"Blinder Autohass": Riesen-Krach zwischen Grün-Rot um Tempo 30 in München
München - Es knirscht nicht, es scheppert ordentlich zwischen den Rathaus-Koalitionären! Nachdem die Grünen am Mittwochvormittag den Vorschlag pressewirksam verbreiteten, dass in München generell Tempo 30 gelten solle, zürnt jetzt die SPD.
Fraktionschefin Anne Hübner twitterte: "Die Forderung nach flächendeckendem Tempo 30 in München hätten sie, wenn ihnen tatsächlich an einer Umsetzung liegt, zuerst mit uns und nicht mit der Presse besprechen müssen. Uns derart zu übergehen, ist arrogant, und auch der Sache nicht zuträglich."
Und ihr Kollege Christian Müller sagte: "Wir unterstützen keine Anti-Auto-Ideologie, die Verkehrssicherheit, Lebensqualität und Mobilität der Bevölkerung gegeneinander ausspielt."
SPD sauer auf Grüne: "Blinder Autohass"
Der Vorschlag sei nicht mit der SPD/Volt-Fraktion abgestimmt und "eher von blindem Autohass als von einer konstruktiven Mitwirkung an einer zeitgemäßen Verkehrspolitik geprägt". Generelles Tempo 30 schade der Stadt mehr, als dass es helfe, so die SPD. Klare Kante der Sozialdemokraten!
Es gehe darum, die Hauptverkehrsadern leistungsfähig zu halten, stellt die SPD klar. "Sonst verlagert sich der Verkehr in Wohnstraßen, der Busverkehr wird ausgebremst und der Schadstoffausstoß erhöht sich sogar." Und generell sei man ja auch für mehr Tempo 30. "Zielgerichtete Geschwindigkeitsreduzierungen halten wir für sehr sinnvoll – vor Kindertagesstätten etwa, vor Schulen, Krankenhäusern oder in Wohngebieten. Das setzen wir auch heute schon um: Auf 85 Prozent der Straßen in München gilt Tempo 30", so Müller in dem Statement der Fraktion weiter.
Reiter ärgert sich: "Äußerst unprofessionell"
Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist vom Vorschlag des Koalitionspartners wenig angetan. Weil bei über 85 Prozent der Münchner Straßen bereits Tempo 30 herrsche, sehe er keinen Anlass, ein generelles Tempolimit zu erlassen.
Noch mehr als über den Vorschlag an sich ärgert sich Reiter jedoch über das Vorgehen, das er als "äußerst unprofessionell" bezeichnete. Dieses sei "nicht geeignet, nachhaltige Regierungsfähigkeit zu demonstrieren. Eine Pressemitteilung herauszugeben, mit der die Grünen und die Grüne/Stadtratsfraktion einen Antrag vorwegnehmen – zu einem so grundsätzlichen Thema, ohne inhaltliche Diskussion mit dem Koalitionspartner, ist jedenfalls nicht hilfreich", heißt es in einem offiziellen Statement des Oberbürgermeisters.
Grüne wollen flächendeckend Tempo 30 in München
Hintergrund des Streits ist, dass sich die Stadtratsfraktion der Grünen/Rosa Liste und die Bezirksausschuss-Fraktionen der Grünen in einem gemeinsamen Vorstoß dafür einsetzen, dass die Stadt München sich beim Verkehrsministerium als Modellkommune für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit bewirbt. Zur Zeit ist es genau umgekehrt: Tempo 50 ist die Regel. In Wohngebieten, vor Schulen mit Unfallschwerpunkten oder aus Lärmschutzgründen kann die Stadt Tempo 30 genehmigen.
Doch auf Hauptstraßen wie dem Mittleren Ring wollen auch die Grünen, dass Autos schneller fahren dürfen. "Es muss Ausnahmen geben", sagt Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher. Er glaubt, dass das Schilder-Wirrwar übersichtlicher werden könnte: An die 12.000 Tempo-30-Schilder könnten abgebaut werden.
Ursula Harper, Vorsitzende der Grünen München: "Viele Grüne BA-Fraktionen setzen sich schon seit Jahren für mehr Tempo 30 ein. Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit wäre ein klares Signal für die Verkehrswende: Mensch vor Auto."
Die Grünen gehen davon aus, dass mit einer einheitlichen Tempo-30-Regelung weniger gebremst und beschleunigt würde. "Es entstehen weniger Abgase, Aufwirbelungen, Lärm, Reifen- und Bremsabriebe. Insgesamt sinken vor allem die Schadstoffe und der Spritverbrauch", schreiben die Grünen in einer Pressemitteilung.
Die Grünen können Empörung der SPD nicht verstehen. Auch in einer Koalition müsse es möglich sein, eigene Positionen zu vertreten, findet Fraktionschef Florian Roth.
Die Verkehrswende hatten Grüne und SPD nach der Kommunalwahl 2020 als eines ihrer Kern-Koalitionsziele vereinbart. Doch zumindest verbal hat der Streit über die Umsetzung nun deutlich an Fahrt aufgenommen – eher Tempo 100 als 30, möchte man sagen.
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