Denkmalgeschütze Bauten in Schwabing: Unsere Häuser saufen ab

München - "An jedem Morgen gehe ich in der Tiefgarage kneippen", sagt Franziska von Gagern, um das Beste aus der Situation zu machen. Denn parken will hier eh keiner mehr. 30 Zentimeter steht das Wasser unter ihrem Haus, eiskalt, glasklar. Sie lässt die Flut seit Jahren auf eigene Rechnung abpumpen, damit es nicht noch höher steigt.

Das kostet. "Wer Wasser in das Abwassersystem leitet, zahlt 1,56 Euro pro Kubikmeter, auch wenn es sauberes Grundwasser ist", sagt von Gagern. 90.000 Euro musste die Hausgemeinschaft mittlerweile an die Münchner Stadtentwässerung (MSE) bezahlen. Eine Nachzahlung von 60.000 Euro für 2019 steht an. Ob das Geld wieder erstattet wird, ist unklar.
Schwabing: Seit 2015 dringt Wasser in denkmalgeschütztes Haus
Die Fotografin wohnt mit ihren zwei Kindern und ihrem Ehemann an der Genter Straße, im Schwabinger Norden, nicht weit vom Kleinhesseloher See. Seit 1975, von Kindesbeinen an, lebt sie hier. Doch was sie seit fünf Jahren erlebt, ist ihr völlig neu. "Vor 2015 hatten wir kein einziges Mal so hohes Wasser im Haus, nirgends", sagt sie.

Seit 2015 dringt also Wasser in das denkmalgeschützte Haus, das 1971 vom preisgekrönten Milbertshofer Architekten Otto Steidle gebaut wurde (siehe unten). Im Keller sammelte sich zuerst das Wasser. Da machte sich von Gagern noch keine allzu großen Sorgen. Doch auch nach fünf Jahren und unzähligen Telefonaten mit der Stadtverwaltung bleibt die Lage gleich. Die Stadt scheint sie im Stich zu lassen. Vor allem die MSE weist offenbar jede Schuld von sich.
Den Keller hat von Gagern auf eigene Kosten abdichten lassen, mit sogenanntem Sperrmörtel zwischen Wand und Betonboden. "Das hat recht gut funktioniert", sagt von Gagern, "aber in der Tiefgarage ist das nicht möglich." Das alte Schwimmbad ist ebenfalls geflutet.
"Man traut sich nicht, für ein paar Stunden oder einen Tag wegzufahren"
Auch der Denkmalschutz ist alarmiert. Dessen Oberkonservator machte sich bereits ein eigenes Bild von der Lage und schrieb: "Insbesondere in denjenigen Bereichen des Betons, die dauerhaft durchfeuchtet", gebe es ein erhöhtes Risiko für gravierende Schäden am Mauerwerk. Um Schäden abzuwenden, müsse man daher schnellstmöglich die Kellerebene trocken legen.

Doch die Angelegenheit nimmt eine neue Dynamik auf. Der Bezirksausschuss Schwabing-Freimann hat sich eingeschaltet. Denn seit Anfang des Jahres ist nicht nur die Genter Straße 13 betroffen. 40 weitere Haushalte in der Nähe melden Wassereinbruch, an der Osterwaldstraße, Schwedenstraße, Imhofstraße, am Etschweg, Beltweg, Maasweg sowie an der Wilhelm-Ostwald-Straße.
Auch in diesen Häusern begann es mit ein wenig Wasser im Keller. Es wurde irgendwann mehr. Einige Bewohner haben sich bei von Gagern Rat geholt und ließen ihre Keller auch mit Sperrmörtel abdichten. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Doch die Angst bleibt. "Man traut sich nicht, für ein paar Stunden oder für einen Tag wegzufahren", sagte eine der Anwohnerinnen.
Angst vor Kellerflut: Syberberg lagert Filme nun in Berliner Museum
Ein prominentes Beispiel ist das Haus des Filmemachers Hans-Jürgen Syberberg. Auch sein Keller wird seit Wochen feucht. Er sorgt sich um sein künstlerisches Vermächtnis. Filme, Plakate, Requisiten, ein Schneidetisch: Syberbergs Ehefrau Helga erzählt: "Sein ganzes Lebenswerk lagert im Keller."
Mittlerweile hat Syberberg die Hälfte der Filme an ein Berliner Filmmuseum übergeben, aus Sorge, sie könnten einer Kellerflut zum Opfer fallen. Helga Syberberg prüft täglich, ob nicht irgendwo wieder Wasser eindringt. "Ich habe Angst, in den Keller zu gehen", sagt sie. Die Gründe für den Wassereinbruch sind unklar. Ursachenforschung wolle man nun betreiben, sagt die Stadt. Auf AZ-Anfrage schreibt das Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU): "... folgende Faktoren sind zu prüfen: Grundwasserdüker, Abdichtung von Abwasserkanälen, Sanierung des Kleinhesseloher Sees, Einschalung des Bachs Schwarze Lacke, Verdichtung durch Bebauung."
Doch diese Hilfsbereitschaft ist relativ neu und dürfte mit der steigenden Zahl der Betroffenen zu tun haben. Als Franziska von Gagern noch alleine mit dem Problem kämpfte, empfahl ihr das RGU, Brunnen bauen zu lassen, um den Grundwasserpegel zu senken – auf ihre eigenen Kosten: etwa 110.000 Euro pro Brunnen.
Auch die zuständige MSE war lange Zeit nicht hilfreich. Mehrere Anwohner berichten, dass sie bei einem Telefonat diesen Satz hörten: "Selber schuld, wenn Sie in der Isar-Schotterebene bauen lassen."
Denkmalamt alarmiert: Sorge vor gravierenden Schäden am Gemäuer
Das Haus an der Genter Straße 13 wurde von dem bekannten Milbertshofer Architekten und Hochschullehrer Otto Steidle (1943 – 2004) gebaut. Seit 2010 ist das Gebäude ein Münchner Baudenkmal, auch wenn es für Laien rein äußerlich wie ein beliebiger 70er-Jahre-Bau wirken könnte.

Das Landesamt für Denkmalpflege (LfD) hebt die große Besonderheit der Architektur hervor. Das Haus sei eines der bedeutendsten Wohnbauten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Bayern. Die Anlage genieße nationale wie internationale Aufmerksamkeit. Sie sei höchst anerkannt als architektonische sowie gesellschaftsreformerische Leistung.
Beim LfD herrscht große Sorge, nachdem sich Fachleute Ende Juni ein aktuelles Bild der Lage gemacht haben. Der hohe Wasserstand könne sich nachteilig auf die Dauerhaftigkeit des Gebäudes auswirken. Akute Schäden seien derzeit zwar noch nicht festzustellen. Aber man habe Sorge vor gravierenden Schäden am Gemäuer und empfehle eine rasche Aufklärung der Ursachen des erhöhten Wasserstands.
Otto Steidle hat hauptsächlich deutschlandweit viele weitere Gebäude entworfen. Aus seiner Feder stammen Häuser wie das Verlagsgebäude von Gruner und Jahr in Hamburg, die Universität in Ulm, die St. Michael-Kirche Rosenheim sowie die Siedlung Wienerberggründe in Wien.
Leck im Kleinhesseloher See: Grund für hohen Grundwasserpegel
Bei der Ursachenforschung für den hohen Grundwasserpegel rund um die Genter Straße ist auch der Kleinhesseloher See schnell unter Verdacht geraten, der südlich des Wohnviertels liegt. Der See wurde ab dem 27. April neu befüllt. Die Zahl der Häuser, in deren Keller Wasser eindrang, stieg zwischen 10. und 15. Juni stark an.

Vermutet wird, dass ein nachgewiesenes Leck für unterirdische Wassermassen gesorgt haben könnte, die spätestens zwischen 28. April und Mitte Juni nach Norden drängten und so den Grundwasserpegel ansteigen ließen. Von Süd nach Nord fließen schließlich alle Gewässer Münchens, wie auch der Schwabinger Bach oder die Schwarze Lacke rund um das betroffene Wohnviertel.
Das Referat für Umwelt und Gesundheit schreibt auf AZ-Anfrage: "Es wurde festgestellt, dass der See im nordöstlichen Bereich Undichtigkeiten aufwies. Um dies zu beheben, wurde Mitte Mai 2020 eine Dichtmasse (Bentonit) eingebracht. Der Erfolg der Maßnahme wird aktuell geprüft." Die Maßnahme sei durch ein Fachbüro begleitet worden.
Zuvor war das Wasser des 1803 künstlich angelegten Sees im Winter abgepumpt worden, um nach 36 Jahren den verschlammten Grund wieder auszuschaufeln. So sollte vermieden werden, dass der See langfristig kippt. Etwa einen Meter hoch hatte sich dieser Schlamm angehäuft, nicht wie vermutet 75 Zentimeter.
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