Mann, der die Zettel verteilt. „Aber ich kann es doch trotzdem versuchen“, entgegnet das vielleicht 1,60 Meter große Mädchen mit Tränen in den Augen. Sie muss sich an die Wand stellen und messen lassen. Aber sie hat keine Chance, bekommt keinen der begehrten Zettel, den man zur Anmeldung braucht.
Wer teilnehmen will, muss über 1,72 Meter groß und mindestens 16 sein. Unter 18 braucht man eine Einverständniserklärung der Eltern.
Um 14.30 Uhr beginnt das nervige Warten. Die unterschiedlichsten Mädchen schieben sich Zentimeter für Zentimeter voran mit dem Ziel, die Anmeldung zu erreichen und sich auf einen der 20 Stühle vor der Tür zu setzten, um als nächste dran zu sein. Und so lassen die Zickereien auch nicht auf sich warten. Es wird gelästert, was das Zeug hält: „Schau dir die mal an!“, ätzt ein Mädchen. „Die braucht nicht glauben, dass sie weiterkommt – mit der Figur!“
„Wir haben seit Sonntag nachmittag nichts mehr getrunken, um nicht aufgeschwemmt auszusehen“, sagen zwei 16-jährige Mädchen, die wollen, dass ich mich zu ihnen stelle, da ich alleine da bin. „Ich war schon in Stuttgart. Letztes Jahr auch. Jetzt probier ich es wieder. Wenn es wieder nicht klappt, komm ich nächstes Jahr nochmal. Dann muss ich eben noch mehr abnehmen“, sagt ein Mädchen mit Kleidergröße 34. Andere wiederum nehmen es ganz locker: „Dabei sein ist Alles“.
Dann geht die Tür auf und drei Mädchen rennen schreiend zu ihrer Freundin, die offensichtlich weiter ist. Mindestens zwei Minuten hüpfen sie kreischend auf und ab.
Ein paar Meter weiter liegt ein Mädchen in den Armen ihres Freundes, der sie tröstet: „Versuch es nächstes Jahr nochmal! Für mich bist du eh die Schönste!“
Zwei Stunden später bin ich an der Anmeldung angekommen, mein Ausweis wird verlangt. Ich bin die hundertneunzigste Bewerberin. Bis 20 Uhr kann man es noch versuchen. Einen kleinen Zettel mit der Aufschrift „26190“ muss ich mir links oben aufs T-Shirt kleben und darf mich endlich auf einen der Stühle setzen.
Die Tür geht auf. Die Mädchen auf den Stühlen vor unserer Gruppe sind dran. Wir rutschen weiter. Schnell werden noch die Boots durch zehn- Zentimeter mörderische Pumps getauscht. Ein Coach erklärt uns, was wir machen müssen. Es gebe nur eine einzige Chance.
Schnell werden untereinander noch die Maße der Anderen gecheckt: „Wie groß bist du?“- „1,78“ „Ok, ich bin 1,79“. Ich fühle mich mit meinen 1,73 Meter richtig klein.
Endlich betreten wir zu zehnt den Raum. Keine Spur von Heidi oder sonstigen Jury-Mitgliedern. Nur ein unbekannter Modelscout steht vor einer Linie, hinter ihm sitzen vier gelangweilte Leute vom Casting-Team, die uns keines Blickes würdigen.
Wir müssen uns entlang der weißen Linie aufstellen und sagen nacheinander unsere Vornamen. Jeweils fünf von uns sollen sich umdrehen und vor- und zurück laufen, die Nummern auf dem Oberkörper klebend. Dann die anderen fünf. Jede Musterung bei der Bundeswehr wäre im Vergleich dazu warmherzig.
Wunderhübsche und große Mädchen sind in meiner Gruppe, aber der Scout fragt ausgerechnet eine Bewerberin, die von Kleidungsstil und Make-Up-Dicke her eher an die Hansastraße als an Hilton erinnert: „Du! Woher kommst du? Wie alt bist du? Nochmal laufen!“ Sie läuft nochmal vor und zurück. „Stell dich bitte hier hin!“ Alle anderen müssen wieder raus. „Der kann doch nicht innerhalb von 180 Sekunden sehen, wer das Zeug zum Model hat“, lästert ein enttäuschtes Mädchen. Die Auserwählte wird vermessen, fotografiert und darf zu einem kurzen Videodreh in den ersten Stock.
Das Material wird später Heidi vorgelegt. Wer ihr besonders gut gefällt, darf in die Show und neuerdings so genannte „Challenges“ bestehen, sich etwa mit toten Tintenfischen belegen lassen.
Nach drei Stunden Casting weiß ich jetzt immerhin, dass 1,73 Meter für das Modelbusiness zu klein sind – und woher die Redensart vom schönen Schein kommt.
Anja Höbel
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