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"Blinder Autohass": Riesen-Krach zwischen Grün-Rot um Tempo 30 in München

Die Grünen wollen, dass in München nur noch Tempo 30 gilt. Doch der Vorschlag war nicht mit der SPD abgesprochen – was der Koalitionspartner nun heftig kritisiert.
Lukas Schauer,
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Christina Hertel
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Die Grünen wollen flächendeckend Tempo 30 in München.
Die Grünen wollen flächendeckend Tempo 30 in München. © Arne Meyer/dpa

München - Es knirscht nicht, es scheppert ordentlich zwischen den Rathaus-Koalitionären! Nachdem die Grünen am Mittwochvormittag den Vorschlag pressewirksam verbreiteten, dass in München generell Tempo 30 gelten solle, zürnt jetzt die SPD.

Fraktionschefin Anne Hübner twitterte: "Die Forderung nach flächendeckendem Tempo 30 in München hätten sie, wenn ihnen tatsächlich an einer Umsetzung liegt, zuerst mit uns und nicht mit der Presse besprechen müssen. Uns derart zu übergehen, ist arrogant, und auch der Sache nicht zuträglich."

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Und ihr Kollege Christian Müller sagte: "Wir unterstützen keine Anti-Auto-Ideologie, die Verkehrssicherheit, Lebensqualität und Mobilität der Bevölkerung gegeneinander ausspielt."

SPD sauer auf Grüne: "Blinder Autohass"

Der Vorschlag sei nicht mit der SPD/Volt-Fraktion abgestimmt und "eher von blindem Autohass als von einer konstruktiven Mitwirkung an einer zeitgemäßen Verkehrspolitik geprägt". Generelles Tempo 30 schade der Stadt mehr, als dass es helfe, so die SPD. Klare Kante der Sozialdemokraten!

Es gehe darum, die Hauptverkehrsadern leistungsfähig zu halten, stellt die SPD klar. "Sonst verlagert sich der Verkehr in Wohnstraßen, der Busverkehr wird ausgebremst und der Schadstoffausstoß erhöht sich sogar." Und generell sei man ja auch für mehr Tempo 30. "Zielgerichtete Geschwindigkeitsreduzierungen halten wir für sehr sinnvoll – vor Kindertagesstätten etwa, vor Schulen, Krankenhäusern oder in Wohngebieten. Das setzen wir auch heute schon um: Auf 85 Prozent der Straßen in München gilt Tempo 30", so Müller in dem Statement der Fraktion weiter.

Reiter ärgert sich: "Äußerst unprofessionell"

Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist vom Vorschlag des Koalitionspartners wenig angetan. Weil bei über 85 Prozent der Münchner Straßen bereits Tempo 30 herrsche, sehe er keinen Anlass, ein generelles Tempolimit zu erlassen.

Noch mehr als über den Vorschlag an sich ärgert sich Reiter jedoch über das Vorgehen, das er als "äußerst unprofessionell" bezeichnete. Dieses sei "nicht geeignet, nachhaltige Regierungsfähigkeit zu demonstrieren. Eine Pressemitteilung herauszugeben, mit der die Grünen und die Grüne/Stadtratsfraktion einen Antrag vorwegnehmen – zu einem so grundsätzlichen Thema, ohne inhaltliche Diskussion mit dem Koalitionspartner, ist jedenfalls nicht hilfreich", heißt es in einem offiziellen Statement des Oberbürgermeisters.

Grüne wollen flächendeckend Tempo 30 in München

Hintergrund des Streits ist, dass sich die Stadtratsfraktion der Grünen/Rosa Liste und die Bezirksausschuss-Fraktionen der Grünen in einem gemeinsamen Vorstoß dafür einsetzen, dass die Stadt München sich beim Verkehrsministerium als Modellkommune für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit bewirbt. Zur Zeit ist es genau umgekehrt: Tempo 50 ist die Regel. In Wohngebieten, vor Schulen mit Unfallschwerpunkten oder aus Lärmschutzgründen kann die Stadt Tempo 30 genehmigen.

Doch auf Hauptstraßen wie dem Mittleren Ring wollen auch die Grünen, dass Autos schneller fahren dürfen. "Es muss Ausnahmen geben", sagt Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher. Er glaubt, dass das Schilder-Wirrwar übersichtlicher werden könnte: An die 12.000 Tempo-30-Schilder könnten abgebaut werden.

Ursula Harper, Vorsitzende der Grünen München: "Viele Grüne BA-Fraktionen setzen sich schon seit Jahren für mehr Tempo 30 ein. Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit wäre ein klares Signal für die Verkehrswende: Mensch vor Auto."

Die Grünen gehen davon aus, dass mit einer einheitlichen Tempo-30-Regelung weniger gebremst und beschleunigt würde. "Es entstehen weniger Abgase, Aufwirbelungen, Lärm, Reifen- und Bremsabriebe. Insgesamt sinken vor allem die Schadstoffe und der Spritverbrauch", schreiben die Grünen in einer Pressemitteilung.

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Die Verkehrswende hatten Grüne und SPD nach der Kommunalwahl 2020 als eines ihrer Kern-Koalitionsziele vereinbart. Doch zumindest verbal hat der Streit über die Umsetzung nun deutlich an Fahrt aufgenommen – eher Tempo 100 als 30, möchte man sagen.

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  • Hosenband am 05.02.2021 15:01 Uhr / Bewertung:

    1. Man kann nicht auf Straßen, die für Tempo 50 ausgelegt sind, erwarten, dass die Autofahrer 30 fahren. Als erstes müssen also die Tempo-30-Zonen auch entsprechend gestaltet sein. Die Grünen wären gut beraten, hier mit der Verwaltung nach günstigen und effizienten Möglichkeiten zu suchen.
    2. Bevor neue Regeln erlassen werden, müssen erst die geltenden durchgesetzt werden. Die Verkehrsüberwachung muss vervielfacht werden. Für die Hauptstraßen sollte die Stadt München versuchen, diese Aufgabe von der Polizei zu übernehmen, die hier wenig Engagement zeigt und außerdem über die Entlastung froh sein dürfte.
    3. Ein Unterschied zwischen Haupt- und Nebenstraßen sollte bestehen bleiben, um den Verkehr zu bündeln. Perspektivisch sollte daher eher 20/40 das Ziel sein, als einfach Tempo 30 über die ganze Stadt zu schütten.
    Mit pauschalen, unüberlegten Regelungen stärken die Grünen nur das Bild einer Verbotspartei, dass ihnen ohnehin schon anhängt. Ich freue mich auf konstruktive Kommentare.

  • Kritischer Beobachter am 05.02.2021 12:25 Uhr / Bewertung:

    Ein sinnvoller Vorschlag der Grünen, die sich im Gegensatz zum OB eben um die Stadtentwicklung kümmern. Generell 30 km/h und als Ausnahme 50 oder 60 km/h, wo es geht, vermindert die Abgase, schafft aber auch ein wenig mehr Sicherheit. Wenn knapper Verkehrsraum in Wohnstraßen zwischen Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger aufgeteilt werden muss, sind 30 km/h auch das Maß der Dinge, um Unfallopfer zu vermeiden. Wichtig aber dabei sind auch mehr Park&Ride Plätze/Parkhäuser entlang der Autobahnen und großen Einfallstraßen, um das Umsteigen zu erleichtern.

  • Bürger Münchens am 04.02.2021 14:39 Uhr / Bewertung:

    "Blinder Autohass". Die ewig gestrigen der Münchner SPD melden sich zu Wort. Geht doch bitte in Pension oder dorthin wo Alexander Reissl ist.

    Generelles Tempo 30 wäre ein großer Schritt in Richtung mehr urbaner Lebensqualität... und was kommt von der Münchner SPD? Man ist beleidigt, weil die Idee vorher nicht abgesprochen wurde. So so, was muss man denn bei dieser längst überfälligen Maßnahme noch absprechen?

    Generelles Tempo 30 mit Ausnahmen nach oben auf Hauptstraßen, spart hunderte Verkehrsschilder und beruhigt die Stadt. Ausnahmen vom Limit müssen ausreichend begründet werden. Jetzt muss jedes Tempo 30 Schild einzeln aufwendig und langwirrig begründet werden, zukünftig müsste Tempo 50 oder 60 hinreichend begründet werden.

    @Christian Müller und Anne Hüber:
    Die Klatsche bei der letzten Wahl war wohl nicht deutlich genug? Machts nur so weiter.

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