Rektorin von Münchner Brennpunktschule redet Klartext: "Gibt einfach zu viel Frust"

125 Jahre Guldeinschule im Westend. Eigentlich ein Grund zum Feiern, doch die Rektorin findet klare Worte. Was sich – nicht nur – an der Brennpunktschule ändern muss.
Eva von Steinburg
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Heike Stark ist Rektorin der Guldeinschule. So richtig zum Feiern ist ihr zum Jubiläum nicht zumute. Es fehlt an Personal, darunter leiden nicht nur die Lehrkräfte: "So kriegen wir es nicht für alle Kinder hin, muss man leider dazusagen."
Heike Stark ist Rektorin der Guldeinschule. So richtig zum Feiern ist ihr zum Jubiläum nicht zumute. Es fehlt an Personal, darunter leiden nicht nur die Lehrkräfte: "So kriegen wir es nicht für alle Kinder hin, muss man leider dazusagen." © privat

Geht es raus in die große Pause, schreien die Kinder vor Glück. Geht es Richtung Turnhalle, kreischen sie vor Freude. "Das ist natürlich schön, doch akustisch kann Grundschule wirklich herausfordernd sein, besonders nach vielen Berufsjahren", weiß Heike Stark, Leiterin der Grundschule an der Guldeinstraße im Westend. Doch auch dienstältere Pädagogen dürfen jetzt ihre Arbeitszeit nur gering reduzieren – der Lehrermangel ist zu groß, erklärt sie.

München: Brennpunktschule im Westend feiert ihr 125-jähriges Bestehen – Rektorin macht Ansage

Heike Stark ist Rektorin einer ganz besonderen Münchner Grundschule: Ihr Schulhaus im Westend gehört zu den schönsten der Stadt. Das denkmalgeschützte Schulgebäude an der Guldeinstraße 27 ist ein herrschaftlicher Bau, mit großen, gegliederten Fenstern und einer "historisierende Fassade" mit Bögen und Verzierungen. Die ehemalige Volksschule ist nun genau 125 Jahre alt. Denn 1900 hat der bekannte Münchner Architekt, Stadtplaner und Hochschullehrer Theodor Fischer die damalige Volksschule gebaut.

Bei der 125-Jahr-Feier werden die unterschiedlichen Schulprojekte vorgestellt.
Bei der 125-Jahr-Feier werden die unterschiedlichen Schulprojekte vorgestellt. © privat

Der Grund: Durch die Industrialisierung hatte sich die Bevölkerung im neuen Arbeiterviertel Westend von 1880 bis 1890, also in nur zehn Jahren, auf 22.000 Einwohner verdoppelt, darunter waren viele Kinder. Heute klingt es fast unglaublich: Zur Eröffnung im Jahr 1900 waren für jede Klasse 60 Kinder vorgesehen. Damals gab es einen Suppensaal für die Schulspeisung, ein Brausebad im Keller und sogar einen "Karzer", also eine Art Haftraum, für Schüler.

Florian Kraus und Verena Dietl besuchen die Grundschule

Kürzlich zur 125-Jahr-Feier besuchte Florian Kraus (Grüne), Leiter des Referats für Bildung und Sport mit Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) die Grundschule: Die jungen Klimabotschafter fordern eine Photovoltaikanlage für das Schuldach. Auf der Bühne gab es ein Programm aus Musik, Theater und Vorstellung besonderer Schulprojekte. Vertreter der Klassensprecher erzählten beispielsweise, wie eine Klassensprecherversammlung gelebte Demokratie sein kann – weil die Wünsche von Schülerinnen und Schülern aufgegriffen werden.

Auch die Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) besuchte die Feier.
Auch die Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) besuchte die Feier. © Erol Gurian

Die Guldeinschule hat Apfelbäume und ein Kräuterbeet, einen Hort und einen Sportplatz, auf dem jede große Pause zwei Jugendtrainer von "Buntkicktgut" Schiedsrichter in der sogenannten Fair-Play-Fußballpause sind. Die Mädchen haben über die Klassensprecherversammlung durchgesetzt, dass einmal die Woche Mädchen-Fußball ist.

Rektorin: "Zum Jubiläum sind wir viel gelobt worden. Doch es ist ein Kampf"

"Zum Jubiläum sind wir viel gelobt worden. Doch es ist ein Kampf. Es hängt zu viel am Engagement Einzelner", erklärt Rektorin Heike Stark. Denn die Guldeinschule gilt als Münchner Brennpunktschule. Die 65 Prozent Grundschüler mit Migrationshintergrund seien nicht per se ein Problem, meint sie.

Jede große Pause wird an der Schule Fußball gespielt. Einmal die Woche kicken hier explizit Mädchen.
Jede große Pause wird an der Schule Fußball gespielt. Einmal die Woche kicken hier explizit Mädchen. © privat

"Schwierig macht es für uns Lehrerinnen und Lehrer die Bildungsferne der Elternhäuser der Schüler." Viele Eltern aus Serbien, Albanien, Afghanistan oder afrikanischen Ländern seien nicht mit dem bayerischen Schulsystem vertraut. Sie leben als "funktionale Analphabeten in Deutschland", so Stark.

Das bedeutet: Sie können ihre Kinder nicht in Schul-Dingen unterstützen. "Wir erleben, dass sich Eltern von einem Brief, der per Mausklick in viele Sprachen übersetzt werden könnte, überfordert fühlen", so die Schulleiterin. Für klärende Gespräche können die Lehrerinnen und Lehrer bei der Stadt Kulturdolmetscher anfragen. Das bringt viel, ist aber ein großer Organisations- und Zeitaufwand.

Heike Stark: "Alle Eltern haben ein großes Redebedürfnis, in 20 Minuten ist nichts besprochen"

"Alle Eltern haben ein großes Redebedürfnis, in 20 Minuten ist nichts besprochen. Wenn wir klar machen können, wie Schule bei uns abläuft und was Schule von den Eltern erwartet, stehen die Eltern uns ganz anders gegenüber. Wir können mit ihrem Kind besser arbeiten. Denn es gibt einfach zu viel Frust", so die Rektorin.

Die Guldeinschule hat 245 Schülerinnen und Schüler, 28 ausgebildete Lehrkräfte, 14 Lernbegleitungen und ehrenamtliche Helfer – dazu vier Substitutionskräfte. Das sind Akademiker, die stundenweise eingesetzt werden, um den Pflichtunterricht abzudecken. Dafür kann man sich an Münchner Schulen direkt bewerben. "Das Ziel ist, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Kinder und Eltern gerne in die Schule kommen", meint die Schulleiterin. "Nur dann sind die Kinder lernbereit."

Eine Sozialarbeiterin würde für 245 Kinder nicht reichen

Die Krux an der Guldeinschule jedoch ist: "Viele Lehrer leisten ehrenamtliche Arbeit. Das ist Engagement, das über die Berufsanforderung hinausgeht, damit die Kinder ein Schulfrühstück erhalten und die Klasse funktioniert", so Stark: "Wir Lehrer haben keine Stechuhr. Unsere Arbeitszeit ist sehr hoch. Eine Sozialarbeiterin mit 30 Stunden in der Woche für 245 Kinder reicht nicht."

Was konkret fehlt: "Wir benötigen Logopäden, um der Sprachverwirrung der Kinder entgegenzutreten. Wir brauchen Schulassistenten, die den Lehrkräften Arbeiten abnehmen, die nicht zu unseren Kernaufgaben gehören, um mehr Zeit für Gespräche mit Eltern und Therapeuten zu haben."

Seit 125 Jahren gibt es die Guldeinschule im Westend. Gebaut hat sie der Münchner Architekt, Stadtplaner und Hochschullehrer Theodor Fischer – samt Suppensaal, einem Brausebad im Keller und einem "Karzer".
Seit 125 Jahren gibt es die Guldeinschule im Westend. Gebaut hat sie der Münchner Architekt, Stadtplaner und Hochschullehrer Theodor Fischer – samt Suppensaal, einem Brausebad im Keller und einem "Karzer". © privat

Die Direktorin nimmt das schöne 125-Jahr-Jubiläum zum Anlass für eine Forderung: "Schule wird gesellschaftlich zu wenig gesehen. Wir brauchen zusätzliche Kräfte. Viele Schüler sind kleine Dampfkessel, nur wenige lernen kontinuierlich so dazu, wie wir uns das erhoffen." Die Leiterin der Brennpunktschule im Westend meint weiter: "So kriegen wir es nicht für alle Kinder hin, muss man leider dazusagen", sagt Heike Stark. "Wir hätten das Know-how, die Kinder zukunftsfähig zu machen. Doch dafür brauchen wir mehr Personal."

Ein motivierendes Erlebnis hat Rektorin Heike Stark jeden Schultag

Die Rektorin treibt an, dass sie "den Unterschied macht", wenn sie den Blick auf ein Kind richtet und sich Zeit nimmt. "Die Kinder sind so im Hier und Jetzt. Sie geben immer etwas zurück, sind dankbar, zugewandt und erleichtert, wenn ein Problem gelöst ist." Ein motivierendes Erlebnis hat sie jeden Schultag. Doch sie weiß: "Ich picke mir eine Schülerin oder Schüler im Raum heraus, doch ich weiß, da sind noch zwei oder drei andere, die bräuchten meine Arbeit und Zuwendung genauso."

Wer die Brennpunkt-Schule unterstützen möchte: Der Förderverein der Guldeinschule sucht jede Art von praktischer Unterstützung: für Feste oder Projekte oder Lernhilfe. Über Spenden finanziert der Förderverein vieles mit: Klassenfahrten, zusätzliche Kräfte für Unterricht in halber Klassenstärke, Nikolaussäckchen und Faschingskrapfen für alle Schüler, künstlerisch-musische Aktionen, Schachspiel und das nette Elterncafé zum Start der ersten Klassen.


Förderverein Guldeinschule, IBAN: DE54 7015 0000 1007 4032 70, BIC: SSKMDEMMXXX

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