Das Antiquariat Kitzinger muss schließen: Letztes Kapitel nach 130 Jahren
München - In der Auslage des Antiquariat J. Kitzinger stehen an die Hundert Bücher. Fein säuberlich sind sie nebeneinander aufgereiht. Buchdeckel nach oben, mit der Schrift Richtung Schellingstraße, am Lesezeichen ist der Preis aufgeschrieben. Fast 130 Jahre lang stehen hier Bücher so oder ähnlich im Schaufenster. Ewig wird das nicht mehr so sein. Das Antiquariat muss ausziehen. Der Hauseigentümer will sanieren.
Trotz überhitztem Markt, Spekulanten kaufen weiter Häuser
Es ist der Abschluss einer Geschichte, wie sie in München an vielen Ecken spielt. Seit 2009 haben sich die Kaufpreise pro Quadratmeter in München fast verdreifacht. Kürzlich hat die Investmentbank UBS der bayerischen Landeshauptstadt in ihrem jährlichen "Global Real Estate Bubble Index" attestiert, dass für München das Risiko einer Immobilienblase weltweit am höchsten sei. Trotz des überhitzten Marktes kaufen Spekulanten weiter.
Aus dem Univiertel, dem Herz der Maxvorstadt, wünscht sich so manch ein Immobilienentwickler ein Objekt für sein Portfolio. Im Fall des Antiquariats J. Kitzinger hat die Omega Schellingstraße 25/27 GmbH den Zuschlag bekommen, eine Gesellschaft, die zur Omega AG mit Sitz in München gehört.
Das war Ende 2017. Ein paar Monate später fehlten in dem Gebäudekomplex, der eine Einheit mit der Türkenstraße 66 bildet, auf einmal die Treppengeländer. Fenster, Metallgitter, vieles, was historisch aussieht, wurde von Handwerkern der neuen Eigentümer im Februar 2018 entfernt - noch vor einem vereinbarten Termin mit einem Denkmalpfleger. Mit "Notsicherungsmaßnahmen" wurde damals begründet, was die Mietergemeinschaft des Hauses als Gängelung empfindet. Das Haus, von dem Teile aus dem Jahr 1830 stammen, soll durch einen Neubau ersetzt werden.
15 der 19 Wohnungen in den Bauten sind (noch) vermietet, teils seit vielen Jahren. Bernhard Kitzinger, Betreiber des Antiquariats mit Buchhandlung im Erdgeschoss, lebt hier schon fast sein ganzes Leben. "Ich habe mir im Laden als Kind mein Taschengeld beim Büchersortieren verdient", sagt er. Das Antiquariat wurde 1892 von seinem Urgroßvater gegründet, seine Familie führt es in vierter Generation. Die Wohnung der Kitzingers befindet sich im ersten Stock.
Das Geschäft hat Bernhard Kitzinger mit seinem Vater Raimund in den 1980er und 1990er Jahren zum überregional bedeutenden Wissenschaftsantiquariat aufgebaut. "Es gab Zeiten, da belieferten wir halb Italien", sagt der 61-Jährige.
Die Hoch-Zeiten des Buchhandels sind zwar vorbei, dennoch kommen noch immer Studenten, Professoren und Menschen, die rare Veröffentlichungen in den Geistes- und Kunstwissenschaften suchen, in die Schellingstraße.

Noch bis Ende 2021 läuft der Mietvertrag, bis dahin muss Kitzinger Tausende Bücher verkauft oder eingepackt haben. Über die Details zur Vereinbarung, die im Sommer mit dem neuen Hauseigentümer und den Mietern geschlossen wurde, ist Stillschweigen vereinbart worden.
Die Omega AG - an der wiederum auch eine Tochter der Bremer Sparkasse stiller Teilhaber ist - hat auf die AZ-Anfrage zum Sachstand des Bauprojekts ihren Anwalt ein Schreiben aufsetzen lassen. Sie hat der AZ untersagt, aus diesem Schreiben zu zitieren. Fragen zu Baubeginn, Kooperationen oder einer geplanten Weiterveräußerung ließ die Gesellschaft folglich unbeantwortet.
Bisher hat der Investor noch keinen Bauantrag eingereicht
Die Lokalbaukommission teilte mit, dass bislang kein Bauantrag zu dem Vorhaben vorliege. Im November 2019 sei ein positiver Vorbescheid für den "Abbruch des Bestands und Neubau eines Wohnhauses mit Gewerbe im Erdgeschoss und Tiefgarage" erteilt worden.
Was allerdings erhalten bleiben muss, ist die markante Holzfassade rund um die Schaufenster. Sie ist 1889 für eine Bäckerei errichtet worden und ist vom Landesamt für Denkmalpflege als Einzeldenkmal anerkannt worden.
Im Sozialreferat sind das Antiquariat und die dazugehörenden Gebäude bekannt, einige der Wohnungen stehen leer. Die Gebäude seien Gegenstand eines Zweckentfremdungsverfahrens. Allerdings seien "die Leerstände derzeit unvermeidbar und daher zweckentfremdungsrechtlich gerechtfertigt", so ein Sprecher.
Es sind nicht die einzigen Immobilien, mit denen die städtischen Referate in dem Block zwischen Amalien- und Türkenstraße befasst sind. Mit den Vorgängen und Eigentümerwechseln seit 2008 an der Türkenstraße 52/54 ließen sich inzwischen ganze Buchbände füllen. Nachdem der Großteil des Komplexes, bestehend aus mehreren Häuserteilen und Hinterhöfen im Frühjahr 2019 abgerissen wurde, lag das Gelände brach. Der Bodenrichtwert für das Gelände stieg innerhalb der vergangenen 14 Jahre um gut 370 Prozent.
Einzig das Vorderhaus mit zehn Mieteinheiten ist noch bewohnt. Es steht unter Denkmalschutz. Seit ein paar Wochen ist der Bauzaun optisch verkleidet worden. "Mit dem Spezialtiefbau beziehungsweise der Baugrubensicherung wurde im September begonnen", schreibt Günther Deml, Geschäftsführer der Real-Treuhand Immobilien Bayern GmbH.
Auch an der Türkenstraße 50 soll gebaut werden
Die Tochterfirma der Raiffeisenlandesbank Österreich, die das Areal mit sechs Gebäuden 2017 gekauft hatte, will dort 64 Wohnungen, Läden und eine Tiefgarage bauen. "Der Vertriebsbeginn wird frühestens Ende 2021 sein", schreibt Deml. Das Planungsreferat rechnet mit dem Abschluss der Bauarbeiten Anfang 2023. Das geht aus der Antwort von Stadtbaurätin Elisabeth Merk (parteilos) auf eine Anfrage der Linken-Stadträtin Brigitte Wolf vom März hervor.
An der Türkenstraße 50 ist ebenfalls ein Neubau geplant. Bereits seit einiger Zeit erhalten neue Mieter nur noch befristete Verträge für eine der 52 Wohnungen. Die Gastrofläche im Erdgeschoss steht seit dem Auszug des Sausalitos komplett leer. Im Juli 2019 wurde bei der Stadt eine Voranfrage für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses gestellt. Ein Bauantrag ist bislang nicht eingereicht worden, bestätigt das Planungsreferat.
Inzwischen ist klar, wer dort bauen will: der Münchner Immobilienentwickler Legat Living. Im Handelsregister firmiert das Projekt in der Türkenstraße unter dem Namen Maxhöfe T50 GmbH. Adresse und Prokurist sind dieselben, wie die von Legat Living. Als Unternehmensgegenstand sind Bebauung und Verkauf, "insbesondere der Immobilie Türkenstraße 50" angegeben. Man befinde sich derzeit noch in der Planung und "wir schreiben Sie umgehend an, sobald der Vertrieb der Projekte startet", heißt es von Legat Living auf AZ-Nachfrage zum Vorhaben.
Legat ist in München für Luxusbauten bekannt. In der Au baut das Unternehmen das frühere Frauen- und Jugendgefängnis Am Neudeck zum "Haus Mühlbach" um. Für 452.900 Euro gibt es dort eine Einzimmerwohnung mit etwas mehr als 25 Quadratmetern. In der Bogenhauser Ismaninger Straße entstanden in zweiter Reihe die Troger Höfe. In der Scheinerstraße ist die ehemalige Schreiber Klinik zum Haus Sternwarte geworden, einer Luxus-Seniorenresidenz mit Wohneinheiten zu Preisen ab 1,3 Millionen Euro aufwärts.
Neue Bleibe fürs Antiquariat: Das suchen Bernhard Kitzinger und seine Mitarbeiter
Noch eineinhalb Jahre darf Antiquar Bernhard Kitzinger mitsamt den Büchern und seinen Mitarbeitern in der Schellingstraße bleiben. Danach wünscht er sich eine neue Bleibe in der Nähe der Universität sowie der Bayerischen Staatsbibliothek und dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv, die beliefert er nämlich regelmäßig mit seinem Lastenradl. "Am liebsten hätte ich einen Laden mit Lagerfläche", sagt er. Dabei müsse die Verkaufsfläche gar nicht direkt an der Straße liegen - und auch nicht so groß sein wie jetzt. Eine alte Werkstatt in einem Hinterhof in der Maxvorstadt könnte sich der 61-Jährige ebenfalls als neuen Verkaufsraum vorstellen. "Ich habe viele Stammkunden, die immer zu mir finden", sagt er.
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