Coronavirus in München: Die heruntergefahrene Stadt
München - "Was wollen Sie mit dem Geld, wenn die Welt untergeht?", fragt die Verkäuferin im Lotto-Toto-Geschäft im Marienplatz-Zwischengeschoss. Sie lächelt den Mann an, er lächelt ohne zu antworten zurück. Er ist einer von ganz wenigen Kunden, die am Mittwoch vorbeikommen. "Man muss sich ja seinen Humor bewahren, auch wenn es Galgenhumor ist", sagt die Verkäuferin. "Seit heute kommen nur noch die, die arbeiten."
Es ist Tag eins der einschneidenden Maßnahmen. Seit Mittwoch gilt für ganz Bayern der Katastrophenfall. Nur noch Lebensmittelgeschäfte, Drogerien, Apotheken, Arztpraxen und andere Geschäfte, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, dürfen geöffnet bleiben.
In den Vormittagsstunden wirkt der Tag wie ein Sonntag. Die Fußgängerzone ist leer. Die großen Kaufhäuser und Bekleidungsgeschäfte sind geschlossen. Nur wenige Menschen sind unterwegs. Am Abgang zur U-Bahn steht ein älterer Mann im Lodenmantel. Er wirkt verloren. "Ich habe so Rückenschmerzen. Ich war beim Arzt. Ich bin froh, wenn ich wieder zuhause bin. Es ist gespenstisch", sagt er.

Nur wenige Schritte weiter stehen Security-Männer am Eingang zu Galeria Kaufhof. Wie durch eine Schleuse führt der Weg in die Lebensmittelabteilung. Die Abteilungen mit den Handtaschen und Strümpfen, durch die man normalerweise kommt, sind mit rotweißen Flatterbändern und Stellwänden abgesperrt. Oster-Schoko-Hasen und -eier und alles aus dem Süßwarensortiment gibt es heute 50 Prozent billiger, steht auf Werbetafeln. Es kommt bloß kaum jemand.
Vor ein paar Restaurants in der Fußgängerzone stehen Tische im Freien – weit auseinander. Andere Wirtschaften haben gar nicht erst geöffnet, weil die Gäste schon in den vergangenen Tagen und Wochen weggeblieben sind. Ein Blumenhändler bietet seine Ware 60 Prozent billiger an. Stehen bleibt niemand. "Ich war selbst überrascht, dass ich öffnen darf", berichtet der Standlbesitzer. "Aber morgen bin ich weg, das bringt es nicht."
Taxler warten stundenlang auf Kundschaft
Am Stachus steht eine lange Taxi-Schlange. Nichts rührt sich. Vucenovic Vid (78) wartet schon seit zwei Stunden auf Kundschaft. "Gestern habe ich nur 40 Euro Umsatz gemacht. Das sind zehn Euro netto für mich." Der Rentner will trotzdem nicht aufhören mit seinem Nebenjob. "Besser zehn Euro als gar nichts." Sein Kollege, der erste in der langen Reihe, steht schon seit zweieinhalb Stunden.

Als wäre es ein ganz normaler Tag wie jeder andere, geht es währenddessen auf den Baustellen zu. Am Marienhof dröhnen die Maschinen, schwere Lastwagen rollen an. In der Fußgängerzone verlegen Arbeiter im Auftrag der Stadt neue Granitplatten, auch auf der Hotelbaustelle am Stachus wird fleißig gewerkelt. Direkt daneben, im Landgericht München I in der Prielmayerstraße, ist dagegen Ausnahmezustand. Rechtsanwalt Johannes Buchberger (43) hat gerade Gerichtspost abgeholt. "An der Pforte müssen alle ein Formular ausfüllen und bestätigen, dass sie in den vergangenen zwei Wochen keine Atemwegserkrankungen hatten. Bei mir sind sieben von acht Prozessen ausgefallen. Nur die Haftsachen nicht. Es ist eine seltsame Stimmung in der Stadt."
Studenten wollen Urlaub machen: "Wir haben nichts zu tun"
Am Hauptbahnhof geht es ebenfalls deutlich ruhiger zu. "Nix los", sagt ein Imbissverkäufer. In der Halle stehen drei Studenten und essen Leberkassemmeln. Sie sind gerade aus Mannheim angereist, wollen nach Reit im Winkel, Ferien machen. Sie machen genau das, wovon die Behörden jetzt dringend abraten. Von Urlaubsreisen, auch im Inland, soll jetzt abgesehen werden. Warum machen sie's trotzdem? "Wir haben nichts zu tun", sagt einer. Fotografieren lassen wollen sie sich nicht.
Die Sonne kommt raus, die Temperaturen steigen. Je älter der Tag, umso mehr zieht es die Münchner an diesem seltsamen Mittwoch nach draußen. Die Sonnenplätze im Freien vor den noch geöffneten Wirtschaften füllen sich. Am Chinesischen Turm setzen sich Spaziergänger in den Biergarten, obwohl er für zwei Wochen geschlossen ist. Am Vormittag haben Angestellte sämtliche Bänke zusammengeklappt und auf die Tische gelegt. Sonnenhungrige Münchner nehmen sie wieder runter.

Schon seit dem frühen Morgen fährt die Polizei verstärkt Streife im Englischen Garten. "Wir wollen der Bevölkerung Sicherheit vermitteln", sagt ein Polizist. Die Beamten haben aber auch den Auftrag, größere Menschenansammlungen aufzulösen und zu überwachen, dass die Spielplätze nicht benutzt werden – sie sind geschlossen oder mit Absperrband abgeriegelt.
Auf den Spielplatz gehen würde Karl Panzer (69) aus Berg am Laim gern. Er hat sechs Enkel, die er aber seit fast zwei Wochen nicht gesehen hat – wegen Corona. Seine Frau spricht über den Gartenzaun mit den Kindern. "Sie ist sehr traurig", sagt er. Eigentlich wäre der Rentner heute gar nicht vor die Tür gegangen. Doch er hatte einen Termin beim Optiker wegen seiner neuen Brille. "Ich hoffe sehr, dass die Maßnahmen greifen. Wir müssen jetzt alles vernünftig sein", sagt der Rentner. "Damit es nicht wie in Italien wird und doch noch eine Ausgangssperre kommt."

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